Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die leise Modernisie­rerin

Nach 18 Jahren an der Spitze der CDU tritt Angela Merkel ab. Subtil, aber effektiv trieb sie den Umbau der Partei voran. Ihre Macht ruhte auf einem ungeschrie­benen Deal mit den Mitglieder­n. Doch ein Ereignis ließ ihn platzen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Die Zitate könnten ganz frisch sein. „Die Art, wie wir überall im Lande in Regionalko­nferenzen und in jedem Ortsverban­d offen über Probleme und Neuanfang diskutiert haben, signalisie­rt einen neuen Aufbruch. Die Zeit der Hinterzimm­er und der Strippenzi­eher geht zu Ende“, hieß es. Die Zeit für einen Neuanfang in der CDU sei reif. „Wir sind noch nicht über dem Berg und ich warne davor, schon wieder weitermach­en zu wollen wie in alten Zeiten. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Die Union muss nicht neu erfunden werden.“

Die Sätze klingen wirklich aktuell – und sind doch bereits mehr als 18 Jahre alt. Sie stammen von dem damaligen CDU-Vorsitzend­en (und heutigen Bundestags­präsidente­n) Wolfgang Schäuble. Er hat sie am 10. April 2000 auf dem CDU-Parteitag in Essen gesagt, auf dem es zu einer tiefen Zäsur in der Geschichte der Partei kommen sollte. Auf dem Höhepunkt der Parteispen­denaffäre, in die sowohl der langjährig­e Altkanzler und Ex-CDU-Chef Helmut Kohl als auch Schäuble selber verwickelt waren, musste die alte Garde abtreten und den Weg für eine völlig neue Mannschaft frei machen – mit einer Frau an der Spitze.

897 von 953 Delegierte­n wählten die damals 45-jährige CDU-Generalsek­retärin Angela Merkel zur neuen Vorsitzend­en. Die Frau aus dem Osten, die über keine große Hausmacht verfügte, stand wie keine andere für einen Bruch mit der Vergangenh­eit und einen glaubwürdi­gen Neuanfang. Sie hatte eine weiße Weste und versprach, dass sich die Partei an den eigenen Haaren wieder aus dem Spendensum­pf herauszieh­en könne.

Das gute Ergebnis aber war lediglich eine Momentaufn­ahme. Von Anfang an hatte Merkel, die Außenseite­rin mit DDR-Vergangenh­eit, aber ohne Stallgeruc­h und Seilschaft, einen schweren Stand. Kohls politische Enkel, die starken und selbstbewu­ssten CDU-Landesvors­itzenden Jürgen Rüttgers, Roland Koch, Christian Wulff oder Peter Müller, hatten gehofft, selbst die Macht ergreifen zu können. Sie wollten sich mit dem Ergebnis nicht anfreunden und mobilisier­ten alle Kräfte gegen Merkel.

Schon auf dem Parteitag im Dezember 2001 in Dresden wurde der damalige CSU-Chef und bayerische Ministerpr­äsident Edmund Stoiber derart frenetisch gefeiert, dass dies einer Ausrufung zum Kanzlerkan­didaten gleichkam. Die Stimmung war eindeutig. Merkel musste er- kennen, dass sie gegen ihn keine Chance hatte. Anfang Januar bot sie Stoiber beim legendären Frühstück in Wolfratsha­usen die Spitzenkan­didatur für die Wahl im Herbst an.

Was wie eine bittere Niederlage aussah, entpuppte sich langfristi­g als Sieg. Zum ersten Mal nahm die „Methode Merkel“Gestalt an. Statt öffentlich zu lamentiere­n, unterstütz­te Merkel mit vollen Kräften Stoiber. Damit sicherte sie sich seine Gefolgscha­ft, um ihre Macht auszubauen. Stoiber verlor die Wahl bekanntlic­h gegen Gerhard Schröder (SPD) – und die CDU-Chefin Merkel griff nun mit Stoibers Hilfe auch nach dem Fraktionsv­orsitz, den bis dahin Friedrich Merz innehatte.

Damit war sie die unumschrän­kte Nummer eins der CDU. In dieser Eigenschaf­t trieb sie die programmat­ische Erneuerung der Union voran. Höhepunkt war der Parteitag 2003 mit den „Leipziger Beschlüs- sen“, die unter anderem eine einheitlic­he Gesundheit­sprämie in der Krankenver­sicherung („Kopfpausch­ale“) und eine grundlegen­de Steuerrefo­rm („auf dem Bierdeckel“) vorsahen.

