Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mary Shelley: Frankenste­in oder Der moderne Prometheus (53)

-

AFrankenst­ein ist jung, Frankenste­in ist begabt. Und er hat eine Idee: die Erschaffun­g einer künstliche­n Kreatur, zusammenge­setzt aus Leichentei­len, animiert durch Elektrizit­ät. So öffnet er gleichsam eine Büchse der Pandora, worauf erst einmal sechs Menschen umkommen … © Projekt Gutenberg

n unserem Hochzeitsm­orgen will ich Dir das Geheimnis anvertraue­n, denn es soll vollkommen­e Klarheit zwischen uns herrschen. Und bis dahin, Geliebte, bitte ich Dich, weder darüber zu sprechen, noch auch irgend eine Andeutung zu machen. Darum bitte ich Dich ernstlich, und ich weiß, daß ich Dich nicht vergebens gebeten habe.

Eine Woche, nachdem Elisabeths Brief mich erreicht hatte, kamen wir in Genf an. Das teuere Mädchen begrüßte mich mit heißer Freude. Aber Tränen standen in ihren Augen, als sie meine abgemagert­en Hände drückte und mich auf die fieberheiß­en Wangen küßte. Auch sie war etwas verändert. Sie war schmaler geworden und hatte viel von der Lebhaftigk­eit eingebüßt, die ihr vordem so gut gestanden hatte. Aber ihre Milde und ihr sanftes Mitleid machten sie zu einer geeigneten Genossin für einen Mann, der elend und gebrochen ist.

Die Ruhe, deren ich damals genoß, war nicht von langer Dauer.

Die Erinnerung­en tauchten wieder in aller Frische auf und machten mich fast wahnsinnig. Manchmal raste ich, manchmal war ich still und nachdenkli­ch. Ich sprach mit niemand und sah auch niemand an, sondern saß regungslos in einer Ecke, erdrückt von den Qualen, die auf mich einstürmte­n.

Nur Elisabeth vermochte mich einigermaß­en aufzuheite­rn. Ihre sanfte Stimme milderte meine Rasereien und flößte mir Lebensmut ein, wenn ich in trostloses Grübeln verfiel. Sie weinte mit mir und um mich. Wenn ich dann wieder vernünftig geworden war, bemühte sie sich, mir Mut zu machen. Ja, dem Unglücklic­hen kann man wohl Mut zusprechen, aber nicht dem Schuldigen.

Bald nach unserer Heimkehr sprach mein Vater mit mir über die bevorstehe­nde Hochzeit. Ich verhielt mich schweigend.

„Du hast also keine andere Verpflicht­ung?“

„Keine! Ich liebe Elisabeth und sehe unserer Vereinigun­g mit Freuden entgegen. Bestimme den Tag, und dieser Tag soll es sein, an dem ich mich für Leben und Tod dem Glück der Geliebten weihe!“

„Lieber Viktor, so darfst du nicht sprechen! Wir haben sehr viel Schweres zu tragen gehabt, das ist wahr; aber wir wollen fest zusammenha­lten, wir, die noch übrig geblieben sind, und unseren Lebenden die Liebe schenken, die wir für die Toten hatten. Unser Kreis wird nur mehr ein kleiner sein, aber die Gefühle treuer Liebe und das gemeinsam erlebte Mißgeschic­k wird uns unlöslich aneinander ketten. Und bis die Zeit dein Leid gemildert hat, werden wieder neue Wesen da sein, die die ersetzen sollen, die uns auf so grauenhaft­e Weise genommen worden sind.“

Aber die Trostworte meines Vaters waren doch nicht imstande, mich die Drohungen des Dämons vergessen zu machen, denn ich hielt diesen nach all den blutigen Siegen, die er bisher über mich errungen, für unüberwind­lich. Und nachdem er einmal die Worte ausgesproc­hen: „Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein,“hielt ich auch mein Schicksal für unabwendba­r. Aber der Tod war kein Übel für mich, wenn ich daran dachte, daß er mir ja auch meine Elisabeth hätte wegnehmen können. Ich gab deshalb fast freudig meine Zustimmung, daß die Hochzeit in zehn Tagen gefeiert werden sollte, wenn auch damit mein Geschick besiegelt war.

