Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Am Tiefpunkt – und wieder zurück

Das Jahr begann für Star-Pianistin Janina Fialkowska mit einer schockiere­nden Diagnose. Es war schon das zweite Mal, dass der Krebs sie heimsuchte. Seit einigen Wochen gibt sie wieder Konzerte, demnächst in Augsburg

- VON STEFAN DOSCH

Es war kurz vor Weihnachte­n, in diesen Tagen vor einem Jahr. So, wie es sich beim Tasten anfühlte, war zunächst eine Zyste vermutet worden. Dann aber erreichte Janina Fialkowska der Befund der Biopsie: Brustkrebs. Dass zur selben Zeit ihre jüngste Chopin-CD von Spiegel Online zu einer von drei „Platten des Jahres“gekürt worden war, darüber konnte die Konzertpia­nistin sich kaum mehr freuen.

Jetzt, zwölf Monate später, sitzt Janina Fialkowska auf dem Sofa in ihrem Zuhause bei Neusäß, wohin sie vor ein paar Jahren gezogen ist, und denkt noch einmal an den Anfang jenes Jahreslauf­s zurück, der für sie viele dunkle Momente mit sich brachte. Im Januar, erzählt sie, gab sie noch einmal einen Klavierabe­nd in Zorneding hinter München, der Bayerische Rundfunk schnitt mit. Wenige Tage später dann fuhr sie mit ihrem Mann Harry Oesterle nach Ulm in die dortige Frauenklin­ik zur ersten Chemo, Auftakt einer sechsmonat­igen Therapie. Inzwischen sind die Haare wieder nachgewach­sen, die Augen leuchten, die Stimme ist fest, die 67 Jahre sieht man ihr nicht an.

Drei Monate lang konnte die aus Kanada stammende Virtuosin, die weltweit in den großen Musikzentr­en ebenso wie auf kleinen ausgesucht­en Podien konzertier­t, keine einzige Note spielen. „Mir war dauernd schwindlig“, berichtet sie in ausgezeich­netem Deutsch, „ich hatte überhaupt keine Koordinati­on mehr zwischen dem Kopf und den Händen“. Einmal war die Wirkung der Medikament­e so stark, dass sie in der Küche umfiel, mit dem kahlen Kopf auf den Steinboden schlug und der herbeigeei­lte Ehemann eine Bewusstlos­e vorfand. „Das“, sagt Fialkowska, „war der Tiefpunkt.“

Und doch wollte die Musikerin sich nicht so einfach unterkrieg­en lassen vom Außer-Kraft-gesetztSei­n. „Ich habe im Kopf gearbeitet, monatelang.“Ein Akt des Willens. Hilfe dabei bot ein Ziel, das ihr in der Ferne vor Augen stand: Ein Konzert in Würzburg Mitte Oktober, nachdem sie für die Zeit bis dahin alle anderen Auftritte abgesagt hatte. In Ulm fragte sie ihre Ärzte: Denken Sie, dass ich bis zu diesem 20. Oktober wieder spielen kann? „Sportlich …“, habe die ausweichen­de Antwort gelautet.

Der Krebs, er ist schon einmal da gewesen in ihrem Leben. „Oh nein, nicht wieder!“, war denn auch ihre Reaktion auf die Brustkrebs-Diagnose. 16 Jahre zuvor hatte sich ein Tumor in der linken Schulter festgesetz­t, an einer für sie heiklen Stelle, ein jähes Ende ihrer Pianistinn­en-Karriere schien nicht ausgeschlo­ssen. Denn die Geschwulst musste nicht nur aus einem Muskel herausgesc­hnitten werden; damit der linke Arm beweglich blieb, war die Transplant­ation eines anderen Muskels aus dem Rücken erforderli­ch. Eine Operation, die bis dahin nur einmal ausprobier­t worden war. Das Wagnis gelang, doch musste sich die Pianistin unter großen Mühen und in kleinsten Schritten die frühere Beweglichk­eit neu erkämpfen. Nach zwei Jahren Auszeit stand sie erstmals wieder auf einer Konzertbüh­ne, im intimen Rahmen des Klosters Irsee. Das Comeback gelang, bald gab sie wieder Klavierabe­nde in England, Spanien, Kanada und anderswo. Der Krebs schien der Vergangenh­eit anzugehöre­n.

„Damals, mit dem Tumor in der Schulter, habe ich nie daran gedacht, dass ich sterben könnte.“So war es diesmal nicht: „Brustkrebs ist eine andere Geschichte.“Es half gegen die Panik, dass sie sich nach der ersten Hälfte der Chemothera­pie wieder an den Flügel setzen konnte. Sicher, die ersten Tage, als sie die Finger über den Tasten bewegte, hatte sie nicht wenig Angst, dass ihr die Fähigkeit zum virtuosen Spiel abhandenge­kommen sein könnte. „Nach ein paar Tagen habe ich aber gemerkt: Es kommt wieder.“

wenige Wochen dauerte es, bis sie im neuerliche­n Besitz ihrer pianistisc­hen Fertigkeit­en war. Die auf die ersten drei Therapie-Monate folgenden zweite Chemo brachte weniger heftige Reaktionen mit sich. Nebenwirku­ngen ließen sich dennoch nicht vermeiden. Obwohl die Ärzte ihre Finger in Eis packten, damit die aggressive­n Substanzen nicht bis dorthin vordringen konnten, spürt sie nach wie vor ein leichtes Kribbeln in den Gliedmaßen. Auch ist die Haut ihrer Finger trockener geworden. „Ich muss mich jetzt ein bisschen stärker darauf konzentrie­ren, genau die Mitte der Tasten zu treffen, um nicht abzurutsch­en. Aber das ist machbar.“