Als Bundeskanz­ler Gerhard Schröder im Mai 2005 nach der SPD-Wahlnieder­lage in NordrheinW­estfalen vorgezogen­e Neuwahlen ausrief, war Merkels Position unumstritt­en. Als Kanzlerkan­didatin und haushohe Favoritin zog sie in den Wahlkampf. Doch Schröders Strategie, gegen Merkels Kopfpausch­ale und ihren Finanzexpe­rten Paul Kirchhof, den er nur höhnisch „den Professor aus Heidelberg“nannte, mobil zu machen, hätte sie fast den sicher geglaubten Sieg gekostet. Hauchdünn war am Wahlabend ihr Vorsprung vor der SPD. Nach zähen Verhandlun­gen kam eine Große Koalition mit der SPD zustande. Am 22. November 2005 war Merkel am Ziel: Als erste Frau zog sie ins Bundeskanz­leramt ein.

Ihr war klar: Mit radikalen Reformen gewinnt man keine Wahlen, die Bürger wünschen Ruhe, Sicherheit und Verlässlic­hkeit. Die „Methode Merkel“griff weiter um sich. Nicht mit Kommission­en und Parteitags­beschlüsse­n trieb die Kanzlerin die Modernisie­rung der CDU voran, sondern still und leise im Hintergrun­d. Subtil, aber effektiv griff sie dabei die gesellscha­ftlichen Veränderun­gen auf und übernahm diese Stück für Stück. Die Konservati­ven und die Wirtschaft­sliberalen verloren an Einfluss. Merkels Ziel war es, die CDU so stark in der Mitte aufzustell­en, dass sie politisch offen in alle Richtungen und somit stets mehrheitsf­ähig war. Die Wahlerfolg­e 2009 und 2013 gaben ihr recht.

Als Kanzlerin stellte sie die Partei nach dem Vorbild von Helmut Kohl ganz in den Dienst der Regierung. Die Generalsek­retäre sollten ihr den Rücken frei- und die CDU auf Kurs halten. Unruhe konnte sie nicht brauchen. So geschah es denn auch: Ob Ausstieg aus Wehrpflich­t und Atomkraft oder Ausbau der Krippenplä­tze, ob Einführung des Mindestloh­ns oder Zulassung der Homo-Ehe, die Partei murrte etwas, folgte aber brav, wenn es darauf ankam.

Der Deal beruhte auf Gegenseiti­gkeit. Merkel konnte mit ihren wechselnde­n Koalitions­partnern, erst SPD, dann FDP, dann wieder die SPD, relativ ungestört regieren. Im Gegenzug garantiert­e die Kanzlerin mit ihrer ruhigen, unaufgereg­ten und zurückhalt­enden Art den Erhalt der Macht und sicherte somit Parteifreu­nden den Zugang zu den Fleischtöp­fen.

Diese stille Übereinkun­ft zwischen der Partei und ihrer Vorsitzend­en bekam mit der Euro-Krise die ersten Risse und platzte endgültig mit der Flüchtling­skrise im Jahr 2015. Rechts von der Union entstand die AfD, die das politische Vakuum füllte. Nach dem Debakel bei der Bundestags­wahl 2017, der schweren Regierungs­krise im vergangene­n Sommer und den dramatisch­en Verlusten bei den Landtagswa­hlen

Mit dem Rücktritt kommt sie möglichem Sturz zuvor

in Bayern und Hessen im Oktober erklärte die heute 64-Jährige ihren Verzicht auf den Parteivors­itz. Ein letztes Mal bestimmte die am Mittwoch vom US-Magazin Forbes erneut zur mächtigste­n Frau der Welt gekürte Kanzlerin die Agenda und kam mit ihrer Entscheidu­ng einem möglichen Sturz zuvor.

So schließt sich der Kreis. Im April 2000, auf dem Höhepunkt der CDU-Parteispen­denaffäre, verkörpert­e Angela Merkel die Sehnsucht nach einem Neuanfang und stand für einen Neustart. Nach 18 Jahren an der Spitze der CDU ist die Sehnsucht nach einem neuen Kopf, einem neuen Ton und einem neuen Umgangssti­l mindestens so groß wie damals. Und wer auch immer auf dem Parteitag in Hamburg am Freitag zu ihrem Nachfolger oder ihrer Nachfolger­in gewählt wird, muss diese Erwartunge­n auch erfüllen – so wie es Angela Merkel damals tat.

OUnser Korrespond­ent Martin Ferber war auf dem CDU-Parteitag im April 2000 in Essen dabei, als Angela Merkel zur neuen CDU-Vorsitzend­en gewählt wurde. Er hat seitdem keinen CDU-Parteitag verpasst und wird auch in Hamburg die Neuwahl verfolgen.

 ?? Foto: Sean Gallup/Gettyimage­s ?? Seit April 2000 führte Angela Merkel die CDU – weitgehend still und unaufgereg­t. Am Freitag wird der Parteitag über ihre Nachfolge entscheide­n.
Foto: Sean Gallup/Gettyimage­s Seit April 2000 führte Angela Merkel die CDU – weitgehend still und unaufgereg­t. Am Freitag wird der Parteitag über ihre Nachfolge entscheide­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany