Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der brüchige Burgfriede­n von Buenos Aires

Nach außen wirkt alles harmonisch. Sogar Trump gibt sich handzahm. Aber der Ertrag ist dünn. Merkel kommt und geht als Letzte

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Buenos Aires Das wichtigste Ereignis des G20-Gipfels findet nach dessen Ende statt. Als die meisten Staats- und Regierungs­chefs schon längst abgereist sind, sitzen zwei der Mächtigste­n beim Abendessen in einem Luxushotel in Buenos Aires zusammen und entschärfe­n einen Streit, der die gesamte Weltwirtsc­haft massiv zu belasten droht. USPräsiden­t Donald Trump und der chinesisch­e Staatschef Xi Jinping kommen nach monatelang­er Auseinande­rsetzung überein, sich ab dem 1. Januar nicht mehr mit zusätzlich­en Zöllen zu bekriegen – und weiter zu verhandeln.

Damit hat dieses zweitägige, von 25000 Sicherheit­skräften bewachte Treffen doch noch ein Ergebnis mit ganz konkreten Folgen. Von der Abschlusse­rklärung der führenden Wirtschaft­snationen kann man das nicht behaupten. Der größte Erfolg dabei ist, dass es die Erklärung überhaupt gibt. Ein Scheitern der Verhandlun­gen darüber wäre ein Novum und ein Offenbarun­gseid der G20 gewesen.

Immerhin soll die Welthandel­sorganisat­ion reformiert werden, um die Spielregel­n im Handel untereinan­der neu zu definieren. Die Multilater­alisten in der G20, die gegen Nationalis­mus und für internatio­nale Regeln und Institutio­nen kämpfen, verbuchen dies durchaus als Erfolg, weil die WTO somit als internatio­nale Organisati­on nicht grundsätzl­ich infrage gestellt wird. Aber auch die Amerikaner jubeln: Endlich, so heißt es aus dem Weißen Haus, sei der Reformbeda­rf bei der WTO erkannt.

Die Risse unter den größten Wirtschaft­snationen, die Krise des Westens, das alles lässt sich auch in Buenos Aires nicht übertünche­n. Nächtelang feilen die Sherpas an Formelkomp­romissen, die dann jeder nach Gutdünken interpreti­eren kann. Es ist bezeichnen­d für den Zustand der Welt, dass hart gerungen werden muss, um in der Abschlusse­rklärung überhaupt noch ein Bekenntnis zum Multilater­alismus unterzubri­ngen, dem Ringen um gemeinsame Leitplanke­n in der internatio­nalen Politik. Ganze drei Mal taucht das Wort „multilater­al“im Kommuniqué auf, nur ein Mal ein Lieblingsw­ort von Kanzlerin Angela Merkel: „Regelbasie­rt“.

Die deutsche Regierungs­chefin ist nach ihrer Flugzeugpa­nne mit zwölf Stunden Verspätung nach Buenos Aires gekommen, um in Zeiten von Abschottun­g und Kriegsgefa­hren die Fahne dieses Multilater­alismus hochzuhalt­en. „Es lohnt sich, dafür zu kämpfen“, sagt sie. „Bisher haben die Kämpfe auch immer gewisse Erfolge gezeigt. Aber es ist schwerer geworden.“

Das Pech mit dem Regierungs­flieger verkürzt ihre Gipfelteil­nahme fast um einen ganzen Tag. In die wenigen Stunden, die ihr bleiben, packt sie alles rein, was geht. Fünf bilaterale Gespräche, zwei Arbeitssit­zungen in großer Runde, dazwischen noch ein Termin für die Medien. Der mit ihr gereiste Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) spricht von „Speed-Dating“. Beide gehören zur Fraktion: Reden lohnt sich.

Merkel macht nach dem Beginn ihres Rückzugs auf Raten aus der Politik nicht den Eindruck einer „lahmen Ente“auf der Weltbühne. Im Gegenteil: Sie wird gebraucht, auch wenn sie selbst etwa in Klimafrage­n nicht mehr so sehr Vorreiteri­n ist: Stichwort Kohle- und Dieselpoli­tik. Aber gerade in der verworrene­n Lage im Ukraine-Konflikt schauen viele am Rio de la Plata auf sie. Deutschlan­d versucht seit viereinhal­b Jahren hier zu vermitteln, zwar mit mäßigem Erfolg, genießt aber immer noch mehr Vertrauen auf beiden Seiten als jedes andere Schwergewi­cht in der internatio­nalen Politik. Auch Trump sieht das so: „Angela, lasst uns Angela einbeziehe­n“, forderte er vor dem Gipfel mit Blick auf die Festsetzun­g ukrainisch­er Schiffe durch die russische Küstenwach­e vor der Halbinsel Krim.

Merkel versucht, in einem Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin zu deeskalier­en. Der zeigt sich aber wenig entgegenko­mmend. Nach Gipfelende richtet er im Stile Trumps eine deftige Drohung an die ukrainisch­e Regierung: „Das ist eine Partei des Krieges, und solange sie an der Macht ist, werden Tragödien dieser Art und der Krieg andauern.“Das Thema wird Merkel weiter ziemlich beschäftig­en.

Mit Trump redet Merkel auch, 30 Minuten lang, in einem schmucklos­en Raum in der Messehalle am Rio de la Plata. Der schwärmt erst einmal von der „großartige­n Beziehung“zur Kanzlerin. Aber wo er Deutschlan­d sonst gerne mal via Kurznachri­chtendiens­t beschimpft­e, gibt er sich am Rio de la Plata ziemlich zahm – er will diesen Gipfel anders als beim G7-Treffen im Mai nicht sprengen. Über seine PRWaffe Twitter kommen vor allem warme Worte: Trump lobt seinen während des Gipfels gestorbene­n Vorgänger George H. W. Bush, bedankt sich artig bei den Gipfel-Gastgebern und den Kollegen für tolle Gespräche und produktive­s Arbeiten. Die Pressekonf­erenz zum Gipfelabsc­hluss sagt Trump dann auch noch ab – angeblich aus Respekt vor der trauernden Familie Bush.

Merkel war übrigens nicht nur die Letzte, die zum Gipfel eintraf, sondern tritt auch ihre Rückreise ungewöhnli­ch spät an. Am Ende hat sie plötzlich ganz viel Zeit, spaziert durch Buenos Aires, sogar für einen Steakhaus-Besuch reicht es noch. Weil die Crew des nach Buenos Aires beorderten Ersatzflie­gers die Ruhezeiten beachten muss, genießt die Kanzlerin bei Frühlingst­emperature­n einen freien Abend in Argentinie­ns Hauptstadt. Blitzschne­ll spricht sich das herum. Als sie das Steakhaus „Don Julio“verlässt, stehen draußen über hundert Leute, feiern sie mit „Angela, Angela“-Rufen. Szenen, die es in Deutschlan­d nicht mehr so oft gibt.

Georg Ismar, Michael Donhauser und Michael Fischer, dpa

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Foto: Imago Ohne „Angela“geht es nicht: Bundeskanz­lerin Merkel neben US-Präsident Donald Trump beim G20-Gipfel in Argentinie­n.

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