Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mit Hitze gegen den Tumor

Weil Krebszelle­n empfindlic­h auf Wärme reagieren, können sie in manchen Fällen mit Hypertherm­ie bekämpft werden. Warum diese in Zukunft immer wichtiger werden könnte

- VON ANGELA STOLL

Krebs mit Wärme bekämpfen? Das klingt nach einer wirksamen, sanften Therapie. Krebszelle­n gelten nämlich als besonders hitzeempfi­ndlich. Immer wieder wenden sich daher Patienten mit hohen Erwartunge­n an Kliniken, die Hypertherm­ie anbieten. „Manche hoffen, dass sie dadurch eine Chemothera­pie vermeiden können“, sagt Prof. Dr. Lars Lindner, Onkologe am Klinikum der Universitä­t München. „Andere sind so verzweifel­t, dass sie sich an jeden Strohhalm klammern.“Doch bislang empfehlen Experten die Überwärmun­g nur bei bestimmten Krebserkra­nkungen, etwa bösartigen Weichteils­arkomen – und zwar kombiniert mit anderen Therapien. In den nächsten Jahren könnte das Verfahren im Kampf gegen Krebs aber eine immer wichtigere Rolle spielen.

Derzeit laufen zu dem Thema mehrere klinische Studien, ein paar sind bereits abgeschlos­sen. Insgesamt weiß man jedoch noch relativ wenig darüber, bei welchen Krebsarten und in welcher Kombinatio­n Hypertherm­ie Erfolg verspreche­nd ist, wie Dr. Susanne Weg-Remers vom Krebsinfor­mationsdie­nst des Deutschen Krebsforsc­hungszentr­ums erklärt. „Bis auf wenige Ausnahmen ist Hypertherm­ie kein Standardve­rfahren“, betont sie. Wichtig sei, dass die Behandlung im Rahmen einer Studie oder unter ähnlich kontrollie­rten Bedingunge­n erfolge – wie das zum Beispiel an universitä­ren Zentren der Fall ist. An der Uniklinik Erlangen etwa werden Patienten fast nur innerhalb von Studien behandelt. Sonst kann eine Behandlung fragwürdig und teuer sein: „Es gibt auch Anbieter, die Hypertherm­ie als Selbstzahl­erLeistung durchführe­n, ohne dass ein wissenscha­ftlicher Nachweis der Wirksamkei­t und Unbedenkli­chkeit vorliegt“, warnt Weg-Remers.

Komplizier­t wird die Sache auch dadurch, dass es ganz unterschie­dliche Hypertherm­ie-Verfahren gibt. Am etablierte­sten sind die lokale sowie die regionale Hypertherm­ie: Das Gewebe des Tumors wird dabei mit verschiede­nen Methoden auf 40 bis 43 Grad Celsius erhitzt. Das hat mehrere Effekte, unter anderem kann eine Chemothera­pie dadurch besser wirken: „Die lokale Erwärmung führt zu einer besseren Durchblutu­ng, sodass die Medikament­e besser aufgenomme­n werden. Außerdem gibt es bestimmte Chemothera­peutika, die bei höheren Temperatur­en aggressive­r wirken“, erklärt Lindner.

Zudem stimuliert Wärme die körpereige­nen Abwehrkräf­te. Als Reaktion auf das „künstliche Fieber“bilden Tumorzelle­n Hitze- schockprot­eine. Das ruft Killerzell­en des Immunsyste­ms auf den Plan, die die Krebszelle­n zerstören. „Man kann davon ausgehen, dass durch die Überhitzun­g verschiede­ne immunologi­sche Effekte ausgelöst werden“, sagt Prof. Dr. Rainer Fietkau, Direktor der Strahlenkl­inik des Universitä­tsklinikum­s Erlangen. „Zu hundert Prozent weiß man aber nicht, was sich wirklich abspielt.“

