Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Vom Lehrer zum Software-Experten
Vor sechs Jahren hat Ulrich Huggenberger sich entschieden, die Firma Xitaso zu gründen. Ein bisschen später hat er seinen Bruder an Bord geholt. Zusammen denken sie Unternehmensführung neu
Augsburg An diesem Morgen stehen sechs Männer um einen Tisch in einem Büro der Firma Xitaso. An der Kopfseite leuchtet ein Bildschirm. Jeder berichtet knapp, an was er arbeitet. Das Bemerkenswerte ist: Obwohl die Männer sich unterhalten, hört man kaum einen Laut. Obwohl alles offen ist, obwohl überall Menschen sitzen und arbeiten, ist es auffällig ruhig.
Vor einem Jahr etwa hat der Software-Spezialist Xitaso die Räume auf dem Gelände von Manroland bezogen. Von außen sieht das Gebäude etwas in die Jahre gekommen aus. Roter Klinker trifft auf türkise Fensterrahmen. Innen hat das Unternehmen das Schlagwort „New Work“begehbar gemacht. Für die Mitarbeiter gibt es Großraumbüros, in denen die Teams zusammensitzen. Eine Küche für die Mittagspause, eine Kaffeeecke für kurze Treffen. An den Wänden hängen weiße Tafeln für Notizen. Für Stillarbeit gibt es Einzelkabinen.
Der Unternehmensgründer Ulrich Huggenberger hat eigentlich Lehramt studiert. Er wollte Gymnasiasten in Sport und Mathe unterrichten. „Das hat Spaß gemacht. Aber als ich zum ersten Mal vor einer Klasse stand, habe ich gemerkt: Auf Dauer erfüllt mich das nicht“, erinnert er sich. Dann fing er an, als Werkstudent bei Kuka zu arbeiten, und merkte: Technik weckt seine Leidenschaft. Also schloss er ein Informatik-Studium an und arbeitete danach als Software-Entwickler für den Roboterbauer. 2012 machte er sich mit Xitaso selbstständig. Der Firmenname ist übrigens eine Abkürzung und steht für „Experts in IT and Software Solutions“. Ein Jahr später kam Martin Huggenberger in die Firma. Der Betriebswirt arbeitete davor für die Allianz und betreute Aktienfonds. Bis ihn sein Bruder fragte, ob er sich um die Firmenfinanzen kümmern wolle. Wollte er. „Aber wir haben uns eine Probezeit gegeben, um zu gucken, ob das klappt“, erzählt er. Heute gehört ihnen beiden die Firma.
Was die 110 Mitarbeiter genau machen, fasst Ulrich Huggenberger so zusammen: Sie beraten Unternehmen, wenn es darum geht, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen. Oder das Team überlegt, ob ein Unternehmen seine Produkte verbessern kann, zum Beispiel, indem sie intelligenter werden. „Das ist der zweite Bereich, den wir abdecken: Produktentwicklung.“Das Modell funktioniert.
Seit der Gründung ist nicht nur die Mitarbeiterzahl von acht auf 110
die Firma hat auch einen zweiten Standort in Magdeburg aufgemacht. Die Wachstumsraten sind beachtlich. Finanzchef Huggenberger sagt: „2014/15 ist die Firma jeweils um 100 Prozent gewachsen. 2016/17 waren es 50 Prozent. Und dieses Jahr werden es etwa 25 Prozent sein.“Diese Dynamik funktioniert aus Sicht der Huggenbergers nur, weil das Unternehmen anders organisiert ist als traditionelle Betriebe. New Work eben. Und was heißt das konkret?
Die Brüder erklären es so: Statt in Abteilungen arbeiten die Mitarbeiter in Teams, die sich um Projekte Entsprechend vielfältig sind die Kunden der Firma. Zu ihnen zählt zum Beispiel Kuka, Manroland, Grünbeck, Grenzebach und Roma.
