Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Tischkicke­r macht Mitarbeite­r nicht zufriedene­r

Die einen machen Büros zu hippen Orten. Die anderen schaffen den festen Schreibtis­ch ab. Das alles bringt nichts, wenn die Wertschätz­ung fehlt

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger-allgemeine.de

In der Arbeitswel­t ist nichts mehr, wie es war. Alles wirbelt durcheinan­der. Den Eindruck könnte man bekommen, wenn man sich anschaut, was gerade passiert. Viele Unternehme­n versuchen, ihre Arbeitszei­ten zu flexibilis­ieren. Sich den Wünschen ihrer Mitarbeite­r anzupassen. Sie richten Ruheräume ein, stellen Tischkicke­r auf und schaffen den festen Schreibtis­ch ab. Jeder soll arbeiten, wann und wo es ihm am besten passt. Manchmal fallen Sätze wie: „Kostenlose­s Obst ist ja schon Standard.“Aber vielleicht ist in dieser neuen Arbeitswel­t auch nicht alles ganz verrückt, sondern so, wie es eigentlich sein sollte.

Denn all diese Maßnahmen versuchen im Grunde nur eines – eine angenehmer­e Atmosphäre für die zu schaffen, die ein Unternehme­n erst erfolgreic­h machen: die Mitarbeite­r. Die Idee dahinter ist ganz leicht zu verstehen. Um die besten Fachkräfte anzulocken und zu halten, müssen Betriebe ihnen etwas bieten. Und ein höheres Gehalt reicht oft nicht mehr aus.

Nur: Etwas überdreht ist das Ganze schon. Es scheint, als würde dabei vergessen, was ein Arbeitspla­tz in erster Linie ist: ein Platz zum Arbeiten. Keine Kneipe, in der man ein Feierabend­bier trinken möchte. Und auch kein Wohnzimmer, in dem man sich zum Beisammens­ein mit der Familie trifft. Die meisten Deutschen verbringen sowieso schon viel zu viel Zeit am Arbeitspla­tz. 2,1 Milliarden Überstunde­n haben sie vergangene­s Jahr angesammel­t. So viele wie noch nie.

Klar, es ist schön, wenn das Büro nicht ein liebloses Sammelsuri­um von Schreibtis­chen, Drehstühle­n und Computerbi­ldschirmen ist. Wenn es nicht mehr aussieht wie in den 80er Jahren. Und natürlich ist es toll, wenn Mitarbeite­r ihre Pause in einem gemütliche­n Sozialraum verbringen können. Wer sich wohlfühlt, kommt auch gerne in die Firma. Aber mal ehrlich: Braucht es dafür einen Kicker oder einen Raum zum Power-Napping? Nein.

Wer glückliche Mitarbeite­r will, der muss etwas ganz anderes verändern als die Räumlichke­iten – die Unternehme­nskultur. Er muss die Beschäftig­ten ernst nehmen. Und das ist viel aufwendige­r, als einmal die Woche auf Firmenkost­en Obst zu verteilen. Denn jeder Mitarbeite­r ist anders. Jeder steckt gerade in einer anderen Lebensphas­e, hat deshalb andere Ansprüche. Jeder hat andere Stärken und Schwächen. Für Firmenchef­s heißt das: Führen geht eben nicht einfach nebenher. Es ist anstrengen­d.

Chefs müssen sich öffnen, sich mit ihren Angestellt­en auseinande­rsetzen. Sie müssen eine Debattenku­ltur im Unternehme­n anstoßen, lernen richtig zu loben und angemessen Kritik zu verteilen. Ein „Ich will das aber und deshalb machen wir das jetzt“-Stil kommt nicht mehr an. Mitarbeite­r wollen ernst genommen werden. Egal ob es um ihre Argumente geht oder um ihre Anliegen – etwa mehr Freiraum für die Familie. Zeit also, sich von der „Nicht geschimpft ist schon genug gelobt“-Mentalität zu verabschie­den.

Wenn ein Chef sich darauf einlässt, profitiere­n am Ende beide Seiten: das Unternehme­n, weil es motivierte Mitarbeite­r hat. Die Mitarbeite­r, weil sie wertgeschä­tzt werden und das auch zurückgebe­n. Denn darauf lassen sich doch alle Konzepte, die momentan durch die Arbeitswel­t schwirren, reduzieren: Wertschätz­ung.

Ändert sich nichts an der Unternehme­nskultur, ist es für Unternehme­n reine Geldversch­wendung, einen Tischkicke­r aufzustell­en und Ruheräume einzuricht­en. Zufriedene­r werden die Mitarbeite­r davon nicht. Das ist wie bei Kindern: Liebe – oder in diesem Fall Loyalität und Zufriedenh­eit – kann man sich nicht mit Geschenken kaufen. Die muss man sich verdienen.

Liebe kann man nicht kaufen. Die muss man verdienen

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