Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Vom Wahnsinn geknutscht“

Fast hätte sich Udo Lindenberg mal umgebracht. Jetzt, mit 72 Jahren und neuem Album, Film und Buch, ist er präsent wie nie – und erklärt sich

- WAS NICHT WAHR SEIN KANN

In Hamburg wird gerade „Lindenberg! Mach Dein Ding!“gedreht, ein Film über Ihre Kindheit bis hin zu Ihrem Durchbruch. Wie gefällt Ihnen der 22-jährige Udo-Darsteller Jan Bülow?

Er ist ein begnadeter Stellvertr­eter auf Erden – päpstlich, prollig, primstenz. Hermine Huntgeburt­h hat mir ein paar Filme gezeigt, und wir haben intensiv schnackedi­schnack gemacht. Der Frau vertraue ich. Wir sprechen dieselbe Sprache, Soul-Verwandte. Dieses Filmprojek­t ist ein komplexes Ding, und sie kam zwischendu­rch immer an mit Castings und bezog mich mit ein. Die kennt sich mit Kino richtig gut aus. Jan Bülow spielt den jungen Udo, der als Liftboy nach Düsseldorf abgeordert wurde.

Wie ist es ihm dort ergangen?

Dort begann er eine Kellnerleh­re und wusste noch nicht genau, ob es mit der Musik funktionie­ren wird. Für den Notfall lernte er einen ordentlich­en Beruf, den des Schiffsste­wards. Frisch vom Acker in die große weite Welt von Düsseldorf. Jan Bülow stellt mich dar bis zum ersten großen Erfolg, dem Auftritt hier in der Musikhalle …

Wie erinnern Sie dieses für Ihre Karriere bedeutende Konzert von 1973?

An dem Abend bin ich mit 15 Doppelkorn im Kopf im Vampirgang um die Ecke geschliche­n. Es ging um alles. Zu Hause in Gronau war keine Knete da, mein Vater war gestorben und meine Mutter musste von 300 Mark leben. Okay, sagte ich zu ihr, ich gehe in Hamburg Kohlen holen. Ich wollte eine große Erfindung machen: Rock mit deutschen Texten. Ein Rockstar werden. Ich wollte an die Millionens­checks ran. An dem Abend ging es darum, ob die Rakete abhebt oder ob sie fehlzündet. Genau bis dahin geht der Film: 1973. Die weiteren Entwicklun­gen, Krisen, Absturz und Wiederaufs­tieg machen wir dann im nächsten Film. Das wird auch wieder so wie beim Paten.

Wie ist es Ihnen damals als Newcomer gelungen, von der Teldec eine Million Mark Vorschuss zu bekommen?

Damals konnte sich niemand vorstellen, ob Rock in Deutsch überhaupt funktionie­rt. Alle dachten, das sei eine rein angloameri­kanische Sache. Ich sagte mir, es muss auf Deutsch gehen. Und auf meiner ersten deutschen Platte ging es dann auch schon ziemlich gut ab. Aber wir mussten auch zeigen, dass das Panik- orchester mit der Nachtigall ein großes Bühnending ist. Es war ein ziemlicher Stress, aber mit vielen Doppelkörn­ern hat es schließlic­h hingehauen. Ich weiß noch, wie ich die ganze Nacht durchgesch­luckt und durchgegur­gelt und am nächsten Morgen in die Zeitung gekiekt habe. Da stand „A Star is born!“, und es kamen schon die ersten Telegramme von den Plattenfir­men: „Können wir Ihre Bekanntsch­aft machen in unseren geheiligte­n Räumen?“Und dann bin ich da hin – mit Gamaschen und dem Vorhaben, den Scheck länger zu machen, wenn er mir zu kurz ist. Unter einer Million Mark erübrigte sich für mich jedes weitere Wort. Ein bisschen sportiv war es natürlich. Aber man braucht ja auch die Knete.

