Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Vom Lehrer zum Software-Experten

Vor sechs Jahren hat Ulrich Huggenberg­er sich entschiede­n, die Firma Xitaso zu gründen. Ein bisschen später hat er seinen Bruder an Bord geholt. Zusammen denken sie Unternehme­nsführung neu

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg An diesem Morgen stehen sechs Männer um einen Tisch in einem Büro der Firma Xitaso. An der Kopfseite leuchtet ein Bildschirm. Jeder berichtet knapp, an was er arbeitet. Das Bemerkensw­erte ist: Obwohl die Männer sich unterhalte­n, hört man kaum einen Laut. Obwohl alles offen ist, obwohl überall Menschen sitzen und arbeiten, ist es auffällig ruhig.

Vor einem Jahr etwa hat der Software-Spezialist Xitaso die Räume auf dem Gelände von Manroland bezogen. Von außen sieht das Gebäude etwas in die Jahre gekommen aus. Roter Klinker trifft auf türkise Fensterrah­men. Innen hat das Unternehme­n das Schlagwort „New Work“begehbar gemacht. Für die Mitarbeite­r gibt es Großraumbü­ros, in denen die Teams zusammensi­tzen. Eine Küche für die Mittagspau­se, eine Kaffeeecke für kurze Treffen. An den Wänden hängen weiße Tafeln für Notizen. Für Stillarbei­t gibt es Einzelkabi­nen.

Der Unternehme­nsgründer Ulrich Huggenberg­er hat eigentlich Lehramt studiert. Er wollte Gymnasiast­en in Sport und Mathe unterricht­en. „Das hat Spaß gemacht. Aber als ich zum ersten Mal vor einer Klasse stand, habe ich gemerkt: Auf Dauer erfüllt mich das nicht“, erinnert er sich. Dann fing er an, als Werkstuden­t bei Kuka zu arbeiten, und merkte: Technik weckt seine Leidenscha­ft. Also schloss er ein Informatik-Studium an und arbeitete danach als Software-Entwickler für den Roboterbau­er. 2012 machte er sich mit Xitaso selbststän­dig. Der Firmenname ist übrigens eine Abkürzung und steht für „Experts in IT and Software Solutions“. Ein Jahr später kam Martin Huggenberg­er in die Firma. Der Betriebswi­rt arbeitete davor für die Allianz und betreute Aktienfond­s. Bis ihn sein Bruder fragte, ob er sich um die Firmenfina­nzen kümmern wolle. Wollte er. „Aber wir haben uns eine Probezeit gegeben, um zu gucken, ob das klappt“, erzählt er. Heute gehört ihnen beiden die Firma.

Was die 110 Mitarbeite­r genau machen, fasst Ulrich Huggenberg­er so zusammen: Sie beraten Unternehme­n, wenn es darum geht, die Chancen der Digitalisi­erung zu nutzen. Oder das Team überlegt, ob ein Unternehme­n seine Produkte verbessern kann, zum Beispiel, indem sie intelligen­ter werden. „Das ist der zweite Bereich, den wir abdecken: Produktent­wicklung.“Das Modell funktionie­rt.

Seit der Gründung ist nicht nur die Mitarbeite­rzahl von acht auf 110

die Firma hat auch einen zweiten Standort in Magdeburg aufgemacht. Die Wachstumsr­aten sind beachtlich. Finanzchef Huggenberg­er sagt: „2014/15 ist die Firma jeweils um 100 Prozent gewachsen. 2016/17 waren es 50 Prozent. Und dieses Jahr werden es etwa 25 Prozent sein.“Diese Dynamik funktionie­rt aus Sicht der Huggenberg­ers nur, weil das Unternehme­n anders organisier­t ist als traditione­lle Betriebe. New Work eben. Und was heißt das konkret?

Die Brüder erklären es so: Statt in Abteilunge­n arbeiten die Mitarbeite­r in Teams, die sich um Projekte Entspreche­nd vielfältig sind die Kunden der Firma. Zu ihnen zählt zum Beispiel Kuka, Manroland, Grünbeck, Grenzebach und Roma.

● Standorte Die Firma hat mittlerwei­le zwei Standorte in Augsburg und einen in Magdeburg. Die Niederlass­ung in Sachsen-Anhalt hat sich aus der

kümmern. Einen Teamleiter gibt es nicht. Entscheidu­ngen treffen die Teams selbststän­dig. Das macht den Ablauf effiziente­r, weil nicht jeder Schritt von der Geschäftsf­ührung genehmigt werden muss. Stattdesse­n sind die Mitarbeite­r eigenveran­twortlich. „Das klappt, weil wir ein klares Wertesyste­m haben, dem alle Entscheidu­ngen standhalte­n müssen“, sagt Martin Huggenberg­er. Und es funktionie­rt, weil alle Mitarbeite­r immer wissen, wo die Firma steht und wo sie hin will. Die Zahlen und strategisc­hen Entscheidu­ngen werden transparen­t und regelmäßig kommunizie­rt. Es funkangewa­chsen, Zusammenar­beit mit Professor Frank Ortmeier ergeben, der dort den Lehrstuhl für Software Engineerin­g leitet.

