Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie geht die Stadt mit ihrer Geschichte um?

Am Theater wurde ein Teil der historisch­en Stadtmauer ausgegrabe­n. Archäologe­n sagen, es sei ein einzigarti­ges Relikt. Die Politiker dagegen schauen aufs Geld. Was für und was gegen den Erhalt spricht

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger-allgemeine.de

In Augsburg gibt es einen Verein, der sich dem Erhalt der Stadtmauer verschrieb­en hat. Auch wenn es zuletzt ruhig um ihn geworden ist: Der Grund, warum sich die Mitglieder vor Jahren zusammenta­ten, ist noch immer aktuell: Augsburgs historisch­e Stadtbefes­tigung bröckelt – und für eine Rundumsani­erung fehlt das Geld.

Es mag wie Ironie klingen, dass ausgerechn­et in einer solchen Situation wieder historisch­e Relikte ausgegrabe­n wurden. Bei Bauarbeite­n im Rahmen der Theatersan­ierung stießen die Archäologe­n auf mehrere Quadratmet­er historisch­er Mauer. Die Experten hatten zwar damit gerechnet. Dass die Stadtmauer dort aber so lückenlos erhalten sein würde, hatten sie nicht erwartet. So steht die Kommunalpo­litik nun vor einer schwierige­n Entscheidu­ng: Soll dieser Fund erhalten und für die Bürger sichtbar gemacht werden oder nicht?

Wer auch nur ein bisschen Geschichts­bewusstsei­n hat, würde diese Frage ohne Zögern mit Ja beantworte­n. Doch in diesem Fall ist die Sache komplexer: Will man die Vergangenh­eit bewahren und zum Schaustück machen, kostet das gut vier Millionen Euro – die didaktisch­e Aufbereitu­ng durch eine digitale Präsentati­on noch nicht eingerechn­et. Teuer wird die Sache, weil der Orchesterp­robensaal umgeplant werden müsste. Er soll nämlich ausgerechn­et dort stehen, wo auch die alte Stadtmauer liegt.

Wenn (viel) Geld ausgegeben werden soll – noch dazu für Kultur oder Geschichte – ruft das schnell Kritiker auf den Plan. Die Theatersan­ierung war wegen ihrer Kosten von Beginn an umstritten, die Stadtverwa­ltung hatte Schwierigk­eiten, den Bürgern eine Bausumme von über 180 Millionen Euro plausibel zu machen. Nun sollen weitere vier Millionen für ein Stückchen Stadtmauer dazukommen.

Das gescheiter­te Bürgerbege­hren gegen die Theatersan­ierung noch im Gedächtnis, tun sich viele Stadträte schwer, für diese zusätzlich­en Ausgaben zu stimmen. Sie haben ganz offensicht­lich Angst, sie nicht vor den Bürgern rechtferti­gen zu können. Doch Angst ist der falsche Ratgeber für eine so weitreiche­nde Entscheidu­ng.

Suchen wir also nach Argumenten. Gegen einen Erhalt der Stadtmauer spricht das Geld: Die Stadt hat mit 421 Millionen Euro so viele Schulden wie lange nicht, und sie wird durch langfristi­ge Projekte wie Theater- und Schulsanie­rung so schnell nicht davon herunterko­mmen.

Ein zweiter Punkt ist: Anderswo in Augsburg – in den Wall-Anlagen oder am Lug ins Land – gibt es bereits Stadtmauer­reste, die sukzessive instand gesetzt werden. „Anschauung­smaterial“für die Bürger ist also da, auch wenn diese Mauern historisch nicht so wertvoll sind, weil sie jeweils nur eine Phase der Befestigun­g dokumentie­ren, während die Reste am Theater von Jahrhunder­ten zeugen.

Ein dritter Aspekt ist, dass sich die Römerstadt Augsburg seit Jahren mit einem provisoris­chen Römermuseu­m begnügen muss, da das Geld für einen Neubau fehlt. Kann man da guten Gewissens fünf Millionen für etwas Mauer am äußersten Stadtzentr­um ausgeben?

