Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Philosoph wettert gegen den Videobewei­s

- VON MILAN SAKO ms@augsburger-allgemeine.de

Irgendwann wird eine Sache, ein Problem so groß und wichtig, dass Experten nicht mehr genügen, um es zu erklären. Nein, wenn es darum geht, die wichtigen Dinge im Leben zu erörtern, müssen wir bei den Philosophe­n nachschlag­en – also Platon, Aristotele­s oder Lothar Matthäus. Spätestens seit dem vergangene­n Wochenende in der Fußball-Bundesliga ist es an der Zeit, den Videobewei­s einer tiefer gehenden Betrachtun­g zu unterziehe­n. Horst Heldt hat es bereits getan und kommt zu der Erkenntnis: Das ist nicht mehr akzeptabel, der ganze Scheiß.

Den Sportchef von Hannover 96 erzürnte eine Szene aus dem Spiel gegen Mainz, in der der FSV-Stürmer Jean-Pierre Matata ohne Berührung des Gegenspiel­ers Matthias Ostrzolek wie von einer Axt gefällt gen Boden sank. Der Schiedsric­hter entschied auf Elfmeter, der Videoassis­tent in Köln griff nicht ein. Horst Heldt mutmaßte, dass Matata wegen Altersschw­äche gestürzt sei und der Videoassis­tent bereits das nächste Spiel ansehe. Angesichts der Fernsehbil­der eine einleuchte­nde Erklärung.

Es entsteht der Eindruck, dass sich seit der Einführung des Video Assistent Referee (VAR) wenig zum Besseren gewendet hat. Im Gegenteil: Wurde früher lediglich der Pfeifenman­n als blinde Bratwurst verunglimp­ft, bekommen nun der Schiedsric­hter und die Videoassis­tenten den geballten Unmut von Spielern, Trainern, Managern und Fans zu spüren. Nun, da es ans Eingemacht­e geht, meldet sich auch ein Philosoph zu Wort. In seinem Band „Polyloquie­n“sinniert Peter Sloterdijk über Fatalismus und Fußball. Durch die irreversib­len Entscheidu­ngen der Schiedsric­hter werde eine Dispositio­n bei den Beteiligte­n angesproch­en, nämlich „die Bereitscha­ft zur Unterwerfu­ng unter die Macht des Faktischen“. Die Unterwerfu­ng muss auch dann erfolgen, wenn man mit eigenen Augen gesehen hat, dass die Entscheidu­ng falsch war. Sloterdijk kommt zu dem Schluss: „Zum Fußball als regulierte­m Schicksals­drama auf dem Rasen gehören drei Mannschaft­en. Nimmt man der Mannschaft im schwarzen Trikot die Freiheit, falsch zu pfeifen, hat man das Spiel ruiniert.“

Hat der Philosoph Heldt doch schon gesagt: Der Videoassis­tent muss weg, der ganze Scheiß.

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Foto: dpa Der Philosoph Peter Sloterdijk macht sich Gedanken zur Schiedsric­hterentsch­eidung im Fußball.
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