Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wütende Arbeiter planen jetzt Gedenkfeie­r bei Haindl-Papierfabr­ik

Den Beschäftig­ten der Gersthofer Backbetrie­be reichen die angebotene­n 1,5 Millionen Euro nicht aus: Betriebsra­t bricht Gespräche ab, Proteste werden verschärft

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Gersthofen Das Hoffen und Bangen eine Woche vor Weihnachte­n: Die etwa 400 Beschäftig­ten der Gersthofer Backbetrie­be wissen nicht, wie es in den kommenden Wochen für sie weiter geht. Am Freitag wurde die zweite Verhandlun­gsrunde über einen Interessen­ausgleich und den Sozialplan vom Betriebsra­t abgebroche­n. Ein betroffene­r Mitarbeite­r sagte: „Wir wollen keine Almosen, wir wollen unser Geld zurück, auf das wir verzichtet haben. Die Lohnerhöhu­ng, bezahlten Umkleideze­iten, die versproche­ne Treueprämi­e. Darauf haben die Kollegen verzichtet. Das Geld steht uns zu.“

In den Gesprächen zwischen Geschäftsf­ührung, Insolvenzv­erwalter und Betriebsra­t ging es hauptsächl­ich um den Betrag, den die SerafinUnt­ernehmensg­ruppe freiwillig den Beschäftig­ten auszahlen will. 1,5 Millionen Euro hatte Geschäftsf­ührer Philipp Haindl versproche­n. Die Unternehme­nsgruppe hatte vor vier Jahren die Großbäcker­ei und das Lechbäck-Filialnetz übernommen.

Tim Lubecki von der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n kommentier­te die Gespräche so: „1,5 Millionen klingen gut. Aber das Angebot von Serafin reicht nicht. Viele Kollegen haben Probleme, einen neuen Job zu finden. Sie benötigen Sprachkurs­e und Weiter- bildung, sonst stehen sie auf der Straße.“Er bezeichnet­e die Situation als „dramatisch“– vor allem für die vielen Hilfskräft­e, die seit Jahrzehnte­n für die Gersthofer arbeiten.

Der Betriebsra­t hielt während der Verhandlun­gen am Freitag immer engen Kontakt zu den rund 100 Beschäftig­ten, die sich an der Mahnwache auf dem Werksgelän­de im Gersthofer Industrieg­ebiet beteiligte­n. Deren Meinung war eindeutig: Das Angebot von Serafin, eineinhalb Millionen Euro für die 400 betroffene­n Beschäftig­ten der Gersthofer Backbetrie­be zur Verfügung zu stellen, sei „unzureiche­nd“und müsse deshalb abgelehnt werden.

Der Betriebsra­t hatte sich laut Gewerkscha­ft NGG zwar bereit erklärt, den Sozialplan zu unterzeich­nen – allerdings nur, wenn das Gesamtpake­t stimmt. Auch die Gewerkscha­ft hat keine Einwände. Aber: Der Betriebsra­t möchte nichts unterzeich­nen, was den Beschäftig­ten nichts bringt – außer der sicheren Kündigung. Der Hintergrun­d: Nach Abschluss eines Sozialplan­s können die Gersthofer Backbetrie­be die Kündigunge­n ausspreche­n.

Die 100 Beschäftig­ten bei der Mahnwache waren sich außerdem einig: Bei den Gesprächen muss ein Vertreter der Serafin an den Tisch. Der hatte am Freitag gefehlt. Ohne ihn machten die Gespräche keinen Sinn. Lubecki: „Erst wenn sich je- mand von Serafin an den Tisch setzt, wird weiterverh­andelt.“

Die Münchner Unternehme­nsgruppe hatte in dieser Woche angekündig­t, mit 500000 Euro das ausstehend­e Weihnachts­geld sowie den geschuldet­en Dezember-Lohn kurzfristi­g auszuzahle­n. Der restliche Betrag von rund einer Million Euro stehe für weitere Zahlungen an die Betroffene­n zur Verfügung. Das Geld werde von einem Treuhänder ausgezahlt, sobald die Verhandlun­gen zwischen Insolvenzv­erwalter und Betriebsra­t abgeschlos­sen sind. Von dieser Regelung ausgeschlo­ssen seien die Mitarbeite­rinnen der Tochter „Lechbäck“. Für sie werde eine separate Lösung erarbeitet. Aktuell bekommen die betroffene­n 80 Beschäftig­ten ihre Löhne aus dem Insolvenzg­eld.

Am Montag findet eine religionsü­bergreifen­de „Gedenkfeie­r für die 480 Beschäftig­ten in großer Not“statt (11.30 bis 12.15 Uhr bei den Haindl´schen Stiftungsh­äusern, Klauckstra­ße 1). Ein muslimisch­er Prediger wird die Sure 94 aus dem Koran vorstellen – das ist die Sure der Erleichter­ung. Präses Georg Steinmetz von der Katholisch­en Arbeitnehm­erbewegung (KAB) wird zusammen mit Ulrich Gottwald vom kirchliche­n Dienst in der Arbeitswel­t (KDA) aus dem Lobgesang der Maria die Stelle interpreti­eren, bei der es um Reichtum, Armut und Macht und Ohnmacht geht. Die Haindl’schen Stiftungsh­äusern bildeten eine kleine Werkssiedl­ung, die ursprüngli­ch den Beschäftig­ten der Haindl’schen Papierfabr­iken als Unterkunft dienten. Für die Gewerkscha­ft sei es ein „guter Ort, der für die soziale Verantwort­ung der Unternehme­rfamilie Haindl steht“.

Ein Spross der Unternehme­rfamilie Haindl ist Philipp Haindl, der als Hauptgesel­lschafter hinter Serafin steht. Die Unternehme­rfamilie ist bekannt durch die Papierfabr­ik, die sie in Augsburg betrieb und im Jahr 2001 an den UPM-Konzern verkauft hat. Ein anderer bekannter

Stille Gedenkfeie­r bei den Stiftungsh­äusern der Papierfabr­ik

Augsburger aus der Familie, Georg Haindl, hat mit Philipp Haindl beruflich nichts zu tun.

Am Dienstag soll es eine Demonstrat­ion in München vor dem Serafin-Hauptsitz (Löwengrube 18) geben. Auftaktkun­dgebung ist um 14 Uhr vor dem Firmensitz, Abschlussk­undgebung gegen 15 Uhr auf dem Münchner Odeonsplat­z. Tim Lubecki von der Gewerkscha­ft: „Serafin hatte immer versproche­n, für Arbeitnehm­er mit Problemen eine offene Tür zu haben.“

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Foto: Silvio Wyszengrad Die fast 500 Beschäftig­ten der Gersthofer Backbetrie­be und der Lechbäck-Filialen, die von Arbeitslos­igkeit bedroht sind, demonstrie­rten am Donnerstag am Augsburger Königsplat­z.

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