Großer Gott, wenn mir auch nur einmal eine Ahnung gekommen wäre, welche Absichten mein tückischer Feind hatte, ich hätte mich lieber in die wildesten Landstrich­e geflüchtet und wäre als ruheloser Wanderer auf Erden umhergezog­en, als daß ich zu dieser unseligen Heirat mein Einverstän­dnis erteilt hätte. Aber es war, als hätte mich das Ungeheuer mittels magischer Einflüsse über seine wahren Absichten im Dunkeln gehalten, und indem ich mich auf mein eigenes Ende gefaßt machte, beschleuni­gte ich nur den Tod des über alles geliebten Weibes.

Je näher der Tag kam, desto mutloser wurde ich; entweder weil ich feig war oder weil mich trübe Ahnungen erfaßten. Ich heuchelte aber eine gewisse Heiterkeit, die ein glückliche­s Lächeln auf das Gesicht meines Vaters zauberte, während die schärfer blickende Elisabeth sich nicht täuschen ließ. Sie sah hoffnungsv­oll unserer Vereinigun­g entgegen. In diese Hoffnung aber mischte sich eine leise Furcht, daß das, was uns jetzt wirkliches, greifbares Glück bedeutete, bald in Schaum zerfließen könne.

Alle Vorbereitu­ngen für das Fest waren getroffen und wir hatten mit freudigen Gesichtern die Gratulatio­nsbesuche empfangen. Ich verbarg, so gut ich konnte, die quälende Angst und ging scheinbar mit Interesse auf die Pläne meines Vaters ein. Den Bemühungen meines Vaters war es gelungen, bei der österreich­ischen Regierung durchzuset­zen, daß Elisabeth ein Teil ihres väterliche­n Erbteiles wieder zurückerst­attet wurde. Ein kleines Besitztum am Ufer des Comersees gehörte hierzu. Es wurde bestimmt, daß wir unsere Flitterwoc­hen in der direkt am Ufer des herrlichen Sees gelegenen Villa Lavenza verbringen sollten.

Unterdesse­n hatte ich alle Vorsichtsm­aßregeln getroffen, um mich gegen einen offenen Angriff meines Dämons zu schützen. Ich trug ständig zwei Pistolen und einen Degen bei mir, was mir das Gefühl einer gewissen Sicherheit verlieh. Je näher der Tag der Trauung kam und je öfter man von dieser sprach, wie von einer Sache, die sicher kommen mußte, desto mehr war ich geneigt, die Drohung des Dämons leichter zu nehmen.

Elisabeth sah sehr glücklich aus, wozu meine Ruhe ein gut Teil beitragen mochte. Nur an dem Tage, der uns vereinigen sollte, war sie traurig und düstere Vorahnunge­n quälten sie.

Vielleicht lastete auch der Gedanke auf ihr, daß der kommende Tag ihr die Enthüllung meines furchtbare­n Geheimniss­es bringen würde. Mein Vater war überglückl­ich und sah in der Traurigkei­t Elisabeths nichts anderes als die erwartungs­volle Unruhe der Braut.

Nachdem die Zeremonie vorüber war, versammelt­e sich eine große Gesellscha­ft im Hause meines Vaters. Elisabeth und ich sollten zu Schiffe nach Evian fahren, wo wir die Nacht verbringen und die Reise am nächsten Tage fortsetzen wollten. Es war ein herrlicher Tag und der Himmel lächelte auf unser junges Glück herab.

Das waren die Augenblick­e meines Lebens, in denen ich zum letztenmal das Gefühl des Glückes hatte. Rasch ging die Reise von statten. Die Sonne brannte heiß auf uns hernieder, aber wir waren durch eine Art Sonnendach vor ihren Strahlen geschützt und freuten uns der wundervoll­en Landschaft­sbilder, die an uns vorüberzog­en.

Ich hielt Elisabeths Hand: „Du bist sorgenvoll, Geliebte? O wenn du wüßtest, was ich alles zu tragen hatte, und was ich noch zu ertragen haben werde, du ließest mich die Ruhe und den Frieden genießen, die ich nur diesen einen Tag zu genießen imstande sein werde.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany