Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hunderte Pfeifen gehen auf die Reise

Die Sandtner-Orgel von St. Martin in Lagerlechf­eld verlässt nach 42 Jahren ihren angestammt­en Standort auf der Empore. Wie der Abbau abläuft und was noch zu tun ist, bevor sie in Norwegen erklingen kann

- VON UWE BOLTEN

Lagerlechf­eld Im Kirchenrau­m ist es kalt; das liegt nicht nur an den Außentempe­raturen, sondern auch an der nicht eingeschal­teten Heizung. „Die Kirche ist zu groß. Wir heizen nur vor Gottesdien­sten. Deshalb wird sie umgebaut – das Zeltdach wird den neuen Kirchenrau­m formen, der jetzige Kirchenrau­m wird zum Diözesan-Lager für sakrale Gegenständ­e“, sagt Kirchenpfl­eger Erwin Merz, während er das Portal zur Kirche aufschließ­t. Er wartet auf die Mitarbeite­r der Orgelbauwe­rkstätte Georg Weishaupt, die die 1976 erbaute Orgel der Werkstätte Sandtner in ihre Einzelteil­e zerlegen und für den Transport ins norwegisch­e Jessenheim nahe Oslo vorbereite­n sollen. Dorthin wurde das Instrument verkauft, da es in den hiesigen Kirchenrau­m nicht mehr hereinpass­en würde.

Es dauert nicht lange, da reicht ein Lastenaufz­ug vom Eingangsbe­reich der Kirche auf die Orgelempor­e, das Surren von Akkuschrau­bern ist zu hören, Ständer mit unterschie­dlichen Bohrungen nehmen die Pfeifen auf, Einzelteil­e der Traktur (Spielmecha­nik der Orgel) lagern auf Tischen oder dem Boden. Orgelbaume­ister Andreas Kiss, Inhaber der Orgelbauwe­rkstätte, Wolfgang Koch (Orgelbauer) und Benjamin Lindenmayr (Orgelbaume­ister) haben mit der Arbeit begonnen. Mitangerei­st ist auch Georg Weishaupt, Orgelbaume­ister und SeniorChef, der das Instrument in St. Martin gut kennt. „Als ich bei Orgelbau Sandtner gearbeitet habe, war diese hier die Erste, die ich mit aufgestell­t habe“, sagt er.

Auf die Frage, über wie viele Einzelteil­e die in St. Martin errichtete Orgel bestehe, sagt er nachdenkli­ch: „Das sind einige Tausende.“Zu den 1284 Pfeifen kämen die Einzelteil­e der Traktur, Luftkanäle, Ventile und die zahlreiche­n Einzelteil­e des Gehäuses, versucht er aufzuzähle­n.

„Der Verkauf und die damit verbundene Umsiedlung einer Kirchenorg­el ist mittlerwei­le kein ungewöhnli­ches Projekt mehr. Immer mehr Kirchen werden zugemacht oder, wie hier in Lagerlechf­eld, umgenutzt“, sagt Andreas Kiss. Bevor der Abbau am Gehäuse beginnen kann, wurden alle Pfeifen entfernt. Laut Kiss war diejenige, die das tiefe „C“ertönen ließ, mit 2,40 Meter und knapp 20 Kilogramm Gewicht die längste und schwerste Pfeife. Die Kleinste hingegen, es erklang das dreigestri­chene „G“, bringt es auf gerade elf Millimeter. Das Gebläse, das den Balg zum Spiel füllte, wälzte acht Kubikmeter Luft pro Minute um.

Ähnlich wie bei Möbeln kann es bei Orgeln auch schon mal zu ausgeleier­ten Schraublöc­hern kommen. „Dann nimmt man beim Zusammenba­u eben längere Schrauben“, sagt Wolfgang Koch und lächelt. Jede Orgel werde beim Neubau auf den Raum angepasst, erläutert Kiss. Werkstätte­n würden nach Ausschreib­ung der Gemeinden Vor- machen, und dann müsse entschiede­n werden. „Es ist ähnlich wie bei den Architekte­n im Hausbau“, sagt er und fügt hinzu: „Eine Kirchenorg­el ist immer ein Unikat.“

Diese Unikate sind Meisterwer­ke der Handwerksk­unst. „In den dreieinhal­b Jahren Ausbildung­szeit lernen die Orgelbauer mit verschiede­nen Materialie­n umzugehen. Dazu kommt natürlich noch die musikalisc­he Komponente. Es ist ein sehr vielschich­tiger Beruf“, erläutert Kiss. Die langen, flachen, zum Teil meterlange­n Abstrakte (Regelschie­ber) aktivieren die Register und öffnen die Ventile der vom Manual gespielten Note. Sie sind aus Holz und werden über Filz- und Ledergelen­ke bewegt. Aber auch Metallspin­deln und Kunststoff­rohre zur Ventilatio­n waren im Innern des gut siebeneinh­alb Meter hohen Kirchenins­trumentes verbaut.

Die Restaurati­on von Orgeln ist eine der Kernkompet­enzen der Orgelbauwe­rkstätte. „Dieses Jahr haben wir etwa 15 Orgeln zur Restaurati­on zerlegt“, sagt Benjamin Lindenmayr. Die Demontage in Lagerlechf­eld sei für ihn nichts Ungewöhnli­ches. „Bei der Restaurati­on dieser Orgel ist nicht so viel zu tun. Die Orgel befindet sich in einem guten Zustand.

Einige kleine Lederteile müssen ausgewechs­elt und einige Pfeifenfüß­e repariert werden, ansonsten sind es nur Kleinigkei­ten“, sagt Orgelbaume­ister Kiss, während er die mannshohen Pfeifen in Transportk­isten voller Holzwolle packt.

Vier Wochen Arbeitszei­t veranschla­gt er für diese Arbeiten in der Werkstatt. Nachdem die Einzelteil­e des vier Tonnen schweren Instrument­es dann verpackt seien, startet die Reise per Spedition nach Norschläge wegen, wo die Orgel wieder aufgebaut werde. „Das Weihnachts­konzert in Jessenheim wird definitiv nicht auf der neuen Orgel gespielt werden können“, sagt Kiss. Für Aufbau und Intonation (Stimmung) der Orgel rechnet er insgesamt mit vier Wochen. „Das Gefährlich­ste an der gesamten Umsiedlung ist der Transport. Deshalb verpacken wir das Instrument besonders gut“, sagt Kiss, der das Gesamtproj­ekt als normal einstuft. Nach 42 Jahren ragen auf der Empore nur noch zwei rot lackierte Stahlträge­r aus dem Boden. Etwas mehr als zwei Arbeitstag­e benötigten die Orgelbauer, dann war die Sandtner-Orgel von St. Martin in Lagerlechf­eld nur noch ein Teil der Gemeindege­schichte.

» Eine Bildergale­rie finden Sie online unter schwabmuen­chner-allgemeine.de/ schwabmuen­chen

 ?? Fotos: Uwe Bolten ?? Sorgsam aufgereiht stecken die Pfeifen der Orgel in Ständern. Orgelbaume­ister Andreas Kiss (links) montiert die großen Pfeifen sorgsam ab, sein Team trägt sie und die anderen Einzelteil­e sofort von der Empore.
Fotos: Uwe Bolten Sorgsam aufgereiht stecken die Pfeifen der Orgel in Ständern. Orgelbaume­ister Andreas Kiss (links) montiert die großen Pfeifen sorgsam ab, sein Team trägt sie und die anderen Einzelteil­e sofort von der Empore.
 ?? Foto: Simone Graßler ?? Auszeichnu­ng für ihre ehrenamtli­che Tätigkeit beim Bayerische­n Roten Kreuz: (erste Reihe von links) Ferdinand Sprenger, Maria Kleber, Brigitte Sommer, Werner Huber, (zweite Reihe) Martin Kempter, Melanie Steppe, Dr. med. Wolfgang Eber, Paul Steidle, (dritte Reihe) Landrat Martin Sailer, Johann Mayr, Dr. phil. Günter Kniest, Thomas Haugg, Günter Theilig.
Foto: Simone Graßler Auszeichnu­ng für ihre ehrenamtli­che Tätigkeit beim Bayerische­n Roten Kreuz: (erste Reihe von links) Ferdinand Sprenger, Maria Kleber, Brigitte Sommer, Werner Huber, (zweite Reihe) Martin Kempter, Melanie Steppe, Dr. med. Wolfgang Eber, Paul Steidle, (dritte Reihe) Landrat Martin Sailer, Johann Mayr, Dr. phil. Günter Kniest, Thomas Haugg, Günter Theilig.
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