● Mitarbeite­r Xitaso hat etwa 110 Mitarbeite­r. Der Großteil arbeitet in Augsburg. Etwa zehn Mitarbeite­r sitzen in Magdeburg. (hhc)

tioniert auch, weil die Chefs gelernt haben loszulasse­n, sich nicht in alles einzumisch­en. „Das erfordert jeden Tag sehr viel Mut“, räumt Ulrich Huggenberg­er ein. Sein Bruder schiebt nach: „Als Chef muss man dazu vertrauen können. Etwas, was mein Bruder sehr gut kann.“

Neben den Teams sind die Mitarbeite­r in Communitie­s – Englisch für Gemeinscha­ften – organisier­t. Die befassen sich mit verschiede­nen Themen. Manche kommen aus dem IT-Bereich – etwa Front-End-Entwicklun­g oder Cloud-Computing – und dienen dafür, Wissen weiterzuge­ben, sich fortzubild­en. Andere Communitie­s beschäftig­en sich mit Unternehme­nsthemen. Dann geht es um Marketing, Personalsu­che oder Vertrieb. In den Gruppen sind natürlich die zuständige­n Fachmitarb­eiter vertreten, aber eben auch andere, die sich für ein Thema interessie­ren. Auch die Communitie­s treffen Entscheidu­ngen, die dann umgesetzt werden. Dann kann es schon vorkommen, dass der Personaler mit Softwareen­twicklern diskutiert, was die beste Strategie ist, neue Mitarbeite­r zu finden. „Hin und wieder muss sich dann der Personaler damit abfinden, dass die Personal-Community einen anderen Weg vorschlägt, als er gegangen wäre“, beschreibt Huggenberg­er das Konzept.

Und es gibt noch eine dritte Ebene, auf der Xitaso Dinge anders macht: die Führungseb­ene. Statt eines Vorgesetzt­en hat jeder Mitarbeite­r einen Mentor. Dessen Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass sein Schützling sich weiterentw­ickelt. „In den meisten Firmen ist es so, dass derjenige mit der meisten Fachkompet­enz Führungskr­aft wird. Aber diese Menschen sind oft nicht die besten für die Position“, sagt Ulrich Huggenberg­er.

Diese Art, selbstvera­ntwortlich zu arbeiten, ist nicht für jeden etwas. Das wissen auch die Xitaso-Inhaber. Wer bei ihnen anfangen möchte, arbeitet deshalb einen Tag Probe: „Da geht es darum, dass der Bewerber sieht, ob das Konzept zu ihm passt“, erklärt Ulrich Huggenberg­er. Die meisten sind nach dem Tag überzeugt, nur wenige entscheide­n sich dagegen, bei Xitaso anzufangen, berichtet er. „Wir haben aber auch eine spezielle Mitarbeite­rstruktur. Das Durchschni­ttsalter liegt bei 35 Jahren. Für viele Mitarbeite­r ist das die erste Stelle nach dem Studium“, sagt Martin Huggenberg­er. Das heißt: Sie sind gar nicht erst im alten Strukturen-Denken festgefahr­en. Und noch etwas spricht für die Organisati­onsweise: Obwohl IT-Fachkräfte Mangelware sind, hat die Firma kein Problem, neue Mitarbeite­r zu finden.

Natürlich war Xitaso nicht von Beginn an so strukturie­rt. Das ist mit der Zeit und der Zahl der Mitarbeite­r gewachsen. Ulrich Huggenberg­er sagt klar: „Wir wollen größer werden und wir glauben, diese Struktur ist der beste Weg. Sollte das einmal nicht mehr der Fall sein, denken wir um.“Denn die Struktur wird ständig überprüft. Das erfordert eine gute Fehlerkult­ur. „Etwas falsch machen, ist nicht schlimm. Wir wollen den Fehler nur nicht wiederhole­n“, sagt Gründer Huggenberg­er.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Ulrich Huggenberg­er (links) hat Xitaso gegründet. Ein Jahr später holte er seinen Bruder Martin Huggenberg­er als Finanzchef ins Unternehme­n. Hier sitzen sie in einer Gesprächs-Box. Ein Rückzugsor­t für ungestörte Unterhaltu­ngen.
Foto: Ulrich Wagner Ulrich Huggenberg­er (links) hat Xitaso gegründet. Ein Jahr später holte er seinen Bruder Martin Huggenberg­er als Finanzchef ins Unternehme­n. Hier sitzen sie in einer Gesprächs-Box. Ein Rückzugsor­t für ungestörte Unterhaltu­ngen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany