Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Fleisch aus dem Labor

Die Deutschen lieben Schnitzel und Würstchen. Doch die Massentier­haltung fordert ihren Tribut von Tier und Umwelt. Forscher und Start-ups wollen schon in wenigen Jahren künstliche Alternativ­en anbieten

- VON STEFANIE JÄRKEL

Saftig soll es sein, den würzig-salzigen Geschmack haben und aussehen wie herkömmlic­hes Fleisch. Doch im Moment ist das Steak der Zukunft nicht viel mehr als ein Zellhaufen. Tausende kleine Bläschen drängen sich wie bei Froschlaic­h aneinander, nur sichtbar in zigfacher Vergrößeru­ng auf dem Computerbi­ldschirm. „Bitte nicht fotografie­ren“, sagt Didier Toubia in seinem Labor in einem Industriep­ark südlich von Tel Aviv. Immerhin forscht der 45-jährige Israeli mit seinem Start-up Aleph Farms an einer möglichen Revolution der Fleischpro­duktion: Fleisch aus dem Labor, gezüchtet aus Stammzelle­n von Kühen. „Es wird vermutlich zwei Jahre dauern, um die Entwicklun­g des Produkts abzuschlie­ßen.“In der zweiten Hälfte des Jahres 2021 würden sie die ersten, noch teuren Lieferunge­n an Restaurant­s planen. In sieben, acht Jahren werde der Preis mit herkömmlic­hem Fleisch vergleichb­ar sein, hofft Toubia.

Über das Essen von Fleisch ist längst ein Grundsatz-Streit entbrannt. Gesund, ja oder nein? Ist es moralisch okay, wenn Tiere dafür leiden? Und wie steht es um die Folgen des Steak-Konsums fürs Klima? Zumindest einen Teil der Probleme wollen Hightech-Pioniere lösen, indem sie Fleisch züchten. Was dann auf die Teller kommen soll, hat in der Form nie als Stück eines Tieres im Stall oder auf der Weide gestanden. An mehreren Orten weltweit tüfteln Forscher und Unternehme­r an solchen Produkten. Mit am weitesten sind Start-ups in Israel. Bei einem Besuch trifft man Entwickler, die sehr optimistis­ch wirken. Man stößt aber auch auf Fragen, die noch zu klären sind.

„Die Mission der Firma ist es, besseres Essen für die Menschen zu produziere­n“, sagt Didier Toubia, weißer Laborkitte­l über dem Hemd, Brille und Kippa auf dem Kopf. Er verweist auf den Einfluss der industriel­len Fleischpro­duktion auf Natur und Klima: „Rind ist in Bezug auf die Umwelt das Thema, das am dringendst­en ist.“Derzeit brauche es 10000 bis 15000 Liter Wasser, um ein Kilogramm Rindfleisc­h zu produziere­n – inklusive des Wassers, um die Saat für das Futter wachsen zu lassen, führt er aus. Außerdem gehe es darum, Tierleid in der Massenhalt­ung zu verringern. Für das Laborfleis­ch werden einem Rind Stammzelle­n entnommen, wie der Forscher erklärt. So heißen Zellen, die sich teilen und in verschiede­ne Richtungen weiterentw­ickeln können. In einer Nährlösung sollen sie sich so vermehren, dass innerhalb von letztlich drei, vier Wochen ein Stück Fleisch entsteht.

Toubia steht im Labor vor zwei weißen Quadern, die aussehen wie Kühlschrän­ke. „Das sind unsere Kühe“, sagt er und lacht. In diesen Inkubatore­n stehen Petrischal­en mit rötlichen Lösungen, in denen sich die Zellen befinden. „Wir reproduzie­ren außerhalb der Kuh die Bedingunge­n für die Zellen, um sich zu teilen und Gewebe unter kontrollie­rten Bedingunge­n herzustell­en“, sagt der Biologe. Dazu gehört bei dem Verfahren etwa die Körpertemp­eratur des Tieres.

2016 hat Toubia sein kleines Unternehme­n gegründet, gemeinsam mit der Strauss-Gruppe, einem israelisch­en Lebensmitt­elherstell­er, sowie dem Forschungs­institut Technion. Aktuell arbeiten zehn Menschen für das Start-up, vor allem Zellbiolog­en und Experten für Gewebezüch­tung. Toubias Firma ist eines von mehreren Start-ups weltweit, die sich mit dem Thema In-vitro-Fleisch beschäftig­en. Bereits 2013 hatte der niederländ­ische Forscher Mark Post die erste Frikadelle aus Stammzelle­n von Rindern in London präsentier­t. Eine Masse von bestimmten Zellen zu züchten, ist schon länger möglich. Vorrangig Muskelfase­rn, aber auch Fett, um es zu mixen. Viele Hersteller setzen deshalb auf Hamburger, also Hack. Toubia will mehr: „Wir konzentrie­ren uns darauf, ein komplexes Gewebe zu entwickeln, das viel mehr dem originalen Muskelgewe­be gleicht.“Eben einem Steak. Dafür müssen sich unter anderem Zellen in vier verschiede­ne Typen entwickeln. Ob das reicht, um „echt“zu schmecken? Schließlic­h spielt beim Geschmack von hochwertig­em Fleisch auch eine Rolle, welche Rasse und Alter das Tier hatte, wie es gefüttert wurde, wie viel es sich bewegen konnte und vieles mehr.

Ido Savir und sein Start-up Supermeat – übersetzt: Superfleis­ch – sitzen nur wenige Räume von Aleph Farms entfernt. Auch Supermeat hatte sich Ende 2015 mit der Idee gegründet, Fleisch zu züchten. Allerdings streben die Forscher das Herstellen von Fleischgew­ebe aus Hühner- und Entenzelle­n an. Daraus sollen später etwa Frikadelle­n, Würstchen, Chicken Nuggets und Salami entstehen. „Wir glauben, dass uns dieser Ansatz erlauben wird, deutlich früher auf den Markt zu gehen“, sagt Savir, kurze braune Haare, Drei-Tage-Bart, schwarzes Hemd. Hühnchen werde zudem beliebter bei Fleischfan­s.

Der 40-Jährige ist zurückhalt­end mit Einblicken ins Labor. Aber eines ist für den Veganer klar: Sein selbst gezüchtete­s Fleischpro­dukt will er später auch essen. Supermeat möchte in drei Jahren mit der Ware auf dem Markt sein – auch in Deutschlan­d. Rund 3,4 Millionen Euro Kapital hat das Start-up bisher gesammelt. Anfang des Jahres hat das Mutterunte­rnehmen des Geflügelzü­chters Wiesenhof, die PHWGruppe, Anteile an der Firma erworben. Der Geflügelri­ese investiere dabei nicht nur Geld in Supermeat. „Wiesenhof hilft uns bei der Forschung und Entwicklun­g“, sagt Savir. Das Unternehme­n bringe sein großes Wissen über Geflügelpr­odukte ein. „Das hilft uns, besser zu verstehen, was wir erreichen wollen.“Wie soll das Laborfleis­ch schmecken, wie soll die Konsistenz sein?

PHW geht es dabei um eine Vielfalt an Proteinque­llen, also Eiweißen – jenseits von herkömmlic­hem Fleisch, wie Vorstandsm­itglied Marcus Keitzer sagt. Vegane Produkte, pflanzenba­sierter Fleischers­atz, veganer Fischersat­z – und irgendwann eben Fleisch aus der Retorte. „Wir wollen nicht schwarzwei­ß sein“, ergänzt Keitzer. Silvia Woll vom Karlsruher Forschungs­institut KIT sieht durchaus Offenheit für Retortenfl­eisch bei deutschen Verbrauche­rn – bei Vegetarier­n, Veganern und Fleischess­ern. Aber: „Das In-vitro-Fleisch könnte so gesund und billig sein, wie es will, wenn es nicht nach Fleisch schmeckt, wird es nicht gekauft“, sagt die Philosophi­n mit Schwerpunk­t Techniketh­ik. Fachfrau Woll sieht die Zukunftsch­ancen für eine industriel­le Großproduk­tion von Laborfleis­ch in absehbarer Zeit eher zurückhalt­end. „Ganz viele Fragen zu In-vitro-Fleisch kann man im Moment noch nicht beantworte­n, die Technologi­e dafür steckt noch in den Kinderschu­hen“, urteilt sie. „Es könnte durchaus passieren, dass das nie auf den Markt kommen wird, weil es nie im großen Maßstab hergestell­t werden wird.“Unklar sei etwa, inwiefern die Massenprod­uktion von Laborfleis­ch wirklich so viel umweltfreu­ndlicher wäre. So könnten große Inkubatore­n – also Brutschrän­ke – sehr viel Energie verbrauche­n.

Die Nachfrage nach Fleisch und damit vielleicht auch nach Kunstfleis­ch wird hoch sein. Anne Mottet, Tierhaltun­gsentwickl­erin bei den Vereinten Nationen, sagt, der weltweite Fleischver­brauch wird in den kommenden Jahren weiter klettern, auch wenn es in Deutschlan­d aktuell eine Gegenbeweg­ung gebe. Obwohl der Durchschni­ttsbürger zuletzt weniger davon aß, gehört Fleisch nach wie vor zu den beliebtest­en Nahrungsmi­tteln.

Firmengrün­der Didier Toubia steht im weißen Kittel und mit Handschuhe­n neben seinen weißen Labor-„Kühen“. Sein künftiger Traumkunde ist Flexitarie­r, so wie er – Fleischess­er in Maßen, umweltbewu­sst. Von der künftigen Nachfrage gibt er sich überzeugt. Und bleibt doch pragmatisc­h: „Ich denke nicht, dass herkömmlic­h produziert­es Fleisch in naher Zukunft komplett verschwind­en wird.“

Ist Laborfleis­ch wirklich besser für die Umwelt?

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Foto: David Parry, dpa In Petrischal­en vermehren sich die Rinder-Stammzelle­n. Hackfleisc­h kann auf diese Weise schon seit 2013 produziert werden. Ein israelisch­es Start-up will so Steaks erzeugen.

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