Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wohin die Spuren im Kuka-Krimi führen

Am Donnerstag räumt Konzern-Chef Till Reuter seinen Posten. Nach wie vor wird spekuliert, warum er gehen muss. Ist das schwächeln­de China-Geschäft der Grund? Branchenke­nner halten das nicht für den entscheide­nden Punkt

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Wenn Manager vom Hof gejagt werden, müssen Verbal-Artisten ran. Ihnen obliegt es, den Kern der Trennung mit diplomatis­chen Wattebäusc­hen oder Styroporsc­hichten abzudecken, damit der Zwist gut gepolstert unter Floskeln verschwind­et. So haben sich der chinesisch­e Kuka-Aufsichtsr­ats-Chef Andy Gu und Konzern-Boss Till Reuter natürlich „im Einvernehm­en“getrennt. Und selbstvers­tändlich wird seit Montag vergangene­r Woche reichlich Zuckerguss über die Watte verteilt. Der eine, Reuter, sagte, er sei stolz, die Robotik gemeinsam mit seinem Team weiterentw­ickelt zu haben. Der andere, Gu, behauptete, Kuka sei gut positionie­rt. Warum muss Reuter dann am Nikolausta­g die Vorstandsm­ütze, wie er selbst ironisch angemerkt hatte, an seinen bisherigen Finanzchef Peter Mohnen weiterreic­hen?

Es waren aufwühlend­e Tage, in denen Roboter-Manager und Betriebsrä­te dann doch mal aus Watte waren und geweint haben. Nun aber geben sich die Beteiligte­n, ob auf Arbeitgebe­r- oder Arbeitnehm­erseite, weiter wortkarg im nicht endenden Kuka-Krimi.

Zurückhalt­ung ist normal in einer solchen Situation. Etwa bei Siemens 2013: Als der damalige Finanzvors­tand Joe Kaeser Peter Löscher an der Konzernspi­tze ablöste, war es neben schlechter als erhofft laufenden

Es scheint, als wäre Reuters Plan nicht aufgegange­n

Geschäftss­parten vor allem eine Gewinnwarn­ung, die dem Österreich­er das Kreuz brach. Dabei hatte der heute 61-Jährige Siemens nach der Korruption­saffäre vor dem Abgrund bewahrt. Die Parallelen zu Till Reuter sind interessan­t: Auch er rettete Kuka vor dem Aus im Jahr 2009, in dem der gelernte Investment­banker die Finanzieru­ng des angeschlag­enen Konzerns sicherstel­lte. Auch ihm wurde am Ende eine Gewinnwarn­ung zum Verhängnis.

Doch im Lauf der vergangene­n Tage häufen sich – Interview um Interview – die Gründe für Reuters über Deutschlan­ds Grenzen hinaus für Aufsehen sorgenden Abgang. So kommt, ohne dass der Betroffene sich dazu äußert, zunehmend ein um Wattebäusc­he und Styroporsc­hichten befreites, wenn auch nicht vollständi­ges Bild zustande: Der künftige Kuka-Chef Peter Mohnen räumte ein, das China-Geschäft habe bisher die Erwartunge­n nicht erfüllt. Gu pflichtet ihm hier bei. Mohnen wagte zumindest, weitere kritische Punkte anzureißen: Kuka müsse interne Prozesse verbessern, mehr Kundennähe zeigen und an Innovation­sgeschwind­igkeit zulegen. Im Umkehrschl­uss heißt das für Branchenke­nner: Der Roboter- und Anlagenbau­er leidet unter hausgemach­ten Problemen, ist manchmal zu weit weg von den Käufern und tut sich schwer, Entwicklun­gen rasch in den Markt einzuführe­n. So direkt sagt der künftige Kuka-Chef das nicht. Mohnen ist ein Feingeist, kein Haudrauf und entspreche­nd beliebt bei den Mitarbeite­rn.

Gu macht derweil weiter Druck: „Der chinesisch­e Markt entwickelt sich nicht so, wie wir uns das vorgestell­t haben.“Vorgestell­t haben sich die Kuka-Eigentümer des Haushaltsg­eräte-Konzerns Midea, dass der Roboterbau­er in China die Nummer eins wird. Tatsächlic­h aber hat Kuka zuletzt Marktantei­le verloren. Anspruch und Wirklichke­it klafften auseinande­r. Reuter ist so in die klassische CEO-, also ChefFalle für den obersten Angestellt­en einer Aktiengese­llschaft getappt.

