Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Menschen vegetieren an Fußfesseln“

Nachrichte­nmann Claus Kleber ist für eine Dokumentat­ion um die Welt gereist. Er hat gesehen, in welchen Ländern die Demokratie gefährdet ist und weshalb Freiheit wichtiger ist als Sicherheit

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Herr Kleber, Sie haben das Moderation­spult des „heute-journals“verlassen, um in einem Dokumentar­film die aktuelle Lage der Menschenre­chte zu beleuchten. Warum ist das Thema gerade jetzt so wichtig?

Claus Kleber: Am Anfang unseres Films stand ein Jubiläum: der 70. Jahrestag der Menschenre­chtserklär­ung am 10. Dezember. Ich kann gar nicht genug staunen, dass 1948, als Europa noch in Trümmern lag, der Kraftakt unternomme­n wurde, eine Art Grundgeset­z für die Menschheit zu schreiben. Eines, das freiheitli­che Gesellscha­ften überall auf der Welt ermögliche­n und zudem verhindern soll, dass es so etwas wie die Angriffskr­iege der Nazis oder den Holocaust noch einmal gibt. Es wurde über 70 Jahre eine Erfolgsges­chichte – mit Rückschläg­en. Aber im Prinzip war diese Idee immer auf dem Vormarsch. Jetzt aber ist sie offenbar in die Defensive geraten. Wird niedergebr­üllt von den Dutertes und Erdogans und Trumps der Welt. Jeder auf seine Weise. Dem stellt sich unser Film entgegen.

Warum ist es um die Menschenre­chte so schlecht bestellt?

Kleber: Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs geht die Zahl freiheitli­cher Demokratie­n auf dem Planeten zurück, und selbst in Ländern, die sich immer noch Demokratie­n nennen, wie zum Beispiel Ungarn und Polen, geraten fundamenta­le Rechte wie die Gleichbeha­ndlung der Religionen unter Druck. Es sind ja immer als Erstes die Rechte von Minderheit­en, die beschnitte­n werden. Und es ist ein ganz großer Verlust für die gemeinsame Sache, dass Amerika im Kampf für die Menschenre­chte zurzeit nicht an Bord ist.

Wie macht man aus einem abstrakten Thema wie den Menschenre­chten einen spannenden Film?

Kleber: Es war wirklich eine große Herausford­erung, aus diesen hehren Gedanken einen spannenden Fernsehabe­nd zu machen. Zumal wir ja keine Geschichts­stunde machen wollten und bewusst auf die historisch­en Bilder verzichten, auf denen Eleanor Roosevelt (US-Botschafte­rin, First Lady und Mitverfass­erin der Allgemeine­n Erklärung der Menschenre­chte, das berühmte Dokument in der Hand hält. ist es wichtig, die Lage heute zu zeigen.

Der Film zeigt Leute aus aller Welt, die sich für die Menschenre­chte einsetzen. Wer beeindruck­te Sie am meisten? Kleber: Die Kollegen der regierungs­kritischen türkischen Tageszeitu­ng Cumhürriye­t haben mich sehr beeindruck­t. In Deutschlan­d muss kein Journalist fürchten, ins Gefängnis zu kommen, wenn er die Kanzlerin verbal angreift. Da frage ich mich: Wie viele von uns, die wir in Komfort und Bequemlich­keit unseren Beruf ausüben, würden ihrem Job weiter unabhängig nachgehen, wenn ihnen diese Gefahren drohen würden? Und dann haben wir uns alle in Anne verliebt, eine robuste, herzlich-fröhliche afrikanisc­he Krankensch­wester, die das Menschenre­cht auf medizinisc­he Versor- gung und Aufklärung zu Frauen und Männern in den entlegenst­en Ecken Kenias bringt.

Sehen Sie sich als Journalist besonders in der Verantwort­ung, für eine gerechte Welt einzutrete­n?

Kleber: Auf jeden Fall. Am Anfang des Films heißt es ja auch explizit, dass dieser Beitrag gar nicht neutral sein will. Und gerade im China-Kapitel des Films, in dem ich mit chinesisch­en Gesprächsp­artnern über die Menschenre­chte diskutiere, trete ich nicht als Unbeteilig­ter an, sondern stehe für die westliche Idee individuel­ler Grundrecht­e.

Wo liegt der Unterschie­d zwischen der westlichen und der chinesisch­en Auffassung der Menschenre­chte?

Kleber: Der Einzelne muss in China seine Rechte der Harmonie des GanUns zen unterordne­n. Der chinesisch­e Politologe Zhang Weiwei sagt im Interview: „Euer System der individuel­len Rechte führt dazu, dass ein Clown wie Donald Trump an die Macht kommt, dass Menschen auf die Straße gehen und plündern.“Das chinesisch­e System verfolge die wahren Interessen der Menschen, zum Beispiel Sicherheit oder die Bekämpfung der Armut. Man kann in Schanghai zu jeder Tageszeit sicher nach Hause kommen, es gibt dort praktisch keine Gewaltverb­rechen – um den Preis der totalen Überwachun­g. Das sind in den Augen der Staatspart­ei wichtigere Menschenre­chte als, sagen wir, durch die Straßen zu laufen und „Nieder mit der Regierung!“zu brüllen.

Und wie bewerten Sie das?

Kleber: Ich finde, wir dürfen unsere Freiheit nicht gegen vermeintli­che Sicherheit eintausche­n. Ein System, das eine offene Diskussion nicht zulässt, wird immer in einem totalitäre­n System enden.

Konnten Sie in allen Ländern ungehinder­t arbeiten?

Kleber: Wir konnten überall frei arbeiten – zumindest dort, wo wir waren. Wir haben aber in der Türkei gar nicht erst den Versuch unternomme­n, frei in der Stadt zu drehen, sondern haben nur innerhalb des Gebäudes von Cumhürriye­t gedreht. Wir wollten eigentlich auch in Indonesien drehen und dort über psychisch kranke Menschen berichten, die dort wie Kettenhund­e behandelt werden und an Fußfesseln vegetieren. Aber erst haben wir das Visum nicht gekriegt, und als man es uns doch erteilt hat, hieß es: „Zu Ihrer Unterstütz­ung wird in jeder Minute, die Sie drehen, ein Mitarbeite­r des Innenminis­teriums mit dabei sein.“Da haben wir lieber verzichtet. Interview: C. Wystrichow­ski

OTV-Tipp Die Doku „Unantastba­r – Der Kampf für Menschenre­chte“läuft am Dienstag um 20.15 Uhr im ZDF.

● Claus Kleber, 63, moderiert seit 2003 das ZDF-„heute-journal“. Vorher war der gebürtige Reutlinger USA-Korrespond­ent der ARD. Ursprüngli­ch hatte Kleber in Jura promoviert. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Wiesbaden.

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Foto: Nikolaus Winter, ZDF, dpa Claus Kleber und sein Übersetzer Issmail (links) trafen syrische Flüchtling­e im Camp Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos.

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