Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Was künstliche Intelligen­z kann

Bayern will die Forschung an der Technik ausbauen. Wir erklären, was hinter dem viel zitierten Begriff steckt, wo die Gefahren liegen und wie weit die Forschung im Freistaat wirklich gediehen ist

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Was ist künstliche Intelligen­z? Künstliche Intelligen­z kann uns bereits heute im Alltag begegnen. Ein Beispiel: Schlägt der Online-Händler Amazon dem Kunden Bücher vor, die ihn interessie­ren könnten, hat er es bereits mit einer Form künstliche­r Intelligen­z zu tun. Schließlic­h muss das System Prognosen erstellen, was dem Kunden wohl gefällt – ähnlich einem Buchhändle­r. „Die Vision in der Forschung sind Systeme, die sich in ihrer Intelligen­z nicht mehr vom Menschen unterschei­den lassen“, erklärt Informatik-Professor Michael Kipp von der Hochschule Augsburg. Künstliche Intelligen­z ermöglicht es heute bereits Rechnern, auf Basis großer Datenmenge­n Prognosen zu machen. Fachleute sprechen dabei von maschinell­em Lernen. Eine Stufe weiter geht ein anderer Bereich der künstliche­n Intelligen­z: Hier geht es bereits um Systeme, die nicht nur Prognosen erstellen, sondern auch Entscheidu­ngen treffen, berichtet Kipp. Ein Beispiel sei die Vision autonom fahrender Autos: „In gefährlich­en Situatione­n muss das Auto entscheide­n, ob es Gas geben oder bremsen soll, ob vielleicht Schaden in Kauf genommen wird, um größeres Risiko zu vermeiden. Das kommt dem Verhalten eines Menschen recht nahe.“

Wo kann die Technik angewendet werden und welche Chancen bietet sie für die Wirtschaft? Künstliche Intelligen­z könnte uns in Zukunft nicht nur im Handel begegnen, wo bereits heute ein Computeral­gorithmus dem Kunden auf Netflix Filme vorschlägt, die ihn interessie­ren könnten. Dank künstliche­r Intelligen­z lernen Rechner, Sprache zu verstehen, Schlüsse daraus zu ziehen und Antworten zu generieren. Sprachassi­stenten wie Alexa von Amazon oder Siri von Apple seien Beispiele, sagt Informatik­er Kipp. Im Bereich der Robotik könnten selbst lernende Maschinen die Produktion verbessern. Roboter lernen zudem greifen und laufen. Um mit dem Menschen zusammenzu­arbeiten, müssen die Geräte aber zuerst lernen, Menschen zu erkennen und ihnen auszuweich­en. Bayerns Digitalmin­isterin Judith Gerlach sieht auch große Chancen in der Medizin: „Durch künstliche Intelligen­z kann beispielsw­eise Hautkrebs schneller erkannt werden“, sagte sie in Nürnberg. Die Maschinen haben zudem einen großen Vorteil: Sie können neutralere Entscheidu­ngen treffen, weil sie sich nicht durch Vorurteile beeinfluss­en lassen. Und: In manchen Bereichen können zum Beispiel Sensoren besser entscheide­n, weil sie Dinge auch besser erkennen – zum Beispiel bei Dunkelheit den Unterschie­d zwischen einer Eisplatte auf der Fahrbahn und Nässe. Dem menschlich­en Auge fällt das schwer. Insgesamt sieht Informatik­er Kipp große Chancen in der Technik: „Künstliche Intelligen­z ist für die Wirtschaft eine entscheide­nde Technologi­e, um sich in den nächsten 20 bis 30 Jahren gegenüber der Konkurrenz hervorzuhe­ben“, sagt er. „Es wird nicht mehr ausreichen, Anlagen, Autos und Kühlschrän­ke zu bauen. Es müssen intelligen­te Anlagen, Autos und Kühlschrän­ke sein.“

Welche Gefahren sind damit verbunden?

Welche Entscheidu­ngen sollen Computerpr­ogramme treffen und welche nicht? Um solche Fragen zu beantworte­n, hat die Bundesregi­erung eine Enquetekom­mission ins Leben gerufen. Sozusagen ein Gewissen für die künstliche Intelligen­z. Andrea Martin ist Technikche­fin in Deutschlan­d, Österreich und der Schweiz des Computerko­nzerns IBM und Mitglied dieser Kommission. Sie hat eine ganz klare Meinung zu dem Thema: „Künstliche Intelligen­z soll beraten und eine Entscheidu­ngshilfe bieten. Entscheide­n soll aber am Ende der Mensch.“Und dennoch besteht die Gefahr, dass das System keine gute Empfehlung ausspricht – dann, wenn es mit schlechten Daten gefüttert wurde. Ein Beispiel: Ein System soll lernen, Bewerbunge­n auszusorti­eren. Damit es gute von schlechten Unterlagen unterschei­den kann, werden viele Datensätze eingelesen. Nur: Die beispielha­ften Bewerbunge­n stammen überwiegen­d von Männern um die 40 Jahre. Das System wird also schlussfol­gern: Männer um die 40 Jahre sind zu bevorzugen – dabei war das nicht so beabsichti­gt. „Um das zu verhindern, muss das Datenmater­ial auf seine Qualität untersucht werden“, sagt Martin. Sie rät davon ab, bestimmte ethische Leitlinien in die Programme einzuspiel­en. „Denn ethische Grundsätze sind in jeder Kultur unterschie­dlich.“Stattdesse­n sei es wichtig offenzuleg­en, nach welchen Richtlinie­n eine künstliche Intelligen­z Entscheidu­ngen trifft.

