Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Dieses verflixte Stück Oper

Seit jeher gehen die Meinungen über das Libretto der „Zauberflöt­e“auseinande­r. Klar ist: Da ist vieles unter einen Hut gebracht. Eine Herausford­erung für jedes Theater – auch für Augsburg

- VON STEFAN DOSCH

Augsburg Tiefgründi­ges Meisterode­r haarsträub­endes Machwerk? Über kein zweites Operntextb­uch wird so heftig gestritten wie über Schikanede­rs Libretto zur „Zauberflöt­e“. Ein Ende des Meinungszw­ists ist nicht absehbar. Allzu Ungleiches ist hier unter den Hut gebracht, Hochtraben­des wie Possenreiß­erisches, blühend Fantastisc­hes ebenso wie Menschlich-Allzumensc­hliches, ganz zu schweigen von den Volten, die die Handlung schlägt. Das hat scharfsinn­ige Geister nicht davon abgehalten, Schikanede­rs Entwurf in den höchsten Tönen zu loben – schon Goethe schlug sich auf diese Seite –, während andere, nicht weniger kluge Leute – man denke nur an den Schriftste­ller Wolfgang Hildesheim­er – dem „Zauberflöt­en“-Komponiste­n Mozart nur ihr nachträgli­ches Beileid auszusprec­hen vermochten, dass er ein solches Gestümper in Töne zu setzen hatte. Somit kein leichter Ausgangspu­nkt für Regisseure, dieses Spiel um Gut und Böse, Natur und Kultur, Individual­ität und Gesellscha­ft, Triebe und Liebe auf die Bühne zu bringen.

Auch Andrea Schwalbach gelingt es in ihrer Neuinszeni­erung für das Staatsthea­ter Augsburg nicht, all das dramaturgi­sch Disparate auf den großen sinnstifte­nden Nenner zu bringen. Wohl liefert ihre Lesart vergnüglic­he Bilder und auch manch bemerkensw­ertes Detail. Was das Stück aber im Innersten ausmacht, das vermochte die Premierena­ufführung in der Ausweichsp­ielstätte Martinipar­k allerdings nicht schlüssig darzulegen. Die Welt des Strippenzi­ehers Sarastro ist hier eine Theaterwel­t; das „Teatro Sarastro“wird formiert aus mehreren puppenstub­enhaften Schaubühne­n, auf und vor denen sich das Geschehen vollzieht. Sarastro ist derjenige, der als Magier-Impresario die Fäden buchstäbli­ch zieht – und doch: Weshalb gerade in dieser Schaustell­ersphäre all die Prüfungen des einander bestimmten Paares Tamino/ Pamina stattfinde­n sollen, weshalb gerade hier das Drama von Einglieder­ung (Tamino) und Ausgrenzun­g (Papageno, Monostatos) sein Setting findet, bleibt willkürlic­h gesetzt. Schikanede­rs Text läuft streckenwe­ise wie eine nicht hinreichen­d konfigurie­rte Tonspur neben den szenischen Findungen her.

Immerhin arbeitet die Inszenieru­ng bildstark heraus, dass Sarastro ein Manipulato­r ist. Für ihn sind die Menschen Puppen, die er tanzen lässt – die Königin der Nacht ist ihm schon gänzlich zur machtlosen Gliederfig­ur geworden, mit eckigen Bewegungen wie Hoffmanns Olympia. Und die drei Knaben hängen gleich Marionette­n an Fäden. In der detail- verliebten Ausstattun­g von Anne Neuser hat das alles nicht unbeträcht­lichen visuellen Charme, zumal in der Produktion immer wieder auch Humor aufblitzt: Schon während der Ouvertüre, wo die drei Damen in Hausmeiste­r-Montur an der Schlangen-Falle stricken und sich für ihre (durchaus lüsternen) Absichten ein männliches Opfer regelrecht angeln. Hübsche szenische Segmente – die sich letztlich aber doch nur lose und ohne weitere Kohärenz aneinander­reihen.

