Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Er wollte nicht auf der Mauer tanzen

George Bush hatte nur eine Amtszeit als US-Präsident. Aber es gelang ihm, die Weichen für die Wiedervere­inigung Deutschlan­ds zu stellen. Er bewies eine politische Klugheit, wie man sie heute kaum noch erwarten kann. Jetzt ist er mit 94 Jahren gestorben

- VON WINFRIED ZÜFLE UND THOMAS SPANG

Washington Es war im Juli 1988. Der bayerische Ministerpr­äsident Franz Josef Strauß hatte soeben den scheidende­n US-Präsidente­n Ronald Reagan im Weißen Haus besucht, vor den Journalist­en eine kurze Erklärung abgegeben und sich in Richtung Ausgang aufgemacht. Da sprang ein schlanker, sportliche­r Mann, dem man seine 64 Jahre nicht ansah, über eine Hecke, eilte auf den CSU-Chef zu und begrüßte ihn herzlich als „Freund“. Es war Vizepräsid­ent George Bush, der Präsidents­chaftskand­idat der Republikan­er für die Wahlen im November, der spätere 41. Präsident der USA.

Als ein Jahr später die Berliner Mauer fiel, sollte sich zeigen, welch guten Freund Deutschlan­d in George Herbert Walker Bush hatte, der am Freitag im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in Houston im US-Bundesstaa­t Texas gestorben ist. Er war der einzige Chef einer der Siegermäch­te des Zweiten Weltkriegs, der von Anfang an vorbehaltl­os den Wunsch der Deutschen nach Wiedervere­inigung unterstütz­te. Die Britin Margaret Thatcher blieb bis zuletzt skeptisch, der Franzose François Mitterrand erwartete deutsche Zusagen für ein weiteres Zusammenwa­chsen Europas und der sowjetisch­e Staats- und Parteichef Michail Gorbatscho­w musste erst Widerständ­e im eigenen Lager überwinden. Für Bush aber, schon als Vizepräsid­ent die unmenschli­che Grenze in Deutschlan­d gesehen hatte, stand fest, dass Europa geeint und frei sein sollte.

Dabei zeigte der US-Präsident eine Klugheit, die man seinem aktuellen Nachfolger nicht zutraut. Bush verzichtet­e auf Siegerpose­n, die seinem Gegenüber Zugeständn­isse unmöglich gemacht hätten. Vielmehr sagte er Gorbatscho­w zu, „nicht auf der Berliner Mauer zu tanzen“. Dafür nahmen die Zwei-plus-vier-Gespräche zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermäch­ten einen guten Verlauf. 1991 war Deutschlan­d ein souveräner und wiedervere­inigter Staat.

War das politische Wirken Bushs bei der deutschen Einheit von überlegter Zurückhalt­ung geprägt, zeig- der junge Marineflie­ger Bush im Zweiten Weltkrieg seine tollkühne Seite. Mit 18 meldete er sich 1942 freiwillig zur Marine. Noch im selben Jahr wurde er über dem Südpazifik von den Japanern abgeschoss­en. Seine Kameraden kamen ums Leben. Bush überlebte dank des glückliche­n Zufalls, dass nahe der Absturzste­lle ein amerikanis­ches U-Boot patrouilli­erte.

Die Kriegserfa­hrung hat ihn sein Leben lang nicht losgelasse­n. Und überzeugte ihn, der Diplomatie immer den Vorrang zu geben. George Herbert Walker Bush war als Sohn des späteren Senators von Connecticu­t, Prescott Bush, zur Welt gekommen. Vater wie Mutter Bush entstammte­n dem politische­n Ostküsten-Adel. Bushs Ehefrau Barbader ra, die er 1945 heiratete und mit der er sechs Kinder bekam, war eine direkte Nachfahrin des 14. US-Präsidente­n, Franklin Pierce.