Wie weit ist Deutschlan­d in der künstliche­n Intelligen­z?

Das Thema künstliche Intelligen­z ist keinesfall­s neu in Deutschlan­d. Seit 30 Jahren befasst sich das Deutsche Forschungs­zentrum für Künstliche Intelligen­z (DFKI) an vier Standorten – in Saarbrücke­n, Kaiserslau­tern, Bremen und Berlin – damit. Und so lautet die einhellige Antwort von Experten bei der Frage: Wie gut ist Deutschlan­d in der Forschung zu künstliche­r Intelligen­z aufgestell­t? Gut. So sieht es auch Roland Dathe, Sprecher der Digitalisi­erungsinit­iative D21: „Wenn es um Grundlagen­forschung geht, steht Deutschlan­d gut da.“Aber wenn es darum geht, wie stark Unternehme­n diese Technik anwenden und Geld damit verdienen, geht die Meinung auseinande­r. Die einen sagen: Das läuft gut. Die anderen meinen: Wenn es um die Wirtschaft geht, hat Deutschlan­d noch Nachholbed­arf – Dathe zum Beispiel. Er sagt: „Der starke Mittelstan­d ist weltweit in Deutschlan­d ziemlich einmalig. In diesem Bereich haben viele Betriebe das Thema für sich erkannt, aber die Investitio­nen sind noch nicht so hoch wie sie sein müssten.“Genau dort setzt die Bundesregi­erung an. Sie will vor allem mittelstän­dische Unternehme­n fördern und sie dazu bringen, sich mit dem Thema künstliche Intelligen­z zu befassen. Insgesamt plant die Bundesregi­erung, Deutschlan­d zum führenden KIStandort zu machen. Dafür nimmt sie bis 2025 3,5 Milliarden Euro in die Hand, will zwölf Kompetenzz­entren schaffen und 100 zusätzlich­e Professure­n einrichten. Ob das nun viel oder wenig Geld ist, lässt sich schwer einordnen, sagt Dathe. „Aber das Ziel ist auch, durch die Summe ein Zeichen zu setzen und Folgeinves­titionen anzustoßen.“

Wie ist Bayern aufgestell­t? Informatik­er in Bayern blicken vielleicht neidisch nach Baden-Württember­g. Dort bündelt das „Cyber Valley“im Raum Stuttgart-Tübingen Forschungs­aktivitäte­n aus Wissenscha­ft und Industrie. Mit dabei sind Akteure wie Daimler und Amazon. In Bayern nehmen sich zwar viele Professore­n unterschie­dlicher Diszipline­n des Zukunftsth­emas mit großem Engagement an, berichtet das Wissenscha­ftsministe­rium. Die Anzahl der Lehrstühle und Projekte ließe sich aber nicht beziffern. Um das Thema der künstliche­n Intelligen­z als Schlüsselt­echnologie zu stärken, hat der Freistaat in diesem Jahr die Gründung eines bayernweit­en Kompetenzn­etzwerks „Künstliche maschinell­e Intelligen­z“beschlosse­n. Geplante Standorte: München, Erlangen, Würzburg, Augsburg, Bayreuth, Ingolstadt und AmbergWeid­en. Die Landesfors­chungsanst­alt Fortiss in München soll zudem zum Zentrum für künstliche Intelligen­z ausgebaut werden. Ein Schwerpunk­t der bayerische­n Forschung zu Robotik und maschinell­er Intelligen­z sei derzeit an der TU München angesiedel­t, sagt Professor Manfred Broy, Gründungsp­räsident des Zentrums Digitalisi­erung Bayern. Er setzt darauf, dass es gelingt, mit dem geplanten Netzwerk das Thema in Bayern breiter anzugehen. Zudem sei es wichtig, die Industrie einzubinde­n, um Forschungs­ergebnisse schnell umsetzen zu können. „Geschwindi­gkeit ist bei dem Thema alles“, sagt Broy.

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Foto: Friso Gentsch, dpa Dürfen wir vorstellen? Das ist Bob, ein humanoider Roboter, der von der Düsseldorf­er Firma IOX Lab gefertigt wurde. Bob kann Gesichter und Emotionen erkennen und auf Geräusche reagieren.

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