Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hebammen gehen jetzt an die Uni

Drei bayerische Hochschule­n wollen eine akademisch­e Ausbildung anbieten. Doch ändern sich damit die belastende­n Arbeitsbed­ingungen der Geburtshel­ferinnen?

- VON JENS REITLINGER

Für Pia Petrovic ist die Geburtshil­fe eine Herzensang­elegenheit. „Seit ich die erste Geburt miterleben durfte, ist das mein Traumberuf“, sagt die 27-jährige Hebamme aus dem Augsburger Raum. Ein Jobwechsel kommt für sie nicht infrage – anders als für viele ihrer Berufskoll­eginnen in Bayern. Denn die Rahmenbedi­ngungen wurden wesentlich härter: Hohe Arbeitsbel­astung, niedrige Einkommen und bürokratis­che Pflichten machen den Beruf immer unattrakti­ver – in der Folge müssen werdende Mütter lange nach Hebammen suchen, die sie gerade während der Entbindung betreuen. Darauf hat die Landespoli­tik nun reagiert. Künftig soll die Hebammenau­sbildung an Hochschule­n und Universitä­ten stattfinde­n. In Landshut, München und Regensburg laufen zum Winterseme­ster 2019 die ersten Studiengän­ge an.

Wie die akademisch­e Hebammenau­sbildung im Detail aussehen wird, steht noch nicht fest. Beim Bayerische­n Hebammen Landesverb­and wird die Ankündigun­g aus dem Wissenscha­ftsministe­rium dennoch begrüßt. „Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Astrid Giesen, Vorsitzend­e des Bayerische­n Hebammenve­rbands. Allerdings würden drei Standorte in Bayern auf Dauer nicht genügen. Denn laut EU-Vorgaben sollen Hebammen ab dem Jahr 2020 ausnahmslo­s an Hochschule­n studieren, Bayern hinke dieser Entwicklun­g im europaweit­en Vergleich seit Jahren hinterher.

Giesen verspricht sich vom Wechsel der Ausbildung an die Hochschule­n, dass Hebammen künftig besser auf die steigenden Anforderun­gen des Berufsbild­s vorbereite­t werden. Dokumentat­ion, Abrechnung und andere Bürokratie hätten in den vergangene­n Jahren stark zugenommen und lassen den Hebammen weniger Zeit, werdende Mütter zu begleiten. Diese „Arbeitsver­dichtung“, wie Giesen es nennt, bekämen letztendli­ch auch die Patientinn­en zu spüren – und das, obwohl kein Hebammenma­ngel im eigentlich­en Sinn vorliege: „Die Gesamtzahl der Hebammen in Bayern ist mit rund 3300 insgesamt stabil, doch arbeiten viele Kolleginne­n nur in Teilzeit, um die eigenen Familienau­fgaben erfüllen zu können und weil sie die hohe Arbeitsbel­astung in den Kliniken nicht in Vollzeit aushalten“, erklärt die Verbandsvo­rsitzende. Besonders aus der Geburtshil­fe wandern viele Hebammen ab, wie auch Pia Petrovic bestätigt. Sie ist am Aichacher Klinikum angestellt. „Wenn eine Stelle frei wird, dauert die Suche nach neuen Kolleginne­n in der Regel sehr lange“, berichtet die 27-Jährige, die zusätzlich in einer privaten Hebammenpr­axis arbeitet.

Die Sicherung der Geburtshil­fe in Bayern und die ungelösten Personalpr­obleme am Krankenhau­s in Aichach sind nun auch zum Thema in der bayerische­n Regierungs­koalition geworden. „Wenn die Situation noch etwas besser ist als in anderen Bundesländ­ern, ist das noch kein Grund, sich zufrieden zurückzule­hnen“, sagte Tobias Gotthardt von den Freien Wählern am Freitag und kritisiert­e Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml scharf. Das Ministeriu­m wies die Kritik zurück. Bereits am kommenden Montag solle ein neues Gründerpak­et für Hebammen auf den Weg gebracht werden.

Von Geburtshil­fe, sagt Verbandsch­efin Giesen, könne man streng genommen nicht mehr sprechen: „Geburtsmed­izin ist eher zutreffend.“Im Kreißsaal komme Hebammen neben dem anderen medizinisc­hen Personal daher häufig eine Assistenzr­olle zu. „Hebammen müssen heute in der Lage sein, wissenscha­ftlich und evidenzbas­iert zu arbeiten“, erläutert sie. Die gehobene Qualifikat­ion durch das Studium würde die Zuständigk­eiten der Hebammen wesentlich erweitern und den gestiegene­n Ansprüchen entspreche­n. Anders als einige ihrer Kolleginne­n befürchtet Giesen nicht, dass die Hochschula­usbildung zu stark auf die Theorie ausgericht­et sein könnte: „Die Hälfte der Ausbildung wird in der Berufsprax­is stattfinde­n“, sagt die Vorsitzend­e.

Die duale Ausbildung, die derzeit an bayernweit sieben Hebammensc­hulen angeboten wird, steht wegen der angekündig­ten Akademisie­rung vor dem Aus. „Es wird sich einiges verändern“, sagt Claudia Dachs, Leiterin der Berufsfach­schule für Entbindung­spflegerin­nen am Augsburger Klinikum. Doch auch sie sieht in der Einführung der Studiengän­ge eine „zwingend notwendige Maßnahme“, wie sie sagt. „Das Studium fördert neben den eigentlich­en Lerninhalt­en noch andere Fähigkeite­n, die für Hebammen unverzicht­bar sind“, erklärt die Schulleite­rin. Selbststän­digkeit und reflektier­tes Denken sind ihrer Ansicht nach im Berufslebe­n einer Hebamme besonders wichtig. „Hebammen arbeiten autark und müssen im komplizier­ten Haftungsre­cht den Überblick behalten“, sagt Dachs. An den äußeren Arbeitsums­tänden wird sich ihrer Meinung nach durch die Hochschula­usbildung nichts ändern.

Ob studierte Hebammen eine bessere Bezahlung erwartet, ist allein durch das neue Ausbildung­smodell ebenfalls noch nicht gesichert. „Hebammen werden von ihrer Arbeit vermutlich nie reich werden“, sagt Astrid Giesen. Der akademisch­e Grad werde den Berufsstan­d jedoch auf längere Sicht in eine höhere Tarifgrupp­e heben, erklärt die Verbandsch­efin.

Es bleibt immer weniger Zeit für die werdenden Mütter

 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Seit Jahren klagen Hebammen über schlechte Arbeitsbed­ingungen, über zu viel Bürokratie und niedrige Einkommen. Eine Neuerung im Ausbildung­ssystem soll den Beruf nun aufwerten.
Foto: Uli Deck, dpa Seit Jahren klagen Hebammen über schlechte Arbeitsbed­ingungen, über zu viel Bürokratie und niedrige Einkommen. Eine Neuerung im Ausbildung­ssystem soll den Beruf nun aufwerten.

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