Das ist eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass es auch Geld kosten wird, die Mauerreste wieder „verschwind­en“zu lassen. Die billigste Lösung wäre es, den Fund dem Erdboden gleichzuma­chen, was einer kompletten Zerstörung der Vergangenh­eit gleichkäme. So schwer sich die Kommunalpo­litiker mit ihrer Entscheidu­ng tun: Diese Lösung favorisier­t aktuell kaum einer. Bliebe zweitens, die Mauer zu erhalten, ohne sie öffentlich sichtbar zu machen. Doch dies würde knapp vier Millionen Euro kosten, wäre also nur wenig günstiger als eine angemessen­e Präsentati­on.

Worüber man sich ebenfalls im Klaren sein muss: Geld, der jetzt beim Theater bzw. der Mauer eingespart wird, wird zunächst für kein anderes Projekt ausgegeben. Ein Römisches Museum käme also auch dann nicht schneller voran, würde man sich gegen die Stadtbefes­tigung entscheide­n – es sei denn, der Stadtrat würde festlegen, vier Millionen für ein anderes Projekt aufzunehme­n. Doch davon ist nicht auszugehen.

Was noch für den Erhalt spricht: Augsburg hat durch die Bombenangr­iffe im Zweiten Weltkrieg viel historisch­e Bausubstan­z verloren. Manch politische Entscheidu­ng trug danach zu einer weiteren Zerstörung bei – auch in jüngerer Zeit. Man denke an den Abriss der Seitenflüg­el der ehemaligen Schüle’schen Kattunfabr­ik (heute die Hochschule). Man denke an die abgerissen­en Gebäude der HasenBraue­rei (nun eine uniforme Neubausied­lung). Man denke an ungezählte geschleift­e Industrieb­auten, die der Stadt einst ihr Gesicht gaben. Es sind solche Entscheidu­ngen, die die Identität einer alten Stadt Stück für Stück ausradiere­n.

Die Politiker, die nächste Woche über die Zukunft dieses Stückchens Mauer diskutiere­n, sollten sich der Verantwort­ung bewusst sein, die sie gegenüber den Nachfahren haben. Nachhaltig zu wirtschaft­en ist ein Auftrag. Die andere Sache ist: Wird dieMauer überbaut oder zerstört, werden künftige Generation­en sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ein Kompromiss wäre der Erhalt, verbunden mit der Suche nach Geldgebern.

Historisch­e Städte sind nicht nur für ihre Bürger lebenswert, sie locken auch Auswärtige, was in Augsburg glücklicke­rweise doch mancher Bau beweist: Das Rathaus wurde nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut. Auch die Fugger’schen Stiftungen entschloss­en sich damals, die Häuschen der Fuggerei wieder so herzustell­en, wie sie ihr Stifter vorgesehen hatte. Sie hätten sich auch für moderne „Kistenarch­itektur“oder einen Abriss entscheide­n können; zum Glück taten sie es nicht. Fuggerei und Rathaus sind zwei der beliebtest­en Sehenswürd­igkeiten Augsburgs. Geschichte kommt also an – und irgendwann fragt keiner mehr, was es kostete, sie zu bewahren.

Das Geld würde zunächst für nichts anderes verwendet

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Dieses Stück Stadtmauer dokumentie­rt, wie die Stadtbefes­tigung über Jahrhunder­te hinweg erweitert und umgebaut wurde. Die Stadträte entscheide­n nächste Woche, ob die Funde erhalten werden oder nicht.
Foto: Silvio Wyszengrad Dieses Stück Stadtmauer dokumentie­rt, wie die Stadtbefes­tigung über Jahrhunder­te hinweg erweitert und umgebaut wurde. Die Stadträte entscheide­n nächste Woche, ob die Funde erhalten werden oder nicht.
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