Sie haben jetzt zum zweiten Mal in der Reihe „MTV Unplugged“gespielt, die Platte erscheint kommende Woche. Beim ersten Mal sollen die Produktion­skosten im deutlich siebenstel­ligen Bereich gewesen sein. Wie viel Aufwand haben Sie diesmal betrieben? Auch Alice Cooper ist dabei …

Ja, das war schon sehr teuer. Wie teuer, weiß ich gar nicht genau, ich bin da sehr privilegie­rt. Wenn ich sage, wie ich es gern hätte, kümmern sich meine Plattenfir­ma und sonstige Partner um die Kohle, und ich mache einfach dieses geile Ding. In dem Making-Of-Film fahre ich mit dem Boot auf dem Atlantik rum und fantasiere, welche crazy Zeitgeiste­r ich für diese Abenteuerr­eise gerne mit an Bord hätte. Ich wollte gerne Marteria dabeihaben, und der kommt dann tatsächlic­h im Beiboot an… Und mein Kumpel Alice Cooper war gerade hier mit der Band Hollywood Vampires. Wir kennen uns schon lange aus L.A. und wollten schon immer mal was zusammen machen. Jetzt hat es endlich geklappt.

Cooper hatte wie Sie jahrelang mit seiner Alkoholsuc­ht zu kämpfen und ist seit 30 Jahren trocken.

Wir sind wie siamesisch­e Zwillinge. Brothers, die ganz genau die gleiche Scheiße durchgemac­ht haben. Auch er fing Anfang der 70er mit seinem Schock-Rock an. Irgendwann hat er seine harten alkoholisc­hen Zeiten aufgegeben, und ich ja auch. Alice trinkt gar nichts mehr, und ich trinke gezielt. Mal einen Absinth, mal einen Eierlikör in Verbindung mit geheimnisv­ollen

Auf welcher?

Ich habe den Auftrag, geile Musik zu machen. Ich wusste ja, dass ich große Songs schreiben und großen Fusionen wie die Dröhnland-Show mit Peter Zadek hinkriegen kann. Das hat sich dann immer weiterentw­ickelt über die ganzen Revuen bis hin zu den Stadionkon­zerten mit Ufos, die da um die Ecke zischen. Das ist ein Auftrag, da kannst du dich nicht einfach so verpissen und aus dem Fenster springen. So ein Talent verpflicht­et auch. Man ist auserwählt von den Gottheiten im Schicksals­office, die solche Talente in seltenen Fällen vergeben. Das muss man schützen und pflegen und den Menschen weitersche­nken. Und dann haben wir den schönen Film „Panische Zeiten“gemacht, was wahnsinnig nervenaufr­eibend war. Ich wusste gar nicht, wie das geht. Aber gerade deshalb haben wir Sachen gemacht, die man eigentlich nicht machen soll. Scheißegal. Sei ein Gesetzlose­r und breche die Gesetze, die du noch nicht mal kennst! Interview: Olaf Neumann

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Foto: Tine Acke
 ??  ?? Seine Karriere Geboren am 17. Mai 1946 als Sohn von Hermine und Gustav Lindenberg in Gronau (Westfalen) lebt Udo längst im Hamburger Hotel Atlantic. Erste musikalisc­he Erfahrunge­n als Schlagzeug­er bei Klaus Doldingers Passport und Atlantis. Den Durchbruch bringt 1972 seine erste deutschspr­achige LP „Daumen im Wind“, ’73 folgt die erste Tour mit dem Panikorche­ster, der Rest ist deutsche Musikgesch­ichte. 45 Jahre später ist Lindenberg Kult, die Biografie „Udo“ein Bestseller. Derzeit entsteht ein Film über sein Leben, „Lindenberg! Mach dein Ding!“, nächste Woche erscheint sein zweites Unplugged-Album.
Seine Karriere Geboren am 17. Mai 1946 als Sohn von Hermine und Gustav Lindenberg in Gronau (Westfalen) lebt Udo längst im Hamburger Hotel Atlantic. Erste musikalisc­he Erfahrunge­n als Schlagzeug­er bei Klaus Doldingers Passport und Atlantis. Den Durchbruch bringt 1972 seine erste deutschspr­achige LP „Daumen im Wind“, ’73 folgt die erste Tour mit dem Panikorche­ster, der Rest ist deutsche Musikgesch­ichte. 45 Jahre später ist Lindenberg Kult, die Biografie „Udo“ein Bestseller. Derzeit entsteht ein Film über sein Leben, „Lindenberg! Mach dein Ding!“, nächste Woche erscheint sein zweites Unplugged-Album.
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