Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Sie sind keine Opfer
Steve McQueen rückt drei starke Gangsterfrauen ins Zentrum
Schon die ersten Filmminuten sind ein klares Bekenntnis: Victoria (Viola Davis) und ihr Mann Harry (Liam Neeson) liegen im Bett und küssen sich leidenschaftlich. Die Großaufnahmen der beiden Liebenden entwickeln eine sofortige Sogwirkung. Dass eine schwarze Frau und ein weißer Mann sich derart nahe sind – das ist im US-Kino immer noch ein Tabu. Die Szene wird mit einer halsbrecherischen Verfolgungsjagd gegengeschnitten. Über Jahrzehnte hat Harry höchst erfolgreich Überfälle durchgeführt. Aber nun sind er und seine Komplizen in einen Polizeihinterhalt geraten, den keiner von ihnen überleben wird. Für die tiefempfundene Trauer bleibt Victoria jedoch wenig Zeit.
Der zum Politiker aufgestiegene Ganove Jamal Manning (Brian Tyree Henry) fordert die WahlkampfMillionen zurück, die Harry von ihm gestohlen hat. Victoria ruft die beiden anderen Witwen Linda (Michelle Rodriguez) und Alice (Elisabeth Debicki) zusammen, um einen von Harry geplanten Coup durchzuführen. Zunächst erscheint Steve McQueens „Widows“wie der Film, der „Oceans 8“hätte sein sollen.
Aber zwischen den Genrekonventionen verbirgt sich ein radikaler Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die von männlichem Zynismus geprägt sind. Gewalttätige Ehemänner, korrupte Politiker, eiskalte Killer, bigotte Prediger: Weit und breit gibt es nicht eine männliche Figur, die irgendeine Art von moralischem Kompass in sich trägt. Die Witwen arbeiten sich gemeinsam aus der Opferrolle heraus und untergraben das selbstverliebte, patriarchale Establishment mit krimineller Effizienz. Dabei kommt der Film ohne gefällige FrauenpowerKlischees aus. Stattdessen setzt McQueen („12 Years a Slave“) auf die vielschichtige Zeichnung ihrer weiblichen Heldinnen, die fest in der sozialen Realität verankert sind. » Widows – Tödliche Witwen (2 Std. 10 Min.), Thriller, USA 2018
Wertung ★★★★✩