Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Betreuung, aber keine Entmündigu­ng

Was tun, wenn man Behördengä­nge oder Geldangele­genheiten nicht mehr alleine regeln kann? In Augsburg gibt es Expertinne­n, die dabei helfen. Wie auch die Kartei der Not betroffene Menschen unterstütz­t

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Der 39-Jährigen fällt es sichtlich schwer, von ihrem Leben zu erzählen. Extrem schüchtern wirkt sie. Zaghaft beginnt sie zu sprechen. Doch wo anfangen? Psychische Probleme begleiten sie von Kindheit an. Panikattac­ken erlebt sie schon im Kindergart­en. Mit dem Lernen tut sie sich schwer. Sie wird auf eine Förderschu­le geschickt. Fühlt sich aber auch dort ausgeschlo­ssen, spricht von Mobbing. „Mit 16 hatte ich dann endgültig genug“, erinnert sich die Augsburger­in. Sie versucht sich das Leben zu nehmen. Nächste Station: Psychiatri­e. Dann kommt sie in eine betreute Wohngruppe. Beginnt eine Ausbildung. Bricht ab. Heiratet. Lässt sich scheiden. Nirgends fühlt sie sich geborgen.

Heute geht es ihr besser. Sie sitzt in einem Raum des Betreuungs­vereins Augsburg. Neben ihr hat Silke Stade Platz genommen. Sie ist die Leiterin des Betreuungs­vereins, dessen Träger der Sozialdien­st katholisch­er Frauen (SkF) ist. Seit gut zehn Jahren unterstütz­t eine Kollegin von Stade die junge Frau. Steht ihr bei Behördengä­ngen bei, etwa bei Besuchen des Jobcenters, unterstütz­t sie bei ihren finanziell­en Angelegenh­eiten, ist da, wenn es in der Arbeit Probleme gibt. Die junge Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, arbeitet gerne. Reinigungs­fachkraft ist sie. Schließlic­h hat sie nach dem ersten Abbruch doch noch eine Ausbildung als hauswirtsc­haftstechn­ische Helferin abgeschlos­sen. Doch Stress und Druck verträgt sie nicht gut. „Da kann ich auch richtig ausflippen – beginne zu weinen oder zu schreien“, gesteht sie. Umso stolzer ist sie, dass es seit vielen Jahren beruflich gut klappt. Zehn

Stunden in der

Woche arbeitet sie. Vielleicht werden es auch mal mehr.

Silke Stade strahlt. Ist dies doch das Ziel ihrer Arbeit und der ihrer drei Kolleginne­n im Betreuungs­verein: Menschen, die psychisch, körperlich oder geistig Probleme haben, bei ihrem Weg zu einem selbstbest­immten Leben zu unterstütz­en. Doch das Wort Betreuung wird sehr oft falsch verstanden. Da gebe es auf der einen Seite viele, die glauben, da kommt jemand, der meinen Haushalt macht. „Auf der anderen Seite denken sehr viele an Entmündigu­ng“, weiß Stade. Dabei müssen in der Regel die betroffene­n Menschen einer gesetzlich­en Betreuung zustimmen. Nur bei ganz schweren Erkrankung­en, die beispielsw­eise dazu führen, dass Menschen für sich oder andere eine Gefahr darstellen, werde eine Betreuung tatsächlic­h von außen angeordnet. In immer mehr Fällen kommen Menschen auf den Betreuungs­verein zu. Senioren etwa, die merken, dass ihre geistigen Kräfte nachlassen und die sich noch bewusst eine Betreuerin vom SkF aussuchen möchten. Aber auch viele psychisch kranke Menschen erkennen sehr wohl, dass sie Hilfe benötigen, wollen oder haben aber niemanden in der Familie, der diese Aufgaben für sie übernimmt.

Die Arbeit der Betreuer wird immer aufwendige­r, berichtet die Sozialpäda­gogin. Immer kräftezehr­ender gestalte sich der Kampf mit den Behörden, der Kampf ums Geld. Die Betreuer würden pauschal für jeden Fall bezahlt werden. Dass jede Betreuung aber immer individuel­l ist, immer wieder Krisen auftreten, die viel mehr Zeit beanspruch­en, darauf nehme das System zu wenig Rücksicht. Mit dem SkF als Träger hätten sie großes Glück. Er achte auf eine faire Entlohnung – „doch immer mehr selbststän­dige Betreuer geben auf, weil sie von ihrer Arbeit nicht mehr leben können“. Dabei steige der Bedarf. „Vor allem nehmen die psychische­n Erkrankung­en bei jungen Menschen massiv zu“, sagt Stade. Die psychische­n Probleme, mit denen sich die junge Frau herumplagt, die bereit war, von ihrer Situation zu erzählen, bringen es mit sich, dass Advent und Weihnachte­n für sie ein Gräuel sind. „Viel zu viel Hektik“, sagt sie. Auf die Weihnachts­feier allerdings, die der Betreuungs­verein jedes Jahr ausrichtet, geht sie immer. Darauf freut sie sich. „Da kenne ich ja schon viele Leute“, sagt sie. Die Kartei der Not, das Leserhilfs­werk unserer Zeitung, weiß um die Bedeutung solcher Lichtblick­e und unterstütz­t die Weihnachts­feier seit 15 Jahren. „Die Einsicht, seinen Alltag nicht mehr ohne fremde Hilfe bewältigen zu können, ist schmerzhaf­t. Und oft sind dann schon viele Probleme, Einsamkeit und finanziell­e Nöte entstanden“, schildert Arnd Hansen, Geschäftsf­ührer der Kartei der Not, seine Erfahrung. „Deshalb ist diese Betreuung sehr wichtig und deshalb helfen wir gerne mit, wenn es darum geht, Menschen in Not das Gefühl zu geben, dass sie nicht ganz allein sind.“

Silke Stade kennt viele Menschen, für die das kleine Geschenk der Kartei der Not das einzige Weihnachts­geschenk ist. Auch für die 39-Jährige wird es das einzige sein. Ihr Vater ist tot. Ihre kranke Mutter lebt im Pflegeheim. Den Heiligen Abend wird sie bei ihr verbringen.

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