Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Immer diese Warterei!

Hassen Sie es, Zeit totschlage­n zu müssen? Oder atmen Sie dann kurz durch? Und sollten wir nicht gerade jetzt im Advent uns in Geduld üben? Was ein Warte-Experte rät

- VON DANIELA HUNGBAUR

Augsburg Darauf können Sie lange warten. Das mit dem Warten hat kein Ende. Zumindest nicht in absehbarer Zeit. Weil das nicht klappt mit der Organisati­on einer Massengese­llschaft so ganz ohne Leerlauf. Sagt Andreas Göttlich. Und der muss es wissen. Er ist ein Experte fürs Warten. Beschäftig­t sich der promoviert­e Soziologe an der Universitä­t Konstanz doch schon seit Jahren mit einem der größten täglichen Ärgernisse: dem offensicht­lich sinnbefrei­ten Herumsitze­n in Wartezimme­rn und Behörden, auf Bahnhöfen, an Flughäfen oder dem Warten an Kassen.

Da kann dann der ein oder andere schon mal ausflippen, grantig werden, laut nachhaken, warum das hier wieder so lange dauert. Dass der eine die Zwangspaus­e gelassener erträgt als der andere, erklärt Göttlich zum einen mit dem individuel­len Charakter. Zum anderen sei entscheide­nd, ob man sich freiwillig in die Lage, also die Warteschla­nge, manövriert habe, und ob man sich darauf einstellen und wappnen konnte. Ist Letzteres der Fall – und man weiß beispielsw­eise, dass man beim Arzt immer etwas sitzt –, kann man ein spannendes Buch mitnehmen. Oder sein allzeit griffberei­tes Smartphone zücken und in Ruhe Mails checken. Entsteht so das Gefühl, sinnvoll die kostbare, unablässig ablaufende Lebenszeit zu nutzen, ist von lästiger Wartezeit kaum noch die Rede. Man macht ja was.

Doch apropos Wartezimme­r: Erweckt die Arzthelfer­in beim Aufrufen der Patienten den Eindruck, dass nicht nach der eingetroff­enen Reihenfolg­e, sondern nach anderen Kriterien (Privatpati­enten first?) behandelt wird, kann nach Einschätzu­ng von Experte Göttlich schnell Schluss sein mit der entspannen­den Lektüre. Geht es hier etwa ungerecht zu? Wird jemand bevorzugt? „Wenn Wartende etwas nicht vertragen, dann Ungerechti­gkeit“, sagt Göttlich. Das geht gar nicht.

Doch ist es nicht auch schon vorgekomme­n, dass man selbst der Bremsklotz war und andere wegen einem warten mussten? Als Notfall beim Arzt eingeschob­en. Mit der Arbeit nicht wie verabredet fertig geworden. Sich verplauder­t ...

Überhaupt: Warten hat auch etwas Gutes. Wirklich. Psychologe­n haben längst den Wert der Geduld erkannt. So sei es wissenscha­ftlich erwiesen, dass Kinder, die früh diese Disziplin erlernen und sich selbst kontrollie­ren können, später beruflich erfolgreic­her, emotional stabiler und sozial kompetente­r sind. Wie man Kindern Geduld beibringt, darüber schweigt sich der Soziologe allerdings aus. Dafür rät er dazu, die jetzige Zeit, den Advent, zu nutzen, die schönen Seiten des Wartens zu genießen. Schließlic­h ist er überzeugt davon, dass ein gewisses Verlangen nach Entschleun­igung bei vielen Menschen da ist. „Und von der Idee her ist der Advent eine geeignete Zeit dazu.“Damit es gelingt, müsse man sich aber ganz bewusst von der „überborden­den Aksogar tivität“mit all den Weihnachts­feiern, Weihnachts­marktbesuc­hen und dem Einkaufsst­ress freimachen.

Dafür ist, wer warten kann, im Vorteil: „Denn auch für die psychische Gesundheit ist es wichtig, warten zu können“, betont Göttlich. Schließlic­h gehöre Warten zum Menschsein dazu. Abhängigke­iten von anderen Menschen, aber auch von der Technik könnten ja nie ganz ausgeschlo­ssen werden. Und man denke nur daran, dass auch bei manchen Erkrankung­en vor allem Geduld gefragt ist. Also ruhig mal das Warten ein bisschen üben. Etwa beim Warten in einer ansprechen­den Umgebung bewusst den Kopf heben. Das Smartphone aus lassen. Sich umsehen. Mal nichts tun.

Wer immer noch nicht glaubt, dass Warten etwas Wunderbare­s sein kann, der sei daran erinnert, wie schön es ist, darauf zu warten, dass das Kind auf die Welt kommt. Dass man einen geliebten Menschen trifft. Dass man in Urlaub fährt. Dass man Freunde sieht. Dann ist es Vorfreude, die schönste Freude. Und man wartet gerne. Auch länger.

Warum Kinder früh Disziplin lernen sollten

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Foto: Sergiogen, Adobe Stock Kennt jeder, diese Situation: Wenn im Wartezimme­r beim Arzt ein Patient aufgerufen wird, der nach einem kam ... „Wenn Wartende etwas nicht vertragen, dann Ungerechti­gkeit“, sagt der Konstanzer Soziologe Andreas Göttlich dazu.

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