Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Insolvenz: Ende oder Anfang der Gersthofer Großbäcker­ei?

Wie die Psyche der Beschäftig­ten leidet, und was passieren muss, damit die Backbetrie­be gerettet werden

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Gersthofen Die Worte wirken bedrohlich: Insolvenzv­erwalter Dr. Max Liebig spricht von einer „äußerst schwierige­n Lage“. Der Geschäftsf­ührer der Serafin-Unternehme­nsgruppe, die vor vier Jahren die Gersthofer Backbetrie­be mit den Lechbäck-Verkaufsfi­lialen übernommen hatte, hält die Situation für „angespannt“. Wie es beim Großbäcker weitergeht, soll sich in den kommenden Wochen entscheide­n. Gelingt eine Sanierung, kommt es zu einer Teilschlie­ßung oder bleibt der Ofen in Zukunft ganz aus? Was passiert im schlimmste­n Fall mit den rund 400 Mitarbeite­rn, die am Montag die Nachricht vom eröffneten Insolvenzv­erfahren erhalten hatten?

Besonders hart würde es die ungelernte­n Arbeiter und Leiharbeit­er treffen, meint Tim Lubecki von der Gewerkscha­ft Nahrung-GenussGast­stätten. Sie hätten es schwerer als Bäckermeis­ter oder Gesellen, eine neue Anstellung zu finden. Auch für Führungskr­äfte oder auch Schichtfüh­rer sei es bitter – schließlic­h hätten alle viel Lebenszeit ins Unternehme­n gesteckt. Lubecki: „Das alles ist eine enorme psychische Belastung.“Wichtig sei es, für die Beschäftig­ten eine Perspektiv­e zu entwickeln. Das könnte bei einer Schließung der Backbetrie­be – der schlimmste Fall – in einer Transferge­sellschaft passieren. Die von der Arbeitslos­igkeit bedrohten Mitarbeite­r erhalten dann eine Chance, schneller einen neuen Job zu finden.

Die Serafin-Unternehme­nsgruppe hat bereits angekündig­t, einen siebenstel­ligen Betrag „zur Abmilderun­g eventuelle­r Folgewirku­ngen auf die Mitarbeite­r“beizusteue­rn. Damit könnte eine eventuelle Beschäftig­ungsund Qualifizie­rungsgesel­lschaft für die Mitarbeite­r finanziert werden.

Mit der Ankündigun­g von finanziell­en Mitteln geht die Unternehme­nsgruppe auch auf einen Vorwurf der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n ein: Die Backbetrie­be vier Jahre nach der Übernahme „in die Insolvenz laufen zu lassen“decke sich nicht mit dem Selbstvers­tändnis der Gruppe – sie stehe in der Tradition von 150 Jahren Firmengesc­hichte der Augsburger Unternehme­rfamilie Haindl, die als Hauptgesel­lschafter hinter Serafin stehe. Haindl ist bekannt durch die Papierfabr­ik, die sie in Augsburg betrieben und im Jahr 2001 an den UPM-Konzern verkauft hat. Philipp Haindl, ein Spross der Familie, ist Geschäftsf­ührer der SerafinGru­ppe. Zu Serafin gehören Firmen aus unterschie­dlichen Branchen. Darunter Hersteller von Eisenwaren, Werkzeugen, Porzellan, Verpackung­en und – durch die Übernahme der Gersthofer Bäckerei – auch von Lebensmitt­eln.

Bei der Übernahme Ende 2014 hieß es: „Die Geschäftsf­ührung wird das Unternehme­n am Standort Gersthofen mit gleicher Belegschaf­t unveränder­t fortführen.“Das deckte sich laut Gewerkscha­ft mit dem erklärten Investitio­nsansatz der Serafin: „Wir investiere­n in etablierte mittelstän­dische Unternehme­n, die auf ein funktionie­rendes Geschäftsm­odell zurückgrei­fen, und durch den Einsatz operativer und strategisc­her Maßnahmen weiterentw­ickelt werden können.“

Doch diese Entwicklun­g lief nicht wie gewünscht (wir berichtete­n). Großkunden wie Aldi setzten zunehmend auf eigene Aufbackwar­e statt auf frische Produkte aus Gersthofen. Es gab Umsatzeinb­ußen und Verluste. Dann wurde nach neuen Kunden wie Kantinen und Kliniken gesucht, um das Geschäft auf mehr Beine zu stellen. Auch an der Stellschra­ube Personalko­sten wurde gedreht: Ende Februar traten die Backbetrie­be aus dem Tarifvertr­ag aus. Mitte September habe sich die Geschäftsf­ührung dazu entschloss­en, das Unternehme­n in einem Schutzschi­rmverfahre­n neu aufzustell­en. So heißt das gerichtlic­he Sanierungs­verfahren, mit dem das Unternehme­n und die Arbeitsplä­tze erhalten werden sollen.

Die Geschäftsf­ührung führt dabei weiterhin die Gesellscha­ft, wird aber von einem von Gericht bestellten Sachwalter begleitet. Philipp Haindl betont: „Der Gesellscha­fter hat auch in dieser Zeit zur Unterstütz­ung finanziell­e Mittel zur Verfügung gestellt, um die Produktion im üblichen Rahmen aufrechter­halten zu können.“

Mit der Eröffnung des Insolvenzv­erfahrens geht es jetzt um die Frage, wie der Betrieb aufrecht erhalten werden kann. Insolvenzv­erwalter Dr. Max Liebig aus München muss ausloten, ob Kunden, Lieferante­n, Gesellscha­fter und Arbeitnehm­er mitziehen – positive Signale könnten dann die Grundlage für weitere Investoren­gespräche sein. Gewerkscha­fter Tim Lubecki hofft, dass die Verantwort­lichen der Discounter Aldi und Norma „doch noch die Augen öffnen, um langfristi­ge Verträge zu schließen“. Sie könnten die Rettung für die Gersthofer sein.

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