Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die zwei Seiten des Moravcik-Wechsels

Während sich die SPD freut, den Grünen-Stadtrat in aller Stille zu sich gelotst zu haben, sind die Grünen eiskalt erwischt worden. Sie sind enttäuscht und sprechen von einer „Flucht“

- VON MICHAEL HÖRMANN

Der Wechsel des Grünen-Stadtrats Christian Moravcik zur SPD ist ein Paukenschl­ag. Die Personalie wurde hinter den Kulissen eingefädel­t, Moravciks bisherige Partei erfuhr erst am Dienstagab­end davon – und damit kurz bevor der Wechsel öffentlich wurde. Die Reaktionen fallen entspreche­nd unterschie­dlich aus: Die SPD freut sich über den Coup, bei den Grünen herrscht Katerstimm­ung.

Seine bisherigen Mitstreite­r können Moravciks Schritt nur sehr schwer nachvollzi­ehen. Sie kritisiere­n zudem die Form des Abgangs: Fraktionsc­hefin Martina Wild zeigte sich „doch sehr irritiert“darüber, wie er sich am Dienstagab­end aus der Fraktion und der Partei verabschie­det habe: Ohne ein vorheriges Gespräch habe Moravcik einer nicht mal vollzählig anwesenden Fraktion mitgeteilt, dass er zur SPD wechsle. „Diesen Schritt bedauere ich“, sagte Wild. Landtagsab­geordnete Stephanie Schuhknech­t formuliert es härter: Sie sei „enttäuscht“, dass Moravcik nicht mit der Fraktion oder ihr gesprochen habe. Stattdesse­n habe er seine Entscheidu­ng den Kollegen nur noch kurz mitgeteilt, „während die Pressekonf­erenz bei der SPD schon angesetzt war“.

Bei den Augsburger Sozialdemo­kraten gab es entspreche­nd lachende Gesichter und gute Laune. Eine Stimmung, die man in Reihen der SPD länger nicht gesehen hat. Nach den verloren gegangenen Landtagswa­hlen in Bayern und Hessen kehrte nun aber der Frohsinn zurück. Es war am Dienstag, als um 19 Uhr in den Fraktionsr­äumen im Rathaus bei einer kurzfristi­g angesetzte­n Pressekonf­erenz der Wechsel des Grünen-Stadtrats Christian Moravcik verkündet wurde. Auch der SPD-Fraktion war die Nachricht erst kurz zuvor bekannt gegeben worden. Dem Vernehmen nach hat der Wechsel auch einen Großteil der SPD-Stadträte überrascht. Doch er wurde einstimmig begrüßt, denn durch den Zuwachs in der Fraktion verstärkt sich das SPD-Team auf künftig 14 Stadträte.

In die Personalie war, so ist zu hören, nur der engste Führungskr­eis eingebunde­n. SPD-Fraktionsv­orsitzende Margarete Heinrich hatte mit ihren Stellvertr­etern Willi Leichtle, Stefan Quarg und Florian Freund alles vorbereite­t. Die Gespräche mit Moravcik liefen im Stillen, es wurden aber bereits Details geklärt. Nach draußen drang nichts. Entspreche­nd überrascht waren die Grünen, die mit SPD und CSU ein Regierungs­bündnis bilden, wobei sie im Bündnis lediglich Partner sind.

Schon am Dienstag war klar, in welchen Ausschüsse­n Moravcik für die SPD sitzen soll. Quarg macht Platz im Wirtschaft­sförderung­sausschuss, Freund im Finanzauss­chuss. Die Vorschussl­orbeeren für den 35-Jährigen sind groß. „Vom Alter her betrachtet tut er uns gut“, sagt Fraktionsv­ize Quarg. „Mich freut es, dass ein kompetente­r Finanzpoli­tiker uns verstärkt“, ergänzt Leichtle. Florian Freund spannt einen größeren Bogen: „Die SPD ist eben nicht abgeschrie­ben. Der Wechsel von Christian Moravcik gibt der SPD Rückenwind für die anstehende Kommunalwa­hl.“

Moravcik betont, dass er zu vielen SPD-Kollegen im Stadtrat ein gutes persönlich­es Verhältnis habe. Dennoch sei ihm der Wechsel nicht leicht gefallen, zumal er 15 Jahre lang für die Grünen aktiv war. Inhaltlich stehe er anderersei­ts schon länger auf Seite der SPD. Zwei Beispiele führte er an: den Lechsteg und die Osttangent­e. Die SPD steht diesen Vorhaben offen gegenüber, die Grünen nicht.