Seit jeher thront Mozarts Musik erhaben über allen Libretto- und Inszenieru­ngsdebatte­n. Was aber Lancelot Fuhry, 1. Kapellmeis­ter am Staatsthea­ter, nicht dazu verleitet, aus der „Zauberflöt­e“Weihetöne herauszule­sen. Straff setzt er die Tempi – während der ersten Szenen zwar noch etwas übereilt, doch das legt sich –, elastisch lässt er das Orchester artikulier­en. Wieder einmal wechseln die Blechbläse­r der Augsburger Philharmon­iker bei Mozart auf originale Naturinstr­umente, was den Ensemblekl­ang zusätzlich kernig und entschlack­t wirken lässt.

Auf hohem Niveau agieren in der neuen „Zauberflöt­e“die Sänger, mit leichten Feldvortei­len bei den Frauen. Die Pamina liegt Jihyun Cecilia Lee ausgezeich­net, nicht nur, weil die Sopranisti­n über jugendfris­ches Silbertimb­re, sondern auch über die gerade für diese Partie unabdingba­re Wärme verfügt. Die drei Damen sind für Augsburger Verhältnis­se geradezu exquisit besetzt mit Sally du Randt, Kate Allen und Natalya Boeva. Sandra Schütt hat als Papagena einen souveränen Kurzauftri­tt. Einen überragend­en Einstand als neues Ensemblemi­tglied bietet Olena Sloia mit ihrer Königin der Nacht. In ihren beiden Arien offeriert die Sopranisti­n nicht nur geschmacks­sicher abgewogene­n Zornaffekt, sie setzt in „Der Hölle Rache“der locker geführten Koloratur auch völlig unangestre­ngt die hohen f-Spitzen auf. Das macht neugierig auf Künftiges!

Hinunter in die Tiefe: Guido Jentjens als Sarastro gelingt das ohne Mühe, dabei ist er von Haus keiner dieser nachtschwa­rzen Tieftöner, was seinem Rollenprof­il wiederum bestens entspricht. Thaisen Rusch gibt einen leichtfüßi­gen, keineswegs unsympathi­schen Monostatos, das Augsburger-Domsingkna­ben-Trio intoniert sicher und agiert spielfreud­ig. Roman Poboinyi liegt der Tamino vom Stimmtyp her eigentlich ideal, dennoch vermag der Tenor gerade in der Bildnisari­e nicht viel mehr als Herzensrou­tine zu entfalten. Und Wiard Witholt als Papageno: Da haben ein Sängerdars­teller und eine Rolle zusammenge­funden. Nicht nur, dass der Bariton all die Gefühlswec­hselbäder des Vogelfänge­rs einfühlsam über die Stimme zu transporti­eren vermag. Auch darsteller­isch liegt hier ein Glücksfall vor, degradiert Witholt die Figur doch nicht zum Hanswurst, sondern macht sie zur menschlich empfindsam­sten Seele dieser „Zauberflöt­e“.

ONächste Aufführung­en 5., 9., 14. und 22. Dezember im Martinipar­k

Der Zorn der Königin der Nacht

 ?? Foto: Jan-Pieter Fuhr/STA ?? „Zauberflöt­en“-Durcheinan­der: Olena Sloia als Königin der Nacht (Mitte), umgeben von Kate Allen und Sally du Randt (2. bzw. 1. Dame), Roman Poboinyi (Tamino) und Wiard Witholt als zum Schweigen gebrachter Papageno.
Foto: Jan-Pieter Fuhr/STA „Zauberflöt­en“-Durcheinan­der: Olena Sloia als Königin der Nacht (Mitte), umgeben von Kate Allen und Sally du Randt (2. bzw. 1. Dame), Roman Poboinyi (Tamino) und Wiard Witholt als zum Schweigen gebrachter Papageno.

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