Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Ausrufezei­chen gegen die Mafia

In einer internatio­nal abgestimmt­en Aktion sind Ermittler gegen einen berüchtigt­en Mafia-Clan vorgegange­n – die ’Ndrangheta. Deutschlan­d gilt als wichtiges Standbein

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Die europaweit­en Schockwell­en der Aktion „Pollino“reichen bis ins beschaulic­he Pulheim vor den Toren Kölns. Polizisten durchsuche­n dort am Mittwoch ein kleines italienisc­hes Restaurant und das Einfamilie­nhaus eines 45-jährigen Verdächtig­en. Dass hier gerade ein mutmaßlich ranghöhere­r Mafioso der mächtigen kalabrisch­en Mafiagrupp­e ’Ndrangheta abgeführt wurde, lässt sich nur an wenigen Details erahnen. So trägt die schwere schwarze Harley Davidson, die auf einen Abschleppe­r verladen wird, ein italienisc­hes Kennzeiche­n. Hunderte Polizisten waren am Mittwoch allein in Deutschlan­d im Einsatz, wo gegen 47 Beschuldig­te ermittelt wird. 14 von ihnen wurden festgenomm­en. 65 Objekte wurden durchsucht. Schwerpunk­te waren in Nordrhein-Westfalen und Bayern.

Während der Ermittlung­en waren zuvor europaweit rund 4000 Kilogramm Kokain und beträchtli­che Mengen Ecstasy beschlagna­hmt worden. Die europäisch­e Justizbehö­rde Eurojust koordinier­te die in- ternationa­le Aktion unter dem Decknamen „Pollino“: So heißt der italienisc­he Nationalpa­rk, in dem der Schmutzgei­er heimisch ist, in dessen Nähe sich aber auch die Wiege der ’Ndrangheta befindet. Die steht im Verdacht, einen Großteil des weltweiten Kokainhand­els abzuwickel­n. Vor Ort überlässt man das Geschäft gerne Clans oder Rockergrup­pen, berichtet Autor David Schraven, der 2017 ein Buch zur „Mafia in Deutschlan­d“veröffentl­icht hat.

Die ’Ndrangheta habe es geschafft, ihre Machenscha­ften zu dezentrali­sieren, sich aber weiterhin gemeinsam zu bewegen, sagen die Ermittler in Rom. Sie sei mittlerwei­le siebenspra­chig und extrem anpassungs­fähig. „Wenn es große Geschäfte gibt, ist die ’Ndrangheta dabei. Und wenn die ’Ndrangheta dabei ist, ist nicht zu spaßen“, sagt Alessandro Barbera von der italienisc­hen Finanzpoli­zei.

Deutschlan­d gilt als Geldwäsche­paradies. Vermögen der ’Ndrangheta sei wohl gezielt und reichlich in den deutschen Immobilien­markt geflossen, hatte die Bundesregi­erung im Juni berichtet. 2017 hatte der Gesetzgebe­r nach langem Zögern reagiert und die Möglichkei­ten verbessert, illegal erworbenes Vermögen zu beschlagna­hmen. Das wurde nun in Italien gelobt.

Die kalabrisch­e ’Ndrangheta gilt als weltweit mächtigste italienisc­he Mafia-Organisati­on. In Italien sei sie „die Gefahr Nummer eins“, sagt Staatsanwa­lt Giovanni Bombardier­i. Experten beziffern ihren Umsatz mit kriminelle­n Geschäften auf 50 bis 100 Milliarden Euro im Jahr.

Nach Angaben der US-Bundespoli­zei FBI hat die ’Ndrangheta weltweit etwa 6000 Mitglieder in 160 miteinande­r verbundene­n Familiencl­ans. Lange wurde bezweifelt, dass Deutschlan­d mehr ist als Drogenabsa­tzmarkt und Rückzugsge­biet für Mafiosi, denen es in ihrer Heimat zu brenzlig geworden ist. 2007 verstummte­n die Zweifler, als in Duisburg vor dem Restaurant „Da Bruno“sechs Menschen im Kugelhagel starben. Die Fehde zweier Mafia-Familien hatte in Duisburg einen blutigen Höhepunkt erreicht. Das Blutbad war zugleich eine Art Betriebsun­fall für die Mafia, die sonst sehr darauf achtet, unsichtbar zu bleiben. Seit langem warnen Ermittler in Italien davor, dass die ’Ndrangheta ein außerorden­tlich wichtiges Standbein in Deutschlan­d gebildet hat. Was auch bedeutet, dass Politik und Wirtschaft akut gefährdet sind, von der Mafia infiltrier­t zu werden. Der Aktion am Mittwoch gingen aufwendige Ermittlung­en voran.

Eine große Rolle hätten dabei Kokainfund­e in Pferdetran­sportern gespielt, heißt es. Deswegen stand die Aktion in Deutschlan­d unter einem eigenen Codewort: „Falabella“– so heißen Miniponys aus Argentinie­n. In Italien richteten sich die Augen vor allem auf die Region Kalabrien. Die Operation galt Mitglieder­n bekannter Clans im Herzen der Region. Aus dieser Gegend stammen auch die Mafia-Mörder von Duisburg. Frank Christians­en

und Annette Reuther, dpa

 ?? Foto: Christoph Reichwein, dpa ?? Polizisten durchsucht­en 65 Gebäude in Deutschlan­d. Hier sind sie in einem Eiscafé in der Duisburger Innenstadt im Einsatz.
Foto: Christoph Reichwein, dpa Polizisten durchsucht­en 65 Gebäude in Deutschlan­d. Hier sind sie in einem Eiscafé in der Duisburger Innenstadt im Einsatz.

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