Augsburger Allgemeine (Land Nord)
„Wir sind krank an Information“
Vor kurzem wurde er 65. Jetzt spielt der große John Malkovich mal wieder großes Drama – und sagt, was heute die Gesellschaften zerstört
Filme wie „Bird Box“, in dem eine unbekannte Kraft Menschen weltweit in den Selbstmord treibt, sind häufig eine Metapher für aktuelle soziale und politische Probleme. Inwiefern sehen Sie den Film unter diesem Aspekt?
Es sind Fragen wie: Was ist eine Gemeinschaft? Breitet sich unsere Gesellschaft aus oder zieht sie sich vielmehr zurück? Und wie können wir verhindern, dass sie auseinanderbricht? Diese Ungewissheiten treiben derzeit Menschen überall auf der Welt um. Vor allem aber in der westlichen Welt, z.B. Amerika, Kanada, Zentralamerika, Mexiko, Deutschland, Skandinavien, Spanien, Frankreich. Und fast jede Nation würde unterschiedlich auf diese Fragen antworten, vor allem aufgrund der eigenen Kultur. Außerdem wird sich die Reaktion eines Landes von vor zwei Jahren deutlich von der heutigen unterscheiden. Ein Teil des Films zeigt exemplarisch die Reise einer Gemeinschaft. Nur wenige Menschen überstehen diese Reise, um ihre Gesellschaft neu zu entdecken.
Das Ensemble im Film muss auch entscheiden, wem die rettende Tür geöffnet wird und wem nicht …
Ja. Manche Menschen heißen Außenstehende willkommen, andere nicht. Manchmal stellen sich diese Instinkte als begründet heraus, aber manchmal tun sie es nicht. Das ist sehr interessant. Ich denke, dass man momentan selbst den Personen nicht traut, die der eigenen Gemeinschaft angehören. Wer offen eine Meinung vertritt, wird von seinen Mitmenschen gehasst, die das Gegenteil denken. Dann ist das Ganze schon keine Gemeinschaft mehr. Die Gesellschaft löst sich auf.
Was ist nach Ihrer Meinung die wahre, zerstörerische Kraft unserer Zeit?
Information. Ich sehe die Welt so: Ich sitze in meinem Haus. Jemand klopft an die Tür und bittet mich, eine Petition zu unterschreiben. Er sagt, dass alle diese Bäume in meiner Umgebung krank sind und wir etwas dagegen unternehmen müssen. Eine Seite wird sagen, die Bäume werden es überstehen. Wir besprühen sie einfach mit etwas Organischem, Nachhaltigem und möglichst Glutenfreiem und dann leben sie ewig. Die andere Seite sagt, man muss sie abholzen und verbrennen, weil sich die Krankheit sonst verbreitet… Vor einigen Jahren gab es da einen sehr schönen Roman. Ich habe darüber nachgedacht, ihn zu verfilmen. Er wurde von Ted Mooney geschrieben und heißt „Easy Travel to other Planets“. Ein Thema, das im Buch behandelt wurde, hieß „Informationskrankheit“. Wir bekommen täglich neue „wissenschaftliche“Informationen. Erst heißt es, Schokolade ist gut für dich. Dann ist sie wieder schlecht. Ich warte nur auf eine Studie, die behauptet, man müsse dauerhaft betrunken sein und mindestens drei Packungen ungefilterte Zigaretten am Tag rauchen, damit man alt wird. Ich bin mir absolut sicher, dass das kommen wird.
Welchen Fragen müssen wir uns stellen?
Es wird behauptet: Diese Person ist böse, diese ist korrupt, diese ist schrecklich, diese ist ein Genie, diese wird die Welt retten. Und so weiter. Es ist schwierig zu sagen, was davon stimmt – falls überhaupt etwas stimmt. Die Frage, die sich mir dann immer stellt und die ich die Medien nur allzu gern fragen würde, ist: Warum erzählt ihr mir das? Für mich die wichtigste Frage überhaupt. Und wisst ihr überhaupt wirklich etwas darüber? Wie ist es eigentlich um die Qualität der Informationen bestellt, auf denen wir unsere Entscheidungen begründen? In den 60ern, 70ern und 80ern hatte ich das Gefühl, ich könnte glauben, was man mir erzählt. Rückblickend war das schon nicht der Fall. Manche Dinge waren vielleicht wahr, aber ich weiß nicht wie viele. Und glauben Sie mir: Ich bin weit davon entfernt, paranoid zu sein. Aber heute: Kann ich da einer Hotelbewertung im Internet vertrauen? Hat die Person überhaupt Zeit in diesem Haus verbracht? Oder wurde die Bewertung vom Hotelbesitzer verfasst oder von einer dafür bezahlten Person? Als ich jung war, standen solche Bewertungen in der Zeitung. Und warum sollte man denken, dass sie nicht der Wahrheit entsprachen? Wenn es in der New York Times oder dem Wall Street Journal stand, dann dachte man sich: Okay, das klingt gut. Oder auch schlecht. Aber wie kann man das heute noch wissen? Das ist eine Art Informationskrankheit.
Blicken Sie optimistisch in die Zukunft?
Nein. Aber auch nicht pessimistisch. Mit anderen Worten: Ich weiß es nicht. Werden die Menschen lernen, Technologien so einzusetzen, dass sie den Menschen helfen? Womöglich. Denke ich, dass sie das bis zur heutigen Zeit getan haben? Ja, teilweise. Aber die Geschichte lehrt uns, dass Menschen zu allem fähig sind. Und sie sind auch in der Lage, all ihre Fehler wieder und wieder zu wiederholen. Da ist es natürlich schwierig, zum internationalen Klub der Optimisten zu gehören. Die Geschichte hat für uns ein paar unschöne Überraschungen bereitgehalten. Nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Ländern. Das Leben vieler Menschen wurde durch alle möglichen Neuerungen elendig. Ist auch etwas besser geworden? Ich denke durchaus, dass sich vieles verbessert hat. Aber glaube ich auch, dass es wieder schlimmer werden könnte? Oh ja, ohne jeden Zweifel.
Interview: André Wesche