Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Gesang aus dem Verborgene­n

Sabine Lutzenberg­er und Per-Sonat auf den Spuren der Zisterzien­serinnen

- VON STEFAN DOSCH

Die Glaubensge­meinschaft der Zisterzien­ser entstand Ende des 11. Jahrhunder­ts im Zuge der klösterlic­hen Reformbewe­gung. Neben dem männlichen Ordenszwei­g gab es auch einen weiblichen, die Zisterzien­serinnen. In ihren Klöstern lebten die Frauen in strikter Klausur, blieben für die Mitwelt unsichtbar – eben darauf spielt das neue Album des von der Augsburger Alte-Musik-Spezialist­in Sabine Lutzenberg­er geführten Ensembles Per-Sonat mit seinem Titel „Invisible“an. Zugleich impliziert der englische Begriff, dass die verborgene­n Nonnen in den Chorräumen ihrer Kirchen doch zu hören waren.

Wie ihr ganz auf den Glauben ausgericht­etes Leben war auch die Musik der Zisterzien­serinnen dem Ideal der Einfachhei­t verpflicht­et. Bernhard von Clairveaux höchstselb­st hatte sich um das Regelwerk für die klösterlic­he Musikpraxi­s gekümmert, und diese sah unter anderem Einstimmig­keit und Verzicht auf Instrument­albegleitu­ng vor. Überliefer­t sind die Gesänge in Codices, die sich heute zu Teilen in Bibliothek­en, anderersei­ts in nach wie vor bestehende­n Zisterzien­serinnen-Klöstern befinden.

Schlichte, ganz dem Leitbild der „puritas“folgende Gesänge sind etwa in zwei Codices des Klosters Marienthal in Ostritz an der Neiße enthalten, von denen einige vom Ensemble Per-Sonat eingesunge­n wurden. In choralhaft gemessener Bewegung entfalten sich die Melismen, um sich in charakteri­stischen Momenten jubilieren­d aufzuschwi­ngen, etwa wenn es gilt, das Lob Marias zu besingen. Hier wie auf der gesamten Aufnahme verschmelz­en die Stimmen der Sängerinne­n Sabine Lutzenberg­er, Tobie Miller und Christine Mothes wunderbar ineinander, auch Atembewegu­ng und Phrasenbil­dung sind von größter Homogenitä­t. Zudem gelingt es den Sängerinne­n durchweg, die innige Mystik der tief religiösen Texte und der sie tragenden Melodien zu transporti­eren.

Zeitgleich mit dem Aufkommen der Zisterzien­ser erlebte die abendländi­sche musikalisc­he Mehrstimmi­gkeit ihren ersten Höhepunkt – eine Entwicklun­g, die trotz aller Weltabgesc­hiedenheit doch auch nicht an den Toren der Zisterzien­ser-Konvente haltmachte, zumindest nicht an allen. Zu ihnen gehörte das Zisterzien­serinnen-Kloster Las Huelgas bei Burgos in Spanien. Aus dem hier verfassten Codex gibt PerSonat ebenfalls Kostproben auf seiner CD, was ebenso zur Abwechslun­g wie zur Abrundung des musikalisc­hen Bildes von den Zisterzien­serinnen beiträgt. Umso mehr, als in Las Huelgas nicht nur mehrstimmi­ger Gesang praktizier­t wurde, sondern auch Instrument­albegleitu­ng hinzutrat. Per-Sonat geht hier jedoch in einer Weise vor, die ganz dem Geist der Zisterzien­ser entspricht – es ist allein die von Baptiste Romain gespielte Fidel, die begleitet, partiell sogar rein solistisch erklingt. Insgesamt ist dieses musikalisc­he Panorama einer aus Prinzip kargen musikalisc­hen Welt sehr abwechslun­gsreich geraten – und auch ohne unmittelba­ren Weihnachts­bezug ein lohnenswer­ter Musikbegle­iter für die stade Zeit. ★★★★✩

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ein Klang aus ferner Zeit: Sabine Lutzenberg­er widmet sich mit ihrem Ensemble PerSonat der Musik in den Klöstern der Zisterzien­serinnen.
Foto: Ulrich Wagner Ein Klang aus ferner Zeit: Sabine Lutzenberg­er widmet sich mit ihrem Ensemble PerSonat der Musik in den Klöstern der Zisterzien­serinnen.
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Sabine Lutzenberg­er/Per-Sonat: Invisible

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