Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die zwei Seiten des Moravcik-Wechsels
Während sich die SPD freut, den Grünen-Stadtrat in aller Stille zu sich gelotst zu haben, sind die Grünen eiskalt erwischt worden. Sie sind enttäuscht und sprechen von einer „Flucht“
Der Wechsel des Grünen-Stadtrats Christian Moravcik zur SPD ist ein Paukenschlag. Die Personalie wurde hinter den Kulissen eingefädelt, Moravciks bisherige Partei erfuhr erst am Dienstagabend davon – und damit kurz bevor der Wechsel öffentlich wurde. Die Reaktionen fallen entsprechend unterschiedlich aus: Die SPD freut sich über den Coup, bei den Grünen herrscht Katerstimmung.
Seine bisherigen Mitstreiter können Moravciks Schritt nur sehr schwer nachvollziehen. Sie kritisieren zudem die Form des Abgangs: Fraktionschefin Martina Wild zeigte sich „doch sehr irritiert“darüber, wie er sich am Dienstagabend aus der Fraktion und der Partei verabschiedet habe: Ohne ein vorheriges Gespräch habe Moravcik einer nicht mal vollzählig anwesenden Fraktion mitgeteilt, dass er zur SPD wechsle. „Diesen Schritt bedauere ich“, sagte Wild. Landtagsabgeordnete Stephanie Schuhknecht formuliert es härter: Sie sei „enttäuscht“, dass Moravcik nicht mit der Fraktion oder ihr gesprochen habe. Stattdessen habe er seine Entscheidung den Kollegen nur noch kurz mitgeteilt, „während die Pressekonferenz bei der SPD schon angesetzt war“.
Bei den Augsburger Sozialdemokraten gab es entsprechend lachende Gesichter und gute Laune. Eine Stimmung, die man in Reihen der SPD länger nicht gesehen hat. Nach den verloren gegangenen Landtagswahlen in Bayern und Hessen kehrte nun aber der Frohsinn zurück. Es war am Dienstag, als um 19 Uhr in den Fraktionsräumen im Rathaus bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz der Wechsel des Grünen-Stadtrats Christian Moravcik verkündet wurde. Auch der SPD-Fraktion war die Nachricht erst kurz zuvor bekannt gegeben worden. Dem Vernehmen nach hat der Wechsel auch einen Großteil der SPD-Stadträte überrascht. Doch er wurde einstimmig begrüßt, denn durch den Zuwachs in der Fraktion verstärkt sich das SPD-Team auf künftig 14 Stadträte.
In die Personalie war, so ist zu hören, nur der engste Führungskreis eingebunden. SPD-Fraktionsvorsitzende Margarete Heinrich hatte mit ihren Stellvertretern Willi Leichtle, Stefan Quarg und Florian Freund alles vorbereitet. Die Gespräche mit Moravcik liefen im Stillen, es wurden aber bereits Details geklärt. Nach draußen drang nichts. Entsprechend überrascht waren die Grünen, die mit SPD und CSU ein Regierungsbündnis bilden, wobei sie im Bündnis lediglich Partner sind.
Schon am Dienstag war klar, in welchen Ausschüssen Moravcik für die SPD sitzen soll. Quarg macht Platz im Wirtschaftsförderungsausschuss, Freund im Finanzausschuss. Die Vorschusslorbeeren für den 35-Jährigen sind groß. „Vom Alter her betrachtet tut er uns gut“, sagt Fraktionsvize Quarg. „Mich freut es, dass ein kompetenter Finanzpolitiker uns verstärkt“, ergänzt Leichtle. Florian Freund spannt einen größeren Bogen: „Die SPD ist eben nicht abgeschrieben. Der Wechsel von Christian Moravcik gibt der SPD Rückenwind für die anstehende Kommunalwahl.“
Moravcik betont, dass er zu vielen SPD-Kollegen im Stadtrat ein gutes persönliches Verhältnis habe. Dennoch sei ihm der Wechsel nicht leicht gefallen, zumal er 15 Jahre lang für die Grünen aktiv war. Inhaltlich stehe er andererseits schon länger auf Seite der SPD. Zwei Beispiele führte er an: den Lechsteg und die Osttangente. Die SPD steht diesen Vorhaben offen gegenüber, die Grünen nicht.
Moravcik saß seit 2008 für die Grünen im Stadtrat. Dass es im Zusammenspiel der Fraktion mit dem 35-Jährigen Probleme gegeben hat, ist bekannt. Der abtrünnige Stadtrat sprach „von unüberbrückbaren persönlichen Differenzen“. Er hatte sich enttäuscht darüber gezeigt, dass er bei der Wahl des Fraktionsvorstands übergangen wurde. Nun sitzen drei Frauen in der Führung. Fraktionsvorsitzende Martina Wild verteidigt diese personelle Besetzung: „Es war eine demokratische Wahl.“Sie sei von den Stadträten „ohne Taktieren“so entschieden worden. Dass Moravcik enttäuscht gewesen sei, könne sie nachvollziehen, sagt Wild. Dem Vernehmen nach hatte er in der Parteiführung der Grünen mehr Rückhalt als in der Fraktion, doch die Parteivorsitzenden sitzen nicht im Stadtrat. Sprecher Peter Rauscher sagt: „Ich bedauere seinen Austritt aus Partei und Fraktion. Niederlagen frustrieren, das kann ich nachvollziehen. Aber in der Politik gehören Niederlagen einfach zum Geschäft.“Deshalb fällt Rauschers Fazit kritisch aus: „Schade, dass er die Flucht, also den leichteren Weg, gewählt hat.“Für die Grünen sei der Wechsel samt des Stadtratsmandats, das Moravcik zur SPD mitnimmt, „eine personelle wie auch quantitative Schwächung, die mich schmerzt“, sagt Rauscher. Er hätte sich eine Lösung gemeinsam mit Moravcik in der Fraktion gewünscht. Negative Auswirkungen für die Kommunalwahl im März 2020 sieht Rauscher dennoch nicht. Zur Fraktionsvorstandswahl, bei der sich drei Frauen durchgesetzt hatten, sagt der Grünen-Sprecher: „Die Fraktion ist in ihren Entscheidungen eigenständig. Als Parteivorsitzender habe ich eine beratende Funktion.“
Bei den Grünen waren Moravcik und Cemal Bozoglu oft auf einer Wellenlänge. Der frühere Stadtrat Bozoglu sitzt jetzt im Landtag. „Über den Abschied von Moravcik habe ich am Abend durch einen Bericht der Augsburger Allgemeinen erfahren“, sagte er am Mittwoch. Auch einen Seitenhieb gegen Moravcik teilt er aus: „Es war ein schwer erkämpftes Mandat von uns Grünen. Und man muss dann auch bei einer internen demokratischen Wahl Entscheidungen akzeptieren.“Dass Moravcik bei der SPD angeheuert hat, kann Bozoglu nicht verstehen: „Er war bei den Themen Energiefusion und Theaterfinanzierung so weit inhaltlich weg von der Koalition, in die er nun als neuer SPD-Stadtrat eingetreten ist.“
Was die inhaltlichen Unterschiede zwischen Grünen und Moravciks neuer Partei angeht, sagt Stefanie Schuhknecht: „Dass er sich jetzt für den Bau der Osttangente ausspricht, ist für mich ein Zeichen der Entfremdung von grünen Grundsätzen.“Dass der Abgang sich negativ auf die Kommunalwahl auswirkt, glaubt aber auch Schuhknecht nicht: „Wir haben ein gutes Team in der Stadtratsfraktion und darüber hinaus genug Frauen und Männer in der Partei, die sich im Stadtrat einbringen wollen. Wir wollen zweitstärkste Kraft in Augsburg werden.“
Die SPD hofft auf Rückenwind für die Wahl
Die Grünen sprechen von einer „Entfremdung“