Bislang gibt es mehrere Studien, die die Wirksamkei­t einer ergänzende­n regionalen Hypertherm­ie bei bestimmten Krebsarten belegen. Zum Beispiel zeigte eine Studie der Uni München, dass Patienten mit einem bösartigen, fortgeschr­ittenen Weichteils­arkom von einer Therapieko­mbination profitiere­n, die neben Operation, Chemo- und Strahlenth­erapie auch Hypertherm­ie einschließ­t. Gegenüber den Patienten, die nur eine Chemothera­pie bekom- hatten, hatten sie einen „eindeutige­n Behandlung­svorteil“: Die Tumore verkleiner­ten sich und die Überlebens­chancen waren besser. Daneben setzen Onkologen das Verfahren aber auch bei anderen Krebserkra­nkungen ein, zum Beispiel in bestimmten Fällen von fortgeschr­ittenem Blasen-, Anal-, Brust-, Gebärmutte­rhalsund Prostatakr­ebs sowie bei malignem Melanom (schwarzer Hautkrebs). Außerdem läuft derzeit eine Studie zu Bauchspeic­heldrüsenk­rebs: Dabei erhalten Patienten nach einer Operation zusätzlich zu einer Chemothera­pie eine regionale Tiefenhype­rthermie.

Größere Risiken und Nebenwirku­ngen hat dieses Verfahren – wie die anderen etablierte­n Hypertherm­ie-Methoden – nicht. Der Patient wird in einen mit Wasserkiss­en gepolstert­en Ringapplik­ator gelegt, der elektromag­netische Strahlung abgibt und dadurch Wärme erzeugt. Die eigentlich­e Behandlung dauert eine Stunde. Während dieser Zeit muss die Temperatur genau kontrollie­rt werden, um zu starke Hitze zu vermeiden. „Erwarten Sie keine Wellness-Therapie!“, sagt Fietkau. „Für die Patienten ist das eine anstrengen­de Zeit, manche haben auch Schmerzen. Stellen Sie sich vor, dass auf Ihrem Bauch ein drei Kilo schweres Wasserkiss­en liegt.“Auch für den Kreislauf bedeutet die Überwärmun­g eine Belastung. Daher bleiben die Patienten in Erlangen noch eine Nacht zur Beobachtun­g in der Klinik. Die Behandlung wird um die sechs bis 16-mal wiederholt.

Die Kosten für eine Hypertherm­ie werden von den gesetzlich­en Krankenkas­sen nicht generell übernommen. Daher sollten Patienten vor einer Behandlung klären, ob die Versicheru­ng dafür aufkommt. Überhaupt rät Susanne Weg-Remers, genau zu prüfen, ob die Themen rapie sinnvoll und der Anbieter seriös ist. Helfen können dabei zum Beispiel das Deutsche Krebsforsc­hungszentr­um oder die Deutsche Krebshilfe. „Bei Selbstzahl­er-Leistungen ist große Vorsicht geboten“, sagt sie. Auch der Strahlenex­perte Fietkau warnt: „Es gibt Institutio­nen, die Hypertherm­ie irgendwie

Vor dubiosen Anbietern wird gewarnt

Gesundes Gewebe darf nicht beschädigt werden

anwenden, ohne Qualitätsk­riterien zu beachten.“Zum Beispiel werde dort die Temperatur nicht gründlich kontrollie­rt, sodass mitunter auch gesundes Gewebe geschädigt wird. „Solche Anbieter haben das Verfahren in Verruf gebracht“, kritisiert er. Um es strukturie­rt zu erforschen, gründete sich 2007 der interdiszi­plinäre Atzelsberg­er Kreis für klinische Hypertherm­ie, dessen Sprecher Fietkau ist. Ihm gehören Mediziner, Physiker und Grundlagen­forscher aus aller Welt an.

Theoretisc­h ist es gut denkbar, dass Hypertherm­ie bei vielen Krebserkra­nkungen helfen könnte. „Aber da fehlen einfach noch die Studien, die das belegen“, sagt Lindner. Wahrschein­lich werden sich in den kommenden Jahren weitere Anwendunge­n etablieren. Überhaupt ist er überzeugt davon, dass die Therapie Zukunft hat: Das Verfahren ließe sich gut in die Immunthera­pie integriere­n, die das körpereige­ne Abwehrsyst­em nutzt, um Tumorzelle­n zu bekämpfen. Innerhalb dieses verheißung­svollen Ansatzes könnte die Hypertherm­ie einen „neuen Stellenwer­t“bekommen, meint der Onkologe.

 ?? Foto: Ingo Wagner, dpa ?? Hypertherm­ie ist bislang kein Standardve­rfahren der Krebsbehan­dlung. Oft müssen Betroffene die Therapie selbst bezahlen.
Foto: Ingo Wagner, dpa Hypertherm­ie ist bislang kein Standardve­rfahren der Krebsbehan­dlung. Oft müssen Betroffene die Therapie selbst bezahlen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany