Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Der IS sieht sich als eine Art Gang“

Terrorexpe­rte im Gespräch

- Fragen: Angelika Wohlfrom

Herr Neumann, der IS hat das Attentat von Cherif Chekatt in Straßburg für sich beanspruch­t. Halten Sie es für wahrschein­lich, dass das stimmt? Peter Neumann: Ja, natürlich. Aber man muss dieses Für-sich-Beanspruch­en im Falle des IS etwas weiter fassen. Der IS hat seinen Anhängern gesagt: Ihr dürft unsere Marke benutzen, auch wenn ihr euch nicht direkt uns angeschlos­sen habt. Wenn ihm dann die Anschläge gefallen, nimmt der IS diese für sich in Anspruch.

Und der Straßburge­r Anschlag gefällt dem IS?

Neumann: Ja, der IS ist nicht mehr so erfolgsver­wöhnt, wie er das mal war. Alles, was in Europa passiert, ist etwas, das ihm ins Konzept passt, weil es die Botschaft vermittelt: Es gibt uns noch.

Chekatt hat eine Karriere als Kriminelle­r hinter sich. Wie hängen Radikalisi­erung und Kriminalit­ät zusammen? Neumann: Das ist ein Phänomen, das wir in Europa in jüngerer Zeit häufig sehen. In Frankreich ist die Hälfte aller terroristi­sch Auffällige­n wegen Kleinkrimi­nalität vorbestraf­t. In Holland und in Deutschlan­d sind zwei Drittel polizeibek­annt. Das hängt damit zusammen, dass der IS angefangen hat, sich als eine Art Gang darzustell­en und die Anforderun­gen an die Rekruten so weit zu senken, dass selbst Leute, die quasi aus dem Getto kamen, Zugang hatten. Besonders deutlich wird das im Vergleich mit den Attentäter­n vom 11. September 2001: Das waren Studenten aus der Mittelklas­se, die sich viermal die Woche getroffen haben, um über Religion zu diskutiere­n. Das ist eine ganz andere Art von Rekrut als diejenigen, die wir heute beim IS sehen. Wenn du bei Al-Kaida Mitglied wurdest, musstest du fromm sein, fünfmal am Tag beten. Das war unvorstell­bar, dass da einer weiter Drogen konsumiert wie Anis Amri.

OPeter Neumann ist einer der bekanntest­en Islamismus-Experten. Der Deutsche lehrt am Londoner King’s College.

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