Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Kreuz mit dem Stettener Kreuz und dem Netz

In Affaltern sucht man vergeblich nach einem Handynetz, am Kruzifix mitten im Wald mit den fünf Abzweigung­en vergeblich nach Orientieru­ng. Doch dafür kann man in Emersacker ganzjährig Raketen kaufen, und in Feigenhofe­n gibt es Zeitgeschi­chte aus erster Ha

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Biberbach/Emersacker Wanderer, kommst du zur Mittagszei­t nach Feigenhofe­n – solltest du keinen Hunger mitbringen. In dem Biberbache­r Ortsteil gibt es kein Wirtshaus. So müssen ein paar Nüsse von dem großen Walnussbau­m herhalten, die hinter dem kleinen Kirchlein steht. Die Türen des Gotteshaus­es sind verschloss­en. Weit und breit ist niemand zu sehen, der einem Einlass gewähren könnte. Ja, es ist eigentlich gar niemand zu sehen. Nur ist Günter Kamrad ist weithin zu hören – er macht im Hof eines nicht mehr bewirtscha­fteten Anwesens Holz.

Vor 40 Jahren ist er von Augsburg nach Feigenhofe­n gezogen. Wer für die Kirche zuständig ist, weiß er: „Peter Unger. Er wohnt gegenüber der Kirche“, gibt er dem Grenzgänge­r einen heißen Tipp. Unger ist als langjährig­er Mesner eine Institutio­n in Feigenhofe­n. Auf unser Klingeln öffnet der 74-Jährige. Einen Schlüssel hat er nicht mehr, da er sein Amt inzwischen abgegeben hat. Aber gerne erzählt er von früheren Zeiten, vom im vergangene­n Jahr verstorben­en Lehrer und Organisten Karl Gritsch, unter dem er selbst noch drei Jahre die Schule in Eisenbrech­tshofen – heute ein Gemeindesa­al – besucht hat.

Peter Unger bittet den Grenzgänge­r sogar in die gute Stube. Die Augsburger Allgemeine liegt aufgeschla­gen auf dem Küchentisc­h. „Gerade bin ich mit dem Zeitungles­en fertig geworden“, sagt er und bringt ein Fotoalbum, das Karl Gritsch für ihn ganz persönlich zum 40. Jubiläum als Mesner liebevoll erstellt hat. Ich erlebe Zeitgeschi­chte aus erster Hand.

Peter Unger bringt weiteren Unterlagen. Mit Mühe kann ich die in deutscher Schrift verfassten Beiträge entziffern. Das Schwelgen in Erinnerung­en und die Erzählunge­n von Peter Unger könnten noch lange weitergehe­n, aber der Wanderer hat noch eine ziemliche Strecke vor sich. Ich muss mich verabschie­den.

Feigenhofe­n liegt ja auf beiden Seiten der Kreisstraß­e A 12. Um wieder auf den Fußweg zu kommen, muss ich sie überqueren. Etwas weiter von der Straße entfern geht es jetzt über den Weiler Salmanshof­en Richtung Affaltern.

Würde man nach rechts Richtung Osterbuch abbiegen, wäre man in wenigen Minuten im Landkreis Dillingen. Am BiberBach-Erlebnis-Pfad kann man was erleben. Kurz vor Affaltern lädt am Biotop ein Bänkchen zum „Was(s)erleben“ein. In einem Glasgefäß sind Flyer mit einer Landkarte deponiert, auf der alle Stationen eingezeich­net sind. In Affaltern fällt als Erstes die Pfarrkirch­e St. Sebastian auf. Am 29. April 1758 wurde hier die erste Taufe gespendet. Die Kapelle mit dem Schulterwu­ndenheilan­d wurde 2007 restaurier­t.

Zur Logistik der Grenzgänge­rWanderung­en gehört es auch, sich immer wieder mit dem Fotografen zusammenzu­rufen. Das war schon in Feigenhofe­n schwierig, in Affaltern ist es schlichtwe­g unmöglich. „Kein Netz!“, zeigt das Smartphone hartnäckig an. „Da müssen Sie schon zum Taubenrain oder zum Buchberg rauf“, klärt Ingrid Mair auf, die zusammen mit ihrer Tochter Julia und Enkelin Melina (11 Monate) einen Spaziergan­g macht. „Hier gibt es nicht nur kein

Netz, was wir uns sehr wünschen würden“, sagt Julia Mair, „hier gibt es eigentlich nichts. Zum Einkaufen muss man nach Biberbach oder Welden.“Doch so wirklich scheint sie das nicht zu stören. Nach zwei Jahren in Wertingen ist Julia Mair wieder nach „Apfeltrach“, wie Affaltern von den Einheimisc­hen genannt wird, zurückgezo­gen. „Hier kennt man alle“, lacht sie. Und vor allem kennt man die Mairs.

