Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Kalte Zeit für Obdachlose
Notunterkünfte, Teestuben, Kältebusse: In Großstädten wie München gibt es zahlreiche Winter-Initiativen. Trotzdem erfrieren Menschen auf den Straßen
München Am Donnerstagmittag hat die Stadt München ein Obdachlosenlager unter der Wittelsbacherbrücke und der Reichenbrücke geräumt. Zeitweise haben unter den Brücken über 30 Personen gewohnt. Mehrmals habe man Streetworker zu den Obdachlosen geschickt, heißt es vom Sozialreferat. Doch vergebens. Die Stadt begründet die Auflösung des Camps damit, dass „sogenanntes wildes Kampieren in München nicht geduldet“werde. Zu groß sei die Gefahr, überfallen zu werden oder gar zu erfrieren. Dabei gibt es im Winter in Großstädten wie München Kältehilfen – private, kirchliche und städtische Initiativen. Ein Überblick.
Jede Kommune und jeder Landkreis ist gesetzlich dazu verpflichtet, Plätze in Notunterkünften bereitzustellen, allerdings nur für Bürger, die ortsansässig sind. Die Stadt Augsburg handelt nicht nach dieser Vorgabe, berichtet Sozialreferent Stefan Kiefer. Die Türen der beiden Notunterkünfte – Frauen und Männer werden getrennt untergebracht – stehen auch für auswärtige Obdachlose offen. Häufig sind das Menschen aus Osteuropa, die keinen Anspruch auf Wohnhilfeleistungen haben. Aktuell sind 283 Menschen in den zwei Notunterkünften untergebracht. Für Familien stehen 60 Wohnungen bereit.
In München ist Anfang November die sogenannte Kältehilfe gestartet. Unterschlupf finden nun alle Hilfsbedürftigen, unabhängig jeglicher Ansprüche auf Wohnhilfeleistungen. Etwa 850 Notquartiere stehen auf dem Gelände der Bayernkaserne für Obdachlose zur Verfügung, geöffnet ist von 17 bis 7 Uhr. Tagsüber können sich diese Menschen in der Tee- „Komm“oder in der Bahnhofsmission aufwärmen.
Im Winter 2016/2017 haben knapp 3100 obdachlose Menschen in der Landeshauptstadt den Kälteschutz genutzt. Ein Viertel übernachtete in der Notunterkunft länger als einen Monat, die Hälfte der Menschen blieb ein bis neun Tage. Nur elf Prozent dieser Obdachlosen waren Deutsche, am häufigsten kamen Bulgaren (22 Prozent) und Rumänen (25 Prozent), die auf die Wohnhilfe in Deutschland keinen Anspruch haben. Deshalb hat der Stadtrat beschlossen, ihnen auch im Sommer Unterkunft zu bieten.
In München leben Schätzungen zufolge etwa 500 Menschen auf der Straße. Um sich vor der Kälte zu schützen, nutzen einige den Flughafen. Deshalb haben die evangelische Kirche und der Flughafen gemeinsam das Projekt „Mose“ins Leben gerufen. Zwei Sozialarbeiter kümmern sich seit etwa einem Jahr um Obdachlose.
Nachts um drei Uhr setze man niemanden vor die Tür, erklärt Markus Jaehnert, einer der beiden Sozialarbeiter. Ziel sei es aber, diese Menschen wieder ins Sozialsystem zu integrieren. Viele Obdachlose wählen den Flughafen, weil er 24 Stunden am Tag überwacht wird, gut temperiert ist und kostenlose Waschräume bietet, erklärt Jaehnert. Momentan übernachten etwa 35 Personen tägstube lich am Flughafen – Tendenz steigend. Etwa 20 Personen halten sich den ganzen Tag dort auf. Im vergangenen Jahr hatten die Sozialarbeiter etwa 90 Klienten, ein Viertel konnte erfolgreich vermittelt werden, zum Beispiel an Entzugskliniken.
Denjenigen, die auf der Straße übernachten, hilft in München auch ein Kältebus. Ehrenamtliche Helfer fahren von Oktober bis März Plätze in der Innenstadt ab, auf denen sich bekannterweise Obdachlose aufhalten. Die Helfer verteilen zwar keine Kleidung, dafür aber eine warme Mahlzeit und Hygieneartikel. Der Kältebus finanziert sich aus Spenden, ist also kein städtisches Angebot.
Trotz zahlreicher Angebote gibt es im Winter Meldungen über Kältetote. Werena Rosenke von der Wohnungslosenhilfe spricht von 300 Kältetoten seit 1991 deutschlandweit. Dafür wurden Presseberichte der vergangenen 27 Jahre ausgewertet. Rosenke: „Das ist nur eine Mindestzahl, da nicht über jeden Vorfall berichtet wird.“Ein Sprecher des Polizeipräsidiums München erklärt auf Anfrage, dass man keine genauen Zahlen zu Kältetoten habe. Gleichzeitig bestätigt die Polizei, dass im Winter häufiger Tote im Freien aufgefunden werden. Diese Menschen gehen in die Statistik als „unbekannte Tote“ein. Ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Nord, unter dessen Zuständigkeit Augsburg fällt, erklärt, dass es in den vergangenen drei Jahren keine „klassischen Kältetoten“gegeben habe. Weiter heißt es, dass bei drei Menschen, die in diesem Zeitraum möglicherweise durch Unterkühlung gestorben sind, auch Vorerkrankungen oder starker Alkoholmissbrauch die Todesursachen gewesen sein könnten.