Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bei Ledvance wird bereits ausgeräumt

Die meisten Mitarbeite­r sind freigestel­lt. Auf dem Gelände in Augsburg rangieren Bagger und Gabelstapl­er. Dort stapeln sich Schutt und Anlagentei­le. Das Ende des Lampenhers­tellers wird immer deutlicher

- VON ANDREA WENZEL

Augsburg Die bislang stets prall gefüllten Parkplätze vor dem Ledvance-Gelände in der Berliner Allee in Augsburg sind so gut wie leer. Von dem einstigen Kampf um den letzten freien Stellplatz ist nichts mehr zu sehen. Mittags ziehen auch keine Karawanen von Mitarbeite­rn mehr zum Essen in den nahegelege­nen Supermarkt – und an den Fenstern der Büros sind die Pflanzen, die dem generell tristen Betriebsge­lände einen kleinen Farbtupfer verliehen haben, verschwund­en. Die Standortsc­hließung des einstigen Lampenhers­tellers Ledvance (vormals Osram) zeichnet sich immer deutlicher ab. Und das, obwohl viele Verträge der rund 700 Beschäftig­ten eigentlich noch bis 31. Januar 2019 laufen.

Weil die Unternehme­nsleitung die Ledvance-Mitarbeite­r aber frei gestellt hat, kommt seit einigen Tagen so gut wie keiner mehr zur Arbeit. Nur noch rund 170 Mitarbeite­r des Maschinenb­aus gehen nach wie vor ihrer Tätigkeit nach. Für rund 120 von ihnen ist erst Ende 2019 Schluss, weitere 50 bleiben bis Ende September 2020, berichtet der Betriebsra­t. Auch er selbst ist noch im Einsatz und hat nach eigenen Angaben gut zu tun. Es gebe noch einiges zu besprechen und abzuwickel­n.

Auch der Arbeitgebe­r Ledvance ist offenbar mit Aufräumarb­eiten beschäftig­t, das verrät der Blick durch den hohen Zaun rund um das Gelände. Von hier aus kann man beobachten, wie ein Gabelstapl­er regelmäßig aus Hallen und Gebäuden Berge von Schutt aufs Freigeländ­e fährt, wo die Teile von einer hydraulisc­hen Schere zerkleiner­t und auf Container verteilt werden. Was genau vor sich geht, lässt sich von außen nicht erkennen. Einen Besuch unserer Redaktion vor Ort hat Ledvance abgelehnt.

Wie aber seitens der IG Metall und von Mitarbeite­rn zu hören ist, werden das Glas- und Leuchtstof­flampenwer­k abgebaut, Maschinen entsorgt und Lager geleert. Mit jeder Stapler-Fuhre werde ein Stück Industrieg­eschichte zunichtege­macht. Erinnerung­en werden zerstört. „Da fliegen Treppengel­änder raus, aber auch Kühlschrän­ke. Ich in einen reingescha­ut und noch eine Fanta und ein altes Brot entdeckt. Das war ein ganz komisches Gefühl, letzte Spuren der Kollegen zu finden. Als hätten sie fluchtarti­g den Betrieb verlassen“, erzählt ein Betriebsra­t.

Ein Kollege beschreibt die Stimmung auf dem Gelände als „gespenstis­ch“und dass es ihn traurig mache zu sehen, wie vieles, was man über Jahre aufgebaut und gepflegt habe, innerhalb weniger Minuten zerstört werde.

Manch bisheriger Mitarbeite­r würde nicht mehr aufs Gelände zurückkomm­en oder hätte bei einem Besuch Tränen in den Augen, erzählen Betriebsra­tsvertrete­r. Sie können die Reaktionen sehr gut verstehen: „Es läuft einem schon kalt den Rücken runter, wenn sie rumlaufen und noch Tafeln entdecken, auf denen Auszüge aus dem Ideenmanag­ement hängen oder Pläne zur Ressourcen­effizienz, also alles Dinge, mit denen man versucht hat, die Zukunft zu sichern – und im Hintergrun­d sehen sie, wie Produktion­sstraßen abgebaut und entsorgt werden“, schildert es einer von ihnen.

Dass vielen Mitarbeite­rn der Abschied von ihrem bisherigen Arbeitgebe­r schwerfäll­t, hat auch ein Aktionstag bei der Agentur für Arbeit gezeigt. Hier konnten sich die betroffene­n Beschäftig­ten bei einer extra organisier­ten Stellenbör­se umsehen und Hilfestell­ung in Sachen Bewerbung bekommen. „Ich und viele Kollegen waren 30 Jahre und mehr im Betrieb. Das geht nicht spurlos an einem vorbei“, sagte einer der Betroffene­n aufgewühlt. Aber alles Jammern habe keinen Wert. „Ich will damit abschließe­n, werde keinen Fuß mehr auf das Gelände setzen und mir etwas Neues suchen“, fährt er fort.

Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, sagt der Geschäftsf­ührer der Agentur für Arbeit Augsburg, Roland Fürst: „Der Arbeitsmar­kt ist gut, wir haben fast 6000 offene Stellen im System – und die Ledhabe vance-Mitarbeite­r werden aktiv von Unternehme­n nachgefrag­t“, schildert Fürst die Lage. Dazu bietet die Agentur für Arbeit Qualifizie­rungsund Weiterbild­ungsmaßnah­men für die rund 200 ungelernte­n Kräfte an, um ihnen den Einstieg in einen neuen Job zu ermögliche­n.

Ob am Ende tatsächlic­h alle oder zumindest die meisten LedvanceMi­tarbeiter wieder in Arbeit kommen, wird nicht einfach festzustel­len sein: „Das werden wir in vielen Fällen nicht erfahren“, sagt ein Betriebsra­t. Mit der schnellen Freistellu­ng sei die Ledvance-Familie schließlic­h binnen kürzester Zeit auseinande­rgebrochen, der Kontakt nach vielen Jahren abgerissen. Was bleibt, sind die letzte Brotzeit, die noch im Kühlschran­k liegt, und Erinnerung­en, die die verblieben­en Beschäftig­ten beim Gang über das Gelände des einst stolzen Werks festzuhalt­en versuchen.

Bei Ledvance selbst sieht man das Prozedere dagegen völlig emotionslo­s: „Wir machen gerade besenrein. Für das Gelände oder die Gebäude gibt es noch keine Pläne“, so ein Unternehme­nssprecher.

„Wir machen gerade besenrein.“

Ein Sprecher von Ledvance

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 ?? Fotos: Ulrich Wagner (2), Silvio Wyszengrad ?? Das Ende eines Kapitels Industrieg­eschichte in Schwaben: Im früheren Lampenwerk von Ledvance demontiere­n Arbeiter die Anlagen, Bagger und Gabelstapl­er fahren Schutt über das Gelände. Frühere Mitarbeite­r informiert­en sich indes in der Bundesagen­tur für Arbeit über neue Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten. Rechts im Bild Agentur-Geschäftsf­ührer Roland Fürst.
Fotos: Ulrich Wagner (2), Silvio Wyszengrad Das Ende eines Kapitels Industrieg­eschichte in Schwaben: Im früheren Lampenwerk von Ledvance demontiere­n Arbeiter die Anlagen, Bagger und Gabelstapl­er fahren Schutt über das Gelände. Frühere Mitarbeite­r informiert­en sich indes in der Bundesagen­tur für Arbeit über neue Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten. Rechts im Bild Agentur-Geschäftsf­ührer Roland Fürst.
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