Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie geht die Stadt mit ihrer Geschichte um?
Am Theater wurde ein Teil der historischen Stadtmauer ausgegraben. Archäologen sagen, es sei ein einzigartiges Relikt. Die Politiker dagegen schauen aufs Geld. Was für und was gegen den Erhalt spricht
In Augsburg gibt es einen Verein, der sich dem Erhalt der Stadtmauer verschrieben hat. Auch wenn es zuletzt ruhig um ihn geworden ist: Der Grund, warum sich die Mitglieder vor Jahren zusammentaten, ist noch immer aktuell: Augsburgs historische Stadtbefestigung bröckelt – und für eine Rundumsanierung fehlt das Geld.
Es mag wie Ironie klingen, dass ausgerechnet in einer solchen Situation wieder historische Relikte ausgegraben wurden. Bei Bauarbeiten im Rahmen der Theatersanierung stießen die Archäologen auf mehrere Quadratmeter historischer Mauer. Die Experten hatten zwar damit gerechnet. Dass die Stadtmauer dort aber so lückenlos erhalten sein würde, hatten sie nicht erwartet. So steht die Kommunalpolitik nun vor einer schwierigen Entscheidung: Soll dieser Fund erhalten und für die Bürger sichtbar gemacht werden oder nicht?
Wer auch nur ein bisschen Geschichtsbewusstsein hat, würde diese Frage ohne Zögern mit Ja beantworten. Doch in diesem Fall ist die Sache komplexer: Will man die Vergangenheit bewahren und zum Schaustück machen, kostet das gut vier Millionen Euro – die didaktische Aufbereitung durch eine digitale Präsentation noch nicht eingerechnet. Teuer wird die Sache, weil der Orchesterprobensaal umgeplant werden müsste. Er soll nämlich ausgerechnet dort stehen, wo auch die alte Stadtmauer liegt.
Wenn (viel) Geld ausgegeben werden soll – noch dazu für Kultur oder Geschichte – ruft das schnell Kritiker auf den Plan. Die Theatersanierung war wegen ihrer Kosten von Beginn an umstritten, die Stadtverwaltung hatte Schwierigkeiten, den Bürgern eine Bausumme von über 180 Millionen Euro plausibel zu machen. Nun sollen weitere vier Millionen für ein Stückchen Stadtmauer dazukommen.
Das gescheiterte Bürgerbegehren gegen die Theatersanierung noch im Gedächtnis, tun sich viele Stadträte schwer, für diese zusätzlichen Ausgaben zu stimmen. Sie haben ganz offensichtlich Angst, sie nicht vor den Bürgern rechtfertigen zu können. Doch Angst ist der falsche Ratgeber für eine so weitreichende Entscheidung.
Suchen wir also nach Argumenten. Gegen einen Erhalt der Stadtmauer spricht das Geld: Die Stadt hat mit 421 Millionen Euro so viele Schulden wie lange nicht, und sie wird durch langfristige Projekte wie Theater- und Schulsanierung so schnell nicht davon herunterkommen.
Ein zweiter Punkt ist: Anderswo in Augsburg – in den Wall-Anlagen oder am Lug ins Land – gibt es bereits Stadtmauerreste, die sukzessive instand gesetzt werden. „Anschauungsmaterial“für die Bürger ist also da, auch wenn diese Mauern historisch nicht so wertvoll sind, weil sie jeweils nur eine Phase der Befestigung dokumentieren, während die Reste am Theater von Jahrhunderten zeugen.
Ein dritter Aspekt ist, dass sich die Römerstadt Augsburg seit Jahren mit einem provisorischen Römermuseum begnügen muss, da das Geld für einen Neubau fehlt. Kann man da guten Gewissens fünf Millionen für etwas Mauer am äußersten Stadtzentrum ausgeben?
Das ist eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass es auch Geld kosten wird, die Mauerreste wieder „verschwinden“zu lassen. Die billigste Lösung wäre es, den Fund dem Erdboden gleichzumachen, was einer kompletten Zerstörung der Vergangenheit gleichkäme. So schwer sich die Kommunalpolitiker mit ihrer Entscheidung tun: Diese Lösung favorisiert aktuell kaum einer. Bliebe zweitens, die Mauer zu erhalten, ohne sie öffentlich sichtbar zu machen. Doch dies würde knapp vier Millionen Euro kosten, wäre also nur wenig günstiger als eine angemessene Präsentation.
Worüber man sich ebenfalls im Klaren sein muss: Geld, der jetzt beim Theater bzw. der Mauer eingespart wird, wird zunächst für kein anderes Projekt ausgegeben. Ein Römisches Museum käme also auch dann nicht schneller voran, würde man sich gegen die Stadtbefestigung entscheiden – es sei denn, der Stadtrat würde festlegen, vier Millionen für ein anderes Projekt aufzunehmen. Doch davon ist nicht auszugehen.
Was noch für den Erhalt spricht: Augsburg hat durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg viel historische Bausubstanz verloren. Manch politische Entscheidung trug danach zu einer weiteren Zerstörung bei – auch in jüngerer Zeit. Man denke an den Abriss der Seitenflügel der ehemaligen Schüle’schen Kattunfabrik (heute die Hochschule). Man denke an die abgerissenen Gebäude der HasenBrauerei (nun eine uniforme Neubausiedlung). Man denke an ungezählte geschleifte Industriebauten, die der Stadt einst ihr Gesicht gaben. Es sind solche Entscheidungen, die die Identität einer alten Stadt Stück für Stück ausradieren.
Die Politiker, die nächste Woche über die Zukunft dieses Stückchens Mauer diskutieren, sollten sich der Verantwortung bewusst sein, die sie gegenüber den Nachfahren haben. Nachhaltig zu wirtschaften ist ein Auftrag. Die andere Sache ist: Wird dieMauer überbaut oder zerstört, werden künftige Generationen sie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ein Kompromiss wäre der Erhalt, verbunden mit der Suche nach Geldgebern.
Historische Städte sind nicht nur für ihre Bürger lebenswert, sie locken auch Auswärtige, was in Augsburg glücklickerweise doch mancher Bau beweist: Das Rathaus wurde nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut. Auch die Fugger’schen Stiftungen entschlossen sich damals, die Häuschen der Fuggerei wieder so herzustellen, wie sie ihr Stifter vorgesehen hatte. Sie hätten sich auch für moderne „Kistenarchitektur“oder einen Abriss entscheiden können; zum Glück taten sie es nicht. Fuggerei und Rathaus sind zwei der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Augsburgs. Geschichte kommt also an – und irgendwann fragt keiner mehr, was es kostete, sie zu bewahren.
Das Geld würde zunächst für nichts anderes verwendet