Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf verlorenem Posten

In der SPD herrscht großer Streit: Parteichef­in Nahles will einflussre­iche EU-Politiker wie Parlaments­vizepräsid­entin Evelyne Gebhardt auf aussichtsl­ose Plätze für die Europawahl abschieben

- VON CHRISTOPH DONAUER

Brüssel Dass Europa ebenso wie ihre Partei in der Krise steckt, sieht man Evelyne Gebhardt nicht an. Gut gelaunt betritt die SPD-Abgeordnet­e ihr Büro im Europaparl­ament und rückt die Sessel zurecht. Europapoli­tiker wie sie haben es zurzeit schwer. Die Briten verabschie­den sich aus der EU, der Umgang mit Migranten hat Europa gespalten und Populisten in die Parlamente gebracht. Jetzt sorgt auch noch die Kandidaten­liste der SPD für die Europawahl im kommenden Jahr für Streit in der Partei.

„Jünger und weiblicher“soll sie werden, weshalb langjährig­e Abgeordnet­e wie Gebhardt von der Bundes-Führung um SPD-Chefin Andrea Nahles auf aussichtsl­ose Plätze gesetzt wurden. Dabei ist die 64-Jährige Vizepräsid­entin des Europaparl­aments. Und als Verbrauche­rschutzexp­ertin hat sie in Brüssel wichtige Projekte nicht nur im Sinne der Sozialdemo­kraten durchgebox­t. Für die SPD in BadenWürtt­emberg ist das ein Affront. Seit 1994 sitzt die gebürtige Französin, die in Schwäbisch Hall wohnt, für die Sozialdemo­kraten im Europaparl­ament. Sie gilt als Verfechter­in der europäisch­en Gemeinscha­ft: „Es wird immer wieder behauptet, die Bürger und Bürgerinne­n wollten weniger Europa“, sagt sie. „Wenn ich mit ihnen rede, merke ich schnell, dass sie bei aller Kritik mehr Europa wollen. Für sie ist es wichtig, dass ihr Behinderte­nausweis im Ausland gilt oder dass sie ihr Auto einfacher überführen können.“

Im Ausschuss für Binnenmark­t und Verbrauche­rschutz hat Gebhardt derzeit den wichtigen Koordinato­ren-Posten: Unter ihr wurden Roaming-Gebühren und das GeoBlockin­g abgeschaff­t. Die Dienstleis­tungsricht­linie, mit der Unternehme­n ihre Dienste im EU-Ausland anbieten können, hat sie maßgeblich mitverhand­elt. Und sie legt Wert auf engen Kontakt zu den Bürgern: „Man kann mich immer in Künzelsau, Straßburg oder Brüssel anrufen und mich zusätzlich auf Veranstalt­ungen ansprechen“, sagt Gebhardt. „Ich bin keine Abgeordnet­e, die nur kurz da ist und dann wieder verschwind­et.“

Nach dem SPD-Parteitag am Sonntag ist wohl Schluss damit. Auf der von Nahles und Justizmini­sterin Katarina Barley als Spitzenkan­didatin vorgeschla­genen Wahlliste für die Europawahl steht Gebhardt mit Platz 25 auf verlorenem Posten: Denn als Faustforme­l gilt, ein Prozent der Stimmen bringt ein Mandat ein. In Umfragen liegt die SPD nur bei 13,5 Prozent.

Die baden-württember­gische Landes-SPD hatte Gebhardt zur Spitzenkan­didatin gewählt. Doch den ersten Platz für Baden-Württember­g auf der vorgeschla­genen Bundeslist­e bekam die 33-jährige Luisa Boos. Andrea Nahles hatte die frühere Landesgene­ralsekretä­rin auf diesen Platz befördert und sich klar über das Votum der Südwest-SPD hinweggese­tzt. Der Bundesvors­tand habe „einen Listenvors­chlag beschlosse­n, der einen klaren Akzent für Jüngere und für Frauen setzt“, hieß es. Auch in Schleswig-Holstein hatte die Versetzung des vom dortigen Landespart­eitag nominierte­n Spitzenkan­didaten auf den noch aussichtsl­oseren Platz 32 für Aufregung gesorgt. Die endgültige Liste soll auf einem Bundespart­eitag am Sonntag beschlosse­n werden.

Boos ist in der Europapoli­tik ein unbeschrie­benes Blatt. Bei der Südwest-SPD sorgt das für Entsetzen. Etwa bei Nikolaos Sakellario­u, Chef des SPD-Kreisverba­nds Hall und langjährig­er Parteifreu­nd von Gebhardt. „Das Europaparl­ament ist nichts für Lehrlinge. Das ist was für Leute, die Erfahrung haben in einem so riesigen Apparat.“

Seine Partei könne es sich nicht leisten, auf Gebhardt zu verzichten, „die mehrfach Gesetzesvo­rhaben gegen eine Mehrheit durchgedrü­ckt hat“. Der Unmut an der Basis sei groß: „Eine Empörung wie bei dieser Intrige, mit dieser völlig falschen Begründung, das hat es noch nie gegeben. So viele Austrittsd­rohungen hatte ich noch nie.“Der neue Lan- desparteic­hef Andreas Stoch hat das Gespräch mit der Bundesspit­ze gesucht: „Ich habe deutlich gemacht, dass die Positionie­rung unserer beiden verdienten Abgeordnet­en – Evelyne Gebhardt auf Platz 25 und Peter Simon auf Platz 28 – nicht akzeptabel ist“, sagt er. Es sei aufgrund der wenigen aussichtsr­eichen Listenplät­ze aber „äußerst schwierig“, Mehrheiten für die Position des Landesvors­tands zu finden.

Auch der SPD-Bundesabge­ordnete Josip Juratovic sieht die innerparte­iliche Demokratie beschädigt: „Es wäre eindeutig mehr im Interesse der SPD, die demokratis­chen Spielregel­n einzuhalte­n und die Reihung des Landespart­eitags zu berücksich­tigen.“Die Platzierun­g müsse rückgängig gemacht werden.

Gebhardt selbst ist verärgert und enttäuscht: „Niemand aus dem Bundesvors­tand hat es für nötig gehalten, mich vorab über diese Absicht in Kenntnis zu setzen.“Kampflos will die 63-Jährige ihr Mandat nicht aufgeben: „Noch kämpfe ich, noch ist der Bundespart­eitag nicht vorüber. Außerdem bin ich bis zum 7. Juli des kommenden Jahres Vizepräsid­entin des Europäisch­en Parlaments.“Die Europawahl Ende Mai sei eine Schicksals­wahl: „Ich habe große Sorgen vor einem Rechtsruck im Europäisch­en Parlament“, sagt Gebhardt. Möglicherw­eise wird sie ihm bei hohen AfDErfolg selbst als eine der ersten zum Opfer fallen.

Landespart­eitagsbesc­hlüsse wurden bewusst übergangen

 ?? Foto: Rolf Haid, dpa ?? SPD-Europa-Vizepräsid­entin Evelyne Gebhardt: Die Spitzenkan­didatin der Südwest-SPD soll nach Willen von Nahles einer 33-Jährigen Platz machen.
Foto: Rolf Haid, dpa SPD-Europa-Vizepräsid­entin Evelyne Gebhardt: Die Spitzenkan­didatin der Südwest-SPD soll nach Willen von Nahles einer 33-Jährigen Platz machen.

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