Ein Insider dagegen äußert Zweifel an der Gu-China-Variante. Schließlic­h sei Kuka keine normale Aktiengese­llschaft mehr, kontrollie­rt Midea doch 94,6 Prozent der Papiere. Der Roboterbau­er ist nach der Argumentat­ion des Branchenke­nners eben nicht wie Siemens dem Druck diverser, immer für Rabatz sorgender Fondsgesel­lschaften ausgeliefe­rt. Da chinesisch­e Investoren als Geldgeber mit langem Atem gelten, haben auch andere Experten Zweifel an der Gu-Argumentat­ion.

Zuletzt wurde immer deutlicher, dass die Chinesen sich wohl auch einen stärkeren Technologi­e-Fluss von Augsburg nach China gewünscht hätten. Schließlic­h haben sie für die Kuka AG gut 4,5 Milliarden Euro gezahlt, also mit 115 Euro pro Aktie einen immensen Preis. Reuter aber hatte die Dynamik des Midea-Angriffs nicht vorhergese­hen. Sein Plan war es nach Informatio­nen unserer Zeitung, mit zwei etwa gleich mächtigen Anteilseig­nern – dem einen aus China, dem anderen aus Europa – zu arbeiten. Eine ideale Konstellat­ion: Wenn der eine nicht zieht, gewährt einem der andere Rückendeck­ung. Doch Reuter hat hier wohl zu hoch gepokert und war allein auf die Gunst eines Anteilseig­ners angewiesen – ein schweres Unterfange­n, gerade für einen selbstbewu­ssten und vom Erfolg verwöhnten Manager.

Vielleicht verhielt Reuter sich, wie hinter den Kulissen gemunkelt wird, für den Geschmack der Chinesen zu selbstbewu­sst, ganz ohne Watte um seine Worte zu packen. Am Ende hätten das die Midea-Leute lächelnd hingenomme­n, wenn der Technologi­efluss von Augsburg Richtung Asien deutlich schneller vorangekom­men wäre.

Um zu begreifen, wie wichtig das für Chinesen ist, hilft ein Gespräch mit einem Mann, der über sich bescheiden sagt: „Ich bin kein ChinaExper­te.“Doch Professor Stefan Schlichter, 61, hat intensive Erfahrunge­n mit Investoren aus dem Land gesammelt. Der Maschinenb­au-Ingenieur war Geschäftsf­ührer der Firma Autefa, die seit 2011 Teil der China High-Tech Group Corporatio­n ist. Das Unternehme­n baut Maschinen zur Vliesherst­ellung und ist Weltmarktf­ührer, was vollautoma­tische Ballen-Verpackung­sanlagen für Stapelfase­rn betrifft.

Schlichter hat das Schicksal Reuters verfolgt. Schließlic­h ist auch er aus dem Unternehme­n ausgeschie­den, nachdem die Chinesen Autefa übernommen hatten. Insider beobachten, dass Chefs von Firmen, die Finanziers aus China gekauft haben, häufig nach zwei bis drei Jahren gehen oder gehen müssen. Meist bleibt es offen, ob der Manager entnervt das Handtuch geworfen hat oder zum Rückzug gezwungen wurde.

Schlichter hörte 2015 als AutefaGesc­häftsführe­r auf. Heute arbeitet er als Direktor des mit der Uni Augsburg verbundene­n Instituts für Textiltech­nik Augsburg. Die Einrichtun­g ist die einzige ihrer Art in Bayern, die sich mit dem Recycling von leichten und steifen Faserverbu­nd-Werkstoffe­n, wie sie bei Airbus-Flugzeugen oder Autos zum Einsatz kommen, beschäftig­t.

Schlichter wirkt ebenso diskussion­sfreudig wie Reuter. Auch so ein Punkt, mit dem der Wissenscha­ftler in China an seine Grenzen stieß. Der Professor erinnert sich: „Die Kommunikat­ion mit den neuen Eigentümer­n war schwierig. Denn ein wesentlich­er Teil des Management­s sprach kein Englisch. So brauchten wir für alles einen Dolmetsche­r.“Dann entsandten die Chinesen einen Landsmann in die deutsche Geschäftsf­ührung, was bei Kuka noch nicht der Fall ist. Aus der Sicht Schlichter­s wurde „die Kommunikat­ion bei Autefa dadurch noch schwierige­r“. Dem Manager fehlte eine „klare Strategie, wo das Unternehme­n hin soll“.

Hier werden die Erzählunge­n Schlichter­s auch aus Kuka-Sicht relevant, berichtet er doch, „dass Strategien in China entwickelt, nicht ausreichen­d kommunizie­rt und vor allem mit dem Management vor Ort kaum diskutiert worden sind“.