Auch mit der zweiten, ebenfalls dreimonati­gen Chemothera­pie war es noch nicht getan. Im August stand eine Operation an der Brust an. Harry Oesterle, der seine Frau zu jedem ihrer Klinik-Termine begleitete, erinnert sich: „An einem Dienstag war die Operation, am Freitag kam sie nach Hause, am Montag saß sie schon wieder am Klavier.“Der 20. Oktober in Würzburg rückte näher, das Konzert, das zum Testlauf für die weitere Karriere werden sollte. „Ich weiß nicht, wie sie das gemacht hat“, rekapituli­ert Oesterle den Konzertabe­nd, „aber sie spielte so, als ob nie etwas gewesen wäre.“Der Auftritt vor ausverkauf­tem Haus wurde zum großen Kraft gebenden Erfolg, umso mehr, als nur ein paar wenige im Saal überhaupt wussten, was die Pianistin in den Monaten zuvor durchgemac­ht hatte. Und so ging es gleich darauf in die Musik-Weltstadt London zu einem Solo-Abend und einem Konzert zusammen mit dem Symphonieo­rchester der BBC.

Bei diesem live übertragen­en Konzert wollte sie nach dem dargeboten­en Paderewski-Klavierkon­zert eigentlich noch eine Chopin-Zugabe hinterhers­chicken. Aber sie war zu erschöpft, auch, weil die Proben mit dem Orchester unmittelba­r vor der Aufführung stattgefun­den hatten. Ja, bekräftigt Janina Fialkowska, sie merke, dass sie jetzt rascher ermüde, Nachwirkun­gen der Therapie. Chopin aber, ihren Leib-und-MagenKompo­nisten, für dessen Interpreta­tion die einst vom großen Artur Rubinstein protegiert­e Kanadierin mit den polnischen Wurzeln zu Recht gerühmt wird, wird sie sich nächste Woche widmen, beim Symphoniek­onzert mit Augsburgs Philharmon­ikern.

Vor ein paar Wochen hat sie sich Chopins Klavierkon­zert in f-Moll wieder vorgenomme­n, ein Stück, das sie wohl an die 200 Mal in ihrem Leben gespielt hat. „Erstaunlic­h, wie viel Neues ich jetzt darin entdeNur cke“, wundert sich die Pianistin, „es ist ein ganz neues Stück für mich“. Eine Erfahrung, die sie auch schon mit anderen Werken gemacht hat. Sie ist überzeugt: „Mein Musikdenke­n hat sich verbessert. Ich achte jetzt mehr auf Details. Ich gehe viel tiefer hinein in die Musik.“

Die Konzertter­mine häufen sich nun wieder. Vor einer Woche Bochum, jetzt Augsburg, Anfang Januar ein Gastspiel in Stettin, danach Baden bei Zürich, Ende des Monats ein nachgeholt­er Klavierabe­nd in Kempten. Im Februar Kanada, eine neue Plattenauf­nahme steht an.

Ein Jahr ist vergangen seit der schockiere­nden Diagnose. Was aber kann jemand, der Derartiges durchgemac­ht hat, über die zurücklieg­ende Zeit anderes sagen, als dass sie „furchtbar“gewesen ist? Janina Fialkowska fügt noch einen Satz dazu: „Es war auch großartig…“, sagt sie; und schiebt nach einer Pause noch in ihrer Mutterspra­che nach: „…in a way“. Völlig klar, wie das gemeint ist: Die Musik hat sie wieder.

OKonzert Janina Fialkowska ist die Solistin von Chopins f-Moll-Klavierkon­zert, das am Montag, 17., und Dienstag, 18. Dezember, im 2. Sinfonieko­nzert der Augsburger Philharmon­iker erklingt. Ferner erklingen Glinkas Ouvertüre zu „Ruslan und Ludmilla“sowie Dvorˇáks „Sinfonie aus der Neuen Welt“. Beginn im Kongress am Park ist jeweils um 20 Uhr. Dirigent ist Domonkos Héja.

Ihren Zeitplan nannten die Ärzte „sportlich“

Hundertmal gespielt – und auf einmal wie neu

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Janina Fialkowska ist Solistin im nächsten Philharmon­iker-Sinfonieko­nzert – mit einem Werk ihres Leib-und-Magen-Komponiste­n Chopin.
Foto: Ulrich Wagner Janina Fialkowska ist Solistin im nächsten Philharmon­iker-Sinfonieko­nzert – mit einem Werk ihres Leib-und-Magen-Komponiste­n Chopin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany