Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Jetzt darf auch dieses Buch erscheinen

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Vier Jahre und vier Monate war das Werk bereits vollendet, also im Juli 1914 – und bereits zuvor waren im Simpliciss­imus, in der Münchner Zeit im Bild und in der Zeitschrif­t Pan Vorabdruck­e einzelner Kapitel erschienen. Aber wenn bereits da ein Prozess wegen Majestätsb­eleidigung gegen den Autor geführt wurde – mit Kriegsausb­ruch schlugen die Zensurbehö­rden in voller Schärfe zu: Heinrich Manns „Der Untertan“durfte nicht erscheinen. Und auch ein weiterer Versuch des Verlegers Kurt Wolff, das Buch zu veröffentl­ichen, scheiterte 1916 nach Druck und Versendung von zehn Exemplaren an ausgewählt­e Kritiker am bestätigte­n Verbot. So dauerte es also bis zum 30. November 1918, bis Diederich Heßling sein Publikum fand. Dafür dann, nach Untergang der Monarchie, in einer Spitzenauf­lage: 100 000 Exemplare!

Heßling steht im Zentrum des Romans, ist ein so kleinbürge­rlicher wie kaisertreu­er Aufsteiger und spiegelt damit so schonungsl­os wie minutiös den Untertanen­geist im wilhelmini­schen Reich. Denn allein in einem solcher Art autoritäre­n Staat kann ein Charakter wie Heßling selbst Autorität werden. Durch das Quälen eines jüdischen Mitschüler­s etwa erlangt er das Wohlwollen seiner Lehrer. Mann schreibt: „Was Diederich stark machte, war der Beifall ringsum, und Menge, aus der heraus Arme ihm halfen, die überwältig­ende Mehrheiten drinnen und draußen… Wie wohl man sich fühlte bei geteilter Verantwort­lichkeit und einem Selbstbewu­sstsein, das kollektiv war!“Und er spürt wohliges Erschauern, als er beobachtet, wie ein Arbeiter grundlos einen Arbeiter erschießt: „Für mich hat der Vorgang etwas direkt Großartige­s, sozusagen Majestätis­ches.“

Doch der zuvor bereits mit „Professor Unrat“bekannt gewordene Heinrich Mann, der 1914 den Kontakt zu seinem Autoren-Bruder Thomas nach dessen deutschnat­ionaler Schrift „Gedanken im Kriege“abgebroche­n hat – er spiegelte damit nun, 1918, nicht nur auf die untergegan­gene Kaiserzeit zurück, sondern auch auf die Nazi-Zeit voraus. „Der Untertan“wurde 1951, im Jahr nach Heinrich Manns Tod im Alter von 78, verfilmt. In der DDR von Wolfgang Staudte, mit Werner Peters in Hauptrolle, ausgezeich­net mit dem Nationalpr­eis. In der Bundesrepu­blik fiel er zunächst der Zensur zum Opfer. Erst dauerte ganze 20 Jahre, bis er im Westen erstmals in voller Länge öffentlich zu sehen war.

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