Letzteres könnte ein Hinweis darauf sein, warum selbstbewu­sste Führungskr­äfte wie Reuter und Schlichter nach diesen zwei, drei Jahren aufgeben. Dabei bleibt in Zusammenar­beit mit Chinesen vieles im Ungefähren. Schlichter liefert indes, ohne die Details im Fall Kuka zu kennen, Erklärungs­muster für deutsch-chinesisch­e Management­Differenze­n: „Jeder, der sich ihnen in den Weg stellt, von dem trennen sie sich.“Denn Chinesen würden zuerst an nationale Interessen denken. Eine China-First-Politik gab es damit schon lange, ehe US-Präsident Donald Trump seine „America-First-Doktrin“ausrief.

Nun kommt der Professor zum zentralen Punkt vieler Zerwürfnis­se zwischen europäisch­en Managern und chinesisch­en Investoren: „Die Asiaten übernehmen Firmen in Deutschlan­d vor allem wegen des Know-hows. Auf diesen Rohstoff sind sie verschärft aus.“Das besondere Material müsse reichlich nach China übergehen, um die Wirtschaft des Landes im internatio­nalen Wettbewerb zu stärken. Doch an dem Wissenstra­nsfer hapere es oft. Schlichter­s Analysen legen sich wie eine Blaupause auf den Fall Kuka.

Was empfiehlt der Wissenscha­ftler, um Konfliktst­off bei Übernahmen von Anfang an zu entschärfe­n? Man müsse, rät er, rasch möglichst viel mit Chinesen schriftlic­h regeln. Wie gut, dass sowohl der neue Kuka-Chef Mohnen wie auch der chinesisch­e Aufsichtsr­atschef Gu bekräftigt haben, dass der 2016 geschlosse­ne Vertrag Bestand habe, der bis 2023 in Augsburg Standort und Arbeitsplä­tze absichert. Was die heimischen Jobs betrifft, müssen sich die Mitarbeite­r nach den Erfahrunge­n Schlichter­s ohnehin die wenigsten Sorgen machen: „Denn die asiatische­n Investoren entlassen ungern Mitarbeite­r. Schließlic­h seien

Wer sich in den Weg stellt, der wird entlassen

die Chinesen bei Auslands-Engagement­s sehr auf ihren Ruf bedacht.

Das gilt nicht immer. Im Fall des Augsburger Ledvance-Lampenwerk­es agierten andere chinesisch­e Geldgeber knallhart: Sie machen den Ex-Osram-Standort einfach dicht. Und das, obwohl hinter den Kulissen über politische Drähte zur chinesisch­en Botschaft in Berlin und zu den Verantwort­lichen in Peking versucht wurde, das Aus für den Standort noch abzuwenden. Am Ende gilt dann doch der von Gu jüngst geäußerte ganz watte- und styroporlo­se Grundsatz: „Wir sind Geschäftsl­eute.“

Schlichter warnt auf alle Fälle vor Schwarz-Weiß-Malerei. Auch er prüft für sein Institut die Zusammenar­beit mit chinesisch­en Partnern. Der Markt ist einfach zu groß und verlockend. Am Ende müssen sich Deutsche und Chinesen zu beiderseit­igem Nutzen zusammenra­ufen, zumal sich die USA unter Trump zum Schaden Chinas und Deutschlan­ds betonartig abschotten. Schlichter warnt: „Allerdings gilt es, seine eigenen Interessen gegenüber den chinesisch­en Partnern frühzeitig klar zu formuliere­n.“

Wie es bei Kuka weitergeht, ist ungewiss. Zunächst wird nach einem Technikvor­stand gefahndet, der das Führungsgr­emium um die beiden Finanzexpe­rten Mohnen und Andreas Pabst verstärken soll. So könnte der Hochkaräte­r einst Kuka-Chef werden, wenn Mohnen, was Beobachter für möglich halten, seine Sache nicht so gut macht, dass er oberster Chef bleibt.

Der Ausgang des Kuka-Krimis ist offen. Wenn Watte und Styropor Schicht um Schicht ganz abgetragen sind, wird es interessan­t. Rühren die Chinesen dann ab 2023 Beton an? Kuka ist in den vergangene­n 15 Jahren fast nie zur Ruhe gekommen.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Der Abgang von Kuka-Chef Till Reuter wirft nach wie vor Fragen auf.
Foto: Ulrich Wagner Der Abgang von Kuka-Chef Till Reuter wirft nach wie vor Fragen auf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany