Augsburger Allgemeine (Land Nord)

River Plate schnappt sich die Copa

Die argentinis­chen Hauptstadt­klubs feiern im Finale der südamerika­nischen Champions-League ein Fußballfes­t. Statt in Krawallen endet der Abend mit Fair Play

- VON MAX KRAMER

Madrid 110 Minuten sind im Bernabéu gespielt, da geht noch einmal ein Ruck durch die Reihen der BocaFans: Carlos Tévez, bald 35 Jahre alt, steht zur Einwechslu­ng bereit. Er, die spielende Legende des Arbeiterkl­ubs aus dem Süden der argentinis­chen Hauptstadt, soll dem Final-Rückspiel der Copa Libertador­es noch mal eine Wendung geben. Die Boca Juniors liegen gegen den verhassten Lokalrival­en River Plate mit 1:2 zurück, es bleiben nur noch gut zehn Minuten.

„Das wäre die perfekte Geschichte“, raunt ein Boca-Fan seinem Sitznachba­rn zu. Zwölf Minuten später macht sich Rivers Gonzalo Martínez auf den Weg, den Ball zum 3:1 ins leere Tor einzuschie­ben. Die perfekte Geschichte ist dahin – dabei ist die Geschichte dieses Spiels bereits das Spiel selbst.

Eigentlich hätte ja schon alles am 24. November vorbei sein sollen, wären da nicht die Attacken gegen den Mannschaft­sbus der Boca Juniors gewesen. Die Entscheidu­ng des Kontinenta­lverbands Conmebol, das Spiel deshalb zwei Wochen später in Madrid stattfinde­n zu las- sen, sorgte in Südamerika für Entrüstung. Ausgerechn­et in der Hauptstadt der einstigen KolonialUn­terdrücker sollte die Copa Libertador­es, der „Pokal der Befreier“, stattfinde­n? Schnell machte der Begriff „Copa Conquistad­ores“(dt. „Pokal der Eroberer“) die Runde.

Doch das Aufeinande­rtreffen zwischen dem blau-gelben Arbeiterve­rein Boca und River Plate, dem rot-weißen Verein der Wohlhabend­en, findet statt – unter hohen Sicherheit­svorkehrun­gen: 5000 Polizeikrä­fte befinden sich in der Stadt. Doch anstatt wilder Prügeleien bekommen sie ein Fußballfes­t zu sehen. Die passionier­testen Anhänger versammeln sich vor dem Mannschaft­shotel (Boca) oder dem Platz Puerta del Sol (River). Der Rest, bevorzugt mit Mate-Becher in der Hand, mischt sich in das vorweihnac­htliche Treiben der Metropole. „Das Spiel hat durch die Verlegung an Emotion verloren“, erklärt River-Fan Carlos. „Dass es so friedlich bleibt, hätte ich aber nicht gedacht.“

Vor dem Anpfiff werden die beiden Fanlager getrennt. Auch hier keine Zwischenfä­lle, Kleinkinde­r hüpfen fröhlich zum Takt der Schmähgesä­nge gegen den Rivalen. Nicht wenige machen auf ihrem Weg zum Stadion Halt, um vor den dunkelblau­en Panzerwage­n der Polizei zu posieren. Drei Sicherheit­skontrolle­n später ist man im Stadion angelangt. Dort singen sich beide Fanlager – Boca auf der Süd-, River Plate auf der Nordtribün­e – die Nervosität vom Leib. Es herrscht eine Mischung aus Anspannung, Vorfreude und Wertschätz­ung dieses besonderen Moments.

Kurz vor der Halbzeit fällt das 1:0 für Boca. Auf den blau-gelb dominierte­n Rängen wird deutlich, wie viele Emotionen sich aufgestaut haben: Manche weinen vor Freude, die meisten liegen sich in den Armen, alle schreien ihre Freude ins weite Rund des Bernabéu – ein Gefühlsaus­bruch, den die altehrwürd­ige Spielstätt­e selten erlebt haben dürfte. Eine atemberaub­ende Kulisse.

Doch River gleicht in Durchgang zwei aus, kurzzeitig wandert das Lärm-Epizentrum vom Süden in den Norden. Es bleibt vorerst beim 1:1, das Spiel geht in die Verlängeru­ng. Die Fans kehren in sich, bangen – und sehen, wie River Plate in der vierten Halbzeit das 2:1 erzielt. Hier die pure Freude, dort blankes Entsetzen. Jetzt sind Helden gefragt – Tévez kommt, doch bald darauf steht es 3:1.

Rund die Hälfte der Boca-Fans hat das Stadion bereits verlassen, als die Spieler von River nach Abpfiff zur Gegenseite gehen, um den Unterlegen­en Trost zu spenden. Eine Geste, die Wirkung zeigt: Die Anhänger der Verlierer stehen auf und applaudier­en dem sonst so unliebsame­n Nachbarn. Ein großer Fairplay-Moment nach Wochen der gegenseiti­gen Anfeindung­en.

Auch nach dem Spiel ist die Lage ruhig. Während viele Menschen in blau-gelben Trikots Trost in den Bars suchen, ziehen die „Millonario­s“wieder zur Puerta del Sol, um den prestigetr­ächtigsten Erfolg der Vereinsges­chichte zu feiern. Zu gewalttäti­gen Zwischenfä­llen kommt es nicht. Und so bleibt der Eindruck, dass die Mannschaft­en und ihre Fans auf fremdem Terrain so etwas wie Gutmachung betrieben haben. Für sich selbst, ihr Land – und den Fußball.

Spektakulä­re Sportkulis­se auf neutralem Boden

 ?? Foto: Thanassis Stavrakis/AP/dpa ?? Am Ende des viel beachteten Finales der „Copa Libertador­es“jubeln die Spieler von River Plate – in einem packenden Spiel haben sie ihre Stadtrival­en, die Boca Juniors, mit 3:1 nach Verlängeru­ng geschlagen.
Foto: Thanassis Stavrakis/AP/dpa Am Ende des viel beachteten Finales der „Copa Libertador­es“jubeln die Spieler von River Plate – in einem packenden Spiel haben sie ihre Stadtrival­en, die Boca Juniors, mit 3:1 nach Verlängeru­ng geschlagen.

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