Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Durch nichts zu rechtfertigen
Paris Ein Loch klafft in der rechten Gesichtshälfte einer Skulptur der Marianne, der Symbolfigur Frankreichs, im Inneren des Pariser Triumphbogens. Der Souvenir-Laden ist verwüstet, eine Außenmauer beschmiert: Es sind verstörende Bilder, die von der Eskalation der Gewalt bei einem Aufmarsch der Bewegung der „Gelben Westen“(Gilets jaunes) am Samstag zeugen.
Demonstranten in neongelben Warnwesten und teilweise vermummt hatten sich Straßenkämpfe mit den Sicherheitskräften geliefert. Sie warfen mit Steinen und Feuergeschossen und errichteten Barrikaden. Die Polizei setzte Feuerwerfer und Tränengas ein und brachte so auch friedlich Demonstrierende gegen sich auf. Autos und Einsatzwagen wurden angezündet, Schaufenster mit Äxten und Metallstangen zertrümmert, Supermärkte geplündert. Die Feuerwehr musste Bewohner aus Häusern evakuieren, die an eine brennende Bankfiliale angrenzen. Am Abend vermengte sich an Frankreichs berühmtestem Kreisverkehr um den Triumphbogen schwarzer Feuerrauch mit den weißen Wolken von Tränengas.
So war der dritte Aktionstag der „Gelben Westen“eskaliert, jener Bewegung gegen Steuererhöhungen für Kraftstoff und generell gegen eine sinkende Kaufkraft. Die Gruppierung hat sich spontan in den sozialen Netzwerken und abseits der etablierten Parteien und Gewerkschaften gebildet. Ging die Zahl der Demonstranten im Vergleich zum ersten Protesttag vor drei Wochen deutlich zurück, so hat sich die Bewegung inzwischen radikalisiert.
Dennoch wird sie bislang von einer großen Mehrheit der Franzosen
Paris und – in etwas weniger spektakulärer Form – auch andere französische Städte haben am Samstag ein erschütterndes Ausmaß an Gewalt und Anarchie erlebt. Die Bilanz von drei Aktions-Samstagen der „Gelben Westen“beläuft sich auf drei Tote, hunderte Verletzte und Festgenommene. Was als Volksprotest gegen steigende Steuern auf Kraftstoff begann und bald zu einer allgemeineren Widerstandsbewegung gegen die Regierung wurde, hat sich inzwischen zu einem schwer kontrollierbaren Ausbruch von Wut ausgewachsen. Auch der Zerstörungswut.
So berechtigt die Klagen vieler Franzosen sind und so legitim ihre Kritik an der Regierung erscheint, die die sozialen und gesellschaftlichen Spaltungen vergrößert statt ausgleicht – die Gewaltszenen vom Samstag sind durch nichts zu rechtfertigen. Sie gehen überwiegend auf das Konto einer randalierenden Minderheit.
Die Ursachen dafür liegen nicht in der Wahl Emmanuel Macrons im Mai 2017 begründet, sie reichen länger zurück. Gewaltexplosionen auf der Straße hat Frankreich in den vergangenen Jahren mehrfach erlebt. Aber auch Macron gelang bisher nicht, woran schon seine Vorgänger scheiterten: Den Menschen wieder Vertrauen in die Zukunft zu geben und ihnen die Abstiegsangst zu nehmen.