Seine Karriere begann 1966 als Kandidat für den US-Kongress in einem Wahlbezirk von Houston. Nach fünf Jahren im Repräsenta­ntenhaus wechselte er 1971 als Botschafte­r der USA an den Sitz der Vereinten Nationen in New York. Mitte der 1970er Jahre nahm der in Yale ausgebilde­te Ökonom den Posten als erster Botschafte­r der USA in der Volksrepub­lik China an. Einen Job, den er sehr bald gegen den an der Spitze des Auslandsge­heimdienst­es CIA eintauscht­e.

1980 trat er erstmals in einem Rennen um die republikan­ische Präsidents­chaftskand­idatur an. Gete gen das Charisma des ehemaligen Schauspiel­ers und Gouverneur­s von Kalifornie­n, Ronald Reagan, war er chancenlos. Doch Reagan machte ihn zu seinem Vize. Zwei Legislatur­perioden (1980-1988) lang stand er loyal hinter dem populären Präsidente­n. 1988 setzte sich Bush in seiner Partei durch und deklassier­te den Demokraten Michael Dukakis. In seiner Rede zum Amtsantrit­t auf den Stufen des Capitols prophezeit­e er den totalitäre­n kommunisti­schen Systemen ihr nahes Ende. Sie würden „hinwegwehe­n wie die Blätter an einem leblosen Baum“.

Bush senior, wie er seit der Präsidents­chaft seines Sohnes George W. (2001-2009) genannt wurde, scheute trotz seiner Präferenz für die Diplomatie nicht den Einsatz militärisc­her Macht. So befahl er die Entfernung des korrupten Diktators in Panama, Manuel Noriega, den Invasionst­ruppen 1990 verhaftete­n. Und er schmiedete unter dem Dach der UN eine Koalition gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein, der das Nachbarlan­d Kuwait besetzt hatte. Bush entschied sich nach der Befreiung Kuwaits im Februar 1991, nicht über die UN-Resolution hinauszuge­hen. Er beendete den Krieg und ließ Saddam an der Macht.

Trotz des erfolgreic­hen Kriegs gegen den Irak verlor Bush senior die nächste Präsidents­chaftswahl 1992 gegen den jungen Demokraten Bill Clinton. Der Republikan­er wusste keine Antwort auf die beginnende Wirtschaft­skrise. Und es rächte sich bitter, dass er ein Wahlverspr­echen brach: „Lest es von meinen Lippen: keine Steuererhö­hung“, hatte er gesagt. Aber dann legte der Präsident kein Veto gegen eine vom Kongress beschlosse­ne Anhebung von Abgaben ein – ein unverzeihl­icher Fehler.

Im Ruhestand versöhnte er sich mit seinem Nachfolger Clinton, als Ex-Präsidente­n unterstütz­ten beide soziale Projekte. Clinton brachte ihm stets ein paar grellbunte Socken mit, wie er sie liebte. Noch an seinem 90. Geburtstag machte George Herbert Walker Bush einen Tandem-Fallschirm­sprung. Am Mittwoch soll Bush mit einer Trauerfeie­r in der Nationalen Kathedrale in Washington geehrt werden.

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Foto: Konrad Giehr, dpa Vizepräsid­ent George Bush (4. von links) besuchte 1983 mit Kanzler Kohl und Bürgermeis­ter Weizsäcker samt Ehefrauen die Berliner Mauer.
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Foto: Winfried Züfle Freund der Deutschen: Bush wollte 1988 unbedingt den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Strauß (rechts) auf dessen Washington-Reise treffen.
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Foto: Jerome Delay, afp Als Präsident verhandelt­e Bush nach dem Mauerfall mit dem sowjetisch­en Staatsund Parteichef Gorbatscho­w über die Zukunft Europas.
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Foto: Imago Das Ehepaar Bush mit Kindern und Enkeln: neben dem Familienob­erhaupt (Mitte) die Söhne Jeb (links) und George W. (rechts).
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Foto: afp George Bush 1960 mit seiner Frau Barbara, mit der er 73 Jahre lang verheirate­t war.
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Foto: B. Smialowski, afp Der Senior liebte grellbunte Socken, sogar im Rollstuhl.

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