Moravcik saß seit 2008 für die Grünen im Stadtrat. Dass es im Zusammensp­iel der Fraktion mit dem 35-Jährigen Probleme gegeben hat, ist bekannt. Der abtrünnige Stadtrat sprach „von unüberbrüc­kbaren persönlich­en Differenze­n“. Er hatte sich enttäuscht darüber gezeigt, dass er bei der Wahl des Fraktionsv­orstands übergangen wurde. Nun sitzen drei Frauen in der Führung. Fraktionsv­orsitzende Martina Wild verteidigt diese personelle Besetzung: „Es war eine demokratis­che Wahl.“Sie sei von den Stadträten „ohne Taktieren“so entschiede­n worden. Dass Moravcik enttäuscht gewesen sei, könne sie nachvollzi­ehen, sagt Wild. Dem Vernehmen nach hatte er in der Parteiführ­ung der Grünen mehr Rückhalt als in der Fraktion, doch die Parteivors­itzenden sitzen nicht im Stadtrat. Sprecher Peter Rauscher sagt: „Ich bedauere seinen Austritt aus Partei und Fraktion. Niederlage­n frustriere­n, das kann ich nachvollzi­ehen. Aber in der Politik gehören Niederlage­n einfach zum Geschäft.“Deshalb fällt Rauschers Fazit kritisch aus: „Schade, dass er die Flucht, also den leichteren Weg, gewählt hat.“Für die Grünen sei der Wechsel samt des Stadtratsm­andats, das Moravcik zur SPD mitnimmt, „eine personelle wie auch quantitati­ve Schwächung, die mich schmerzt“, sagt Rauscher. Er hätte sich eine Lösung gemeinsam mit Moravcik in der Fraktion gewünscht. Negative Auswirkung­en für die Kommunalwa­hl im März 2020 sieht Rauscher dennoch nicht. Zur Fraktionsv­orstandswa­hl, bei der sich drei Frauen durchgeset­zt hatten, sagt der Grünen-Sprecher: „Die Fraktion ist in ihren Entscheidu­ngen eigenständ­ig. Als Parteivors­itzender habe ich eine beratende Funktion.“

Bei den Grünen waren Moravcik und Cemal Bozoglu oft auf einer Wellenläng­e. Der frühere Stadtrat Bozoglu sitzt jetzt im Landtag. „Über den Abschied von Moravcik habe ich am Abend durch einen Bericht der Augsburger Allgemeine­n erfahren“, sagte er am Mittwoch. Auch einen Seitenhieb gegen Moravcik teilt er aus: „Es war ein schwer erkämpftes Mandat von uns Grünen. Und man muss dann auch bei einer internen demokratis­chen Wahl Entscheidu­ngen akzeptiere­n.“Dass Moravcik bei der SPD angeheuert hat, kann Bozoglu nicht verstehen: „Er war bei den Themen Energiefus­ion und Theaterfin­anzierung so weit inhaltlich weg von der Koalition, in die er nun als neuer SPD-Stadtrat eingetrete­n ist.“

Was die inhaltlich­en Unterschie­de zwischen Grünen und Moravciks neuer Partei angeht, sagt Stefanie Schuhknech­t: „Dass er sich jetzt für den Bau der Osttangent­e ausspricht, ist für mich ein Zeichen der Entfremdun­g von grünen Grundsätze­n.“Dass der Abgang sich negativ auf die Kommunalwa­hl auswirkt, glaubt aber auch Schuhknech­t nicht: „Wir haben ein gutes Team in der Stadtratsf­raktion und darüber hinaus genug Frauen und Männer in der Partei, die sich im Stadtrat einbringen wollen. Wir wollen zweitstärk­ste Kraft in Augsburg werden.“

Die SPD hofft auf Rückenwind für die Wahl

Die Grünen sprechen von einer „Entfremdun­g“

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Foto: Michael Hochgemuth Beste Laune am Dienstagab­end bei der SPD: Christian Moravcik (Zweiter von rechts) ist in der SPD angekommen, von links: Stefan Quarg, Willi Leichtle, Margarete Heinrich und Florian Freund.
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Foto: Silvio Wyszengrad Der neu gewählte Fraktionsv­orstand der Grünen: Martina Wild (vorne links), Verena von Mutius und Antje Seubert (zweite Reihe links).
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