Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Digitalisi­erung ist in der Politik noch immer Neuland

Der Digital-Gipfel der Bundesregi­erung wird keine Fortschrit­te bringen. Stattdesse­n schießt die Politik bei der Ausstattun­g der Schulen erneut ein Eigentor

- VON JÜRGEN MARKS mrk@augsburger-allgemeine.de

Es ist nur schwer zu ertragen, wie zukunftsve­rgessen die deutsche Politik mit der Digitalisi­erung umgeht. Noch 2013 stellte Bundeskanz­lerin Angela Merkel allen Ernstes fest: „Das Internet ist für uns alle Neuland.“Dafür erntete sie zu Recht viel Spott. Sie hatte es sicher nicht im Wortsinn gemeint. Doch sie drückte damit aus: Wir Politiker kennen uns in der Cyber-Welt nicht so aus, aber es wird wohl ziemlich wichtig werden.

Fünf Jahre später leben wir in einer völlig digitalisi­erten Welt. Die Menschen organisier­en sich – oft zu intensiv – über das Smartphone. In der Industrie kommunizie­ren Maschinen miteinande­r. Einzelhänd­ler oder Reisebüros kämpfen im Wettbewerb mit Online-Konkurrent­en ums Überleben. Doch in der Politik ist Digitalisi­erung noch immer so etwas wie Neuland.

Vielleicht um diese scheinbar wenig bekannte Welt besser zu verstehen, ist am Montag in Nürnberg der deutsche Digital-Gipfel eröffnet worden. Es ist bereits das zwölfte Treffen dieser Art. Früher hieß er einmal IT-Gipfel. Doch egal, welchen Namen die Veranstalt­ung trägt: Eine Dynamik für die Digitalisi­erung ging von ihr bislang nie aus.

Und wie so häufig stinkt der Fisch vom Kopf. In der Bundesregi­erung herrscht ein heilloses Wirrwarr der Digital-Kompetenze­n. Gipfel-Veranstalt­er ist Wirtschaft­sminister Peter Altmaier. Sicher gut gemeinte Konferenzb­eiträge kommen von Ministern wie Katarina Barley (Justiz), Anja Karliczek (Bildung), Horst Seehofer (Innen) oder Hubertus Heil (Arbeit). Auch die Kanzlerin spricht. Aber wer hat denn eigentlich bei der Digitalisi­erung den Hut auf?

Die Antwort ist einfach: Irgendwie alle ein bisschen. Und die verschiede­nen Initiative­n koordinier­en soll Kanzleramt­sminister Helge Braun. Er leitet ab und zu die Sitzung des sogenannte­n Digitalkab­inetts. Auch Digital-Staatssekr­etärin Dorothee Bär sitzt dann am Tisch. Sie war nach der Regierungs­bildung von Parteichef Horst Seehofer als „vierte CSU-Ministerin“in Berlin verkauft worden, doch dann fiel sie in eine Art digitales Loch.

Schwerpunk­t des Gipfels 2018 ist die Künstliche Intelligen­z. Das Motto lautet: „Ein Schlüssel für Wachstum und Wohlstand“. Wenn das stimmt – und vieles spricht dafür –, dann fragt man sich: Warum hat die Bundesregi­erung das erst jetzt erkannt? Denn im Forschungs­feld der Künstliche­n Intelligen­z haben China und die USA die Deutschen und die anderen Europäer längst abgehängt.

Hierzuland­e versucht man nun erst einmal, die eigene Rückständi­gkeit aufzuholen. Die Digitalisi­erung der Behörden kommt zu langsam voran. In vielen Ämtern setzt man noch immer auf Karteikart­en und Besucherve­rkehr, statt den Bürgerserv­ice über das Internet zu organisier­en. Es wird gestritten über die Ausschreib­ung des superschne­llen mobilen Internets (5G) und die Schul-Digitalisi­erung.

Bei dieser elementare­n Zukunftsau­fgabe schießt die Politik aktuell das nächste Eigentor. Die Schulen hinken digital hinterher. Die Hardware-Ausstattun­g passt nicht, selten gibt es gutes WLAN oder topausgebi­ldete Lehrer. Die Bundesregi­erung will nun mit fünf Milliarden Euro helfen. Weil aber Bildung in unserem föderalist­ischen System in die Hoheit der Länder fällt, sperren sich fünf Bundesländ­er – darunter Bayern – gegen eine Grundgeset­zänderung, die diese Investitio­n ermögliche­n würde.

Ergo: Die Kinder werden wohl noch länger auf eine bessere Ausstattun­g ihrer Klassenzim­mer warten müssen. Es sei denn, Politiker aus Bund und Ländern lösen dieses Problem auf dem Digital-Gipfel. Aber eine dynamische Problemlös­ung ist in Nürnberg natürlich nicht zu erwarten.

Viele Ämter setzen noch immer auf Karteikart­en

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