● Standorte Die Firma hat mittlerweile zwei Standorte in Augsburg und einen in Magdeburg. Die Niederlassung in Sachsen-Anhalt hat sich aus der
kümmern. Einen Teamleiter gibt es nicht. Entscheidungen treffen die Teams selbstständig. Das macht den Ablauf effizienter, weil nicht jeder Schritt von der Geschäftsführung genehmigt werden muss. Stattdessen sind die Mitarbeiter eigenverantwortlich. „Das klappt, weil wir ein klares Wertesystem haben, dem alle Entscheidungen standhalten müssen“, sagt Martin Huggenberger. Und es funktioniert, weil alle Mitarbeiter immer wissen, wo die Firma steht und wo sie hin will. Die Zahlen und strategischen Entscheidungen werden transparent und regelmäßig kommuniziert. Es funkangewachsen, Zusammenarbeit mit Professor Frank Ortmeier ergeben, der dort den Lehrstuhl für Software Engineering leitet.
● Mitarbeiter Xitaso hat etwa 110 Mitarbeiter. Der Großteil arbeitet in Augsburg. Etwa zehn Mitarbeiter sitzen in Magdeburg. (hhc)
tioniert auch, weil die Chefs gelernt haben loszulassen, sich nicht in alles einzumischen. „Das erfordert jeden Tag sehr viel Mut“, räumt Ulrich Huggenberger ein. Sein Bruder schiebt nach: „Als Chef muss man dazu vertrauen können. Etwas, was mein Bruder sehr gut kann.“
Neben den Teams sind die Mitarbeiter in Communities – Englisch für Gemeinschaften – organisiert. Die befassen sich mit verschiedenen Themen. Manche kommen aus dem IT-Bereich – etwa Front-End-Entwicklung oder Cloud-Computing – und dienen dafür, Wissen weiterzugeben, sich fortzubilden. Andere Communities beschäftigen sich mit Unternehmensthemen. Dann geht es um Marketing, Personalsuche oder Vertrieb. In den Gruppen sind natürlich die zuständigen Fachmitarbeiter vertreten, aber eben auch andere, die sich für ein Thema interessieren. Auch die Communities treffen Entscheidungen, die dann umgesetzt werden. Dann kann es schon vorkommen, dass der Personaler mit Softwareentwicklern diskutiert, was die beste Strategie ist, neue Mitarbeiter zu finden. „Hin und wieder muss sich dann der Personaler damit abfinden, dass die Personal-Community einen anderen Weg vorschlägt, als er gegangen wäre“, beschreibt Huggenberger das Konzept.
Und es gibt noch eine dritte Ebene, auf der Xitaso Dinge anders macht: die Führungsebene. Statt eines Vorgesetzten hat jeder Mitarbeiter einen Mentor. Dessen Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass sein Schützling sich weiterentwickelt. „In den meisten Firmen ist es so, dass derjenige mit der meisten Fachkompetenz Führungskraft wird. Aber diese Menschen sind oft nicht die besten für die Position“, sagt Ulrich Huggenberger.
Diese Art, selbstverantwortlich zu arbeiten, ist nicht für jeden etwas. Das wissen auch die Xitaso-Inhaber. Wer bei ihnen anfangen möchte, arbeitet deshalb einen Tag Probe: „Da geht es darum, dass der Bewerber sieht, ob das Konzept zu ihm passt“, erklärt Ulrich Huggenberger. Die meisten sind nach dem Tag überzeugt, nur wenige entscheiden sich dagegen, bei Xitaso anzufangen, berichtet er. „Wir haben aber auch eine spezielle Mitarbeiterstruktur. Das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren. Für viele Mitarbeiter ist das die erste Stelle nach dem Studium“, sagt Martin Huggenberger. Das heißt: Sie sind gar nicht erst im alten Strukturen-Denken festgefahren. Und noch etwas spricht für die Organisationsweise: Obwohl IT-Fachkräfte Mangelware sind, hat die Firma kein Problem, neue Mitarbeiter zu finden.
Natürlich war Xitaso nicht von Beginn an so strukturiert. Das ist mit der Zeit und der Zahl der Mitarbeiter gewachsen. Ulrich Huggenberger sagt klar: „Wir wollen größer werden und wir glauben, diese Struktur ist der beste Weg. Sollte das einmal nicht mehr der Fall sein, denken wir um.“Denn die Struktur wird ständig überprüft. Das erfordert eine gute Fehlerkultur. „Etwas falsch machen, ist nicht schlimm. Wir wollen den Fehler nur nicht wiederholen“, sagt Gründer Huggenberger.