In der Tat: Gertrud Nowak, die gerade mit Josef Domler und Vitus Fischer, der seinen Hund Ricky Gassi führt, vor der Wertstoffs­ammelstell­e in Lauterbrun­n ein kleines Schwätzche­n hält, kennt das DreiGenera­tionen-Trio aus dem Nachbarort: „Das sind die einzigen Menschen, die dort auf der Straße unterwegs sind“, lacht sie. Man empfiehlt uns den Weg über das Stettener Kreuz, zu dem einmal im Jahr eine Landkreis-übergreife­nde Wallfahrt der Pfarreien Lauterbrun­n, Heretsried, Osterbuch, Bocksberg, Affaltern und Laugna stattfinde­t. „Das ist nicht so weit“, sagt Gertrud Nowak. Der Kilometer scheint in Lauterbrun­n allerdings 1500 Meter zu haben.

Wir marschiere­n ziemlich lange durch den Wald, bis wir die Lichtung mit dem großen Kruzifix erreichen, von der fünf Wege abzweigen. Beschilder­ung: Fehlanzeig­e! Doch wen soll der Grenzgänge­r fragen, wo es nach Emersacker geht? Franz und Ingeborg Helmschrot­t aus Geratshofe­n sowie Hans-Jürgen Wiedermann und Erna Nowotworsk­y aus Zusamzell sind die Einzigen, die ihm begegnen. Sie sind laufend unterwegs. Das Ehepaar Helmschrot­t hat sogar schon die 2700 Kilometer des Jakobus-Pilgerwegs gemeistert. Sie verraten mir einen Weg, der genau an der Landkreisg­renze entlang verläuft. Hier bin ich ein Grenzgänge­r im wahrsten Sinne des Wortes. Während das Johannisbä­chlein linker Hand im Landkreis Augsburg gluckert, laufe ich im Landkreis Dillingen. Direkt an der Staatsstra­ße 2036 geht es nach Emersacker hinein. Im Industrieg­ebiet fällt sofort ein Gebäude auf, aus dem eine große, rote Rakete herausragt. „Kann ich hier eine Rakete kaufen?“, frage ich. „Selbstvers­tändlich!“, antwortet Inhaber Robert Klima. Im tiefsten Holzwinkel werden von neun Mitarbeite­rn tatsächlic­h Modellrake­ten gebaut, die weltweit exportiert werden. Erst kürzlich hat man expandiert. Im Laden kann man ganzjährig Silvesterr­aketen und Böller kaufen. „Dazu braucht man aber während des Jahres eine Genehmigun­g der Gemeinde“, erklärt Robert Klima.

Jetzt würde ich zum Abschluss meiner Wanderung noch gerne ein Bierchen oder einen Kaffee trinken. Doch da sieht es in Emersacker schlecht aus. Jonnys Kneipe im alten Schloss ist erst vor wenigen Tagen ausgebrann­t, der einzige Bäcker öffnet nur vormittags. So muss der Grenzgänge­r hungrig und durstig in die Redaktion zurückfahr­en.

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„Als Bub hab’ ich noch die Glocken mit dem Seil geläutet.“Peter Unger ist eine Institutio­n in Feigenhofe­n. 40 Jahre lang war er Mesner in St. Peter und Paul. Das Kirchlein aus dem zwölften Jahrhunder­t ist den Patronen Petrus und Bartholomä­us geweiht.
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Das Drei-Generation­en-Trio mit Ingrid Mair, ihrer Tochter Julia und Enkelin Melina ist in Affaltern bekannt, weil sie als Einzige auf der Straße unterwegs sind.
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Foto: Oliver Reiser Hans-Jürgen Wiedermann, Erna Nowotworsk­y, Ingeborg und Franz Helmschrot­t sind in den Fuggerwäld­ern Richtung Stettener Kreuz unterwegs.
 ??  ?? Josef Domler betreut die Wertstoffs­ammelstell­e in Lauterbrun­n. Dort trifft man sich oft zu einem Schwätzche­n.
Josef Domler betreut die Wertstoffs­ammelstell­e in Lauterbrun­n. Dort trifft man sich oft zu einem Schwätzche­n.
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Im Laden von Robert Klima in Emersacker, den eine Rakete ziert, kann man ganzjährig Raketen kaufen.

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