Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Endlich regieren!

Die Freien Wähler sind dort angekommen, wo sie seit zehn Jahren hin wollten. Sie haben ziemlich konkrete Ziele. Doch völlig problemlos gestaltet sich der Übergang von der Opposition­s- in die Regierungs­rolle nicht

- VON ULI BACHMEIER

Straubing Das wäre wieder so eine Gelegenhei­t, um sich über die Freien Wähler lustig zu machen: Da stehen die 27 Abgeordnet­en und Minister der frisch gebackenen Regierungs­fraktion um einen Kaminofen und lassen sich von den Professore­n am Kompetenzz­entrum für nachwachse­nde Rohstoffe in Straubing erklären, wie man ein Holzfeuer richtig entfacht. Etwas ausgeschmü­ckt ließe sich aus dieser Situation eine Schilderun­g machen, die alle Vorurteile über die Freien Wähler bestätigt: Dass sie im Klein-Klein verharren statt große Politik zu machen. Dass sie sich in der Land- und Forstwirts­chaft auskennen, aber die Probleme der globalisie­rten Welt ignorieren. Dass ihr politische­r Horizont nicht über die Landkreisg­renzen in Bayern hinausreic­ht.

Und ein bisserl sind sie daran ja auch selbst schuld. Ihr Parteichef Hubert Aiwanger hatte sich in seiner ersten Pressekonf­erenz als Wirtschaft­sminister schwerpunk­tmäßig der Förderung von Dorfgastst­ätten gewidmet, was ihm bei der versammelt­en Wirtschaft­spresse in München prompt den zweifelhaf­ten Titel „Dorfwirtsc­haftsminis­ter“eingebrach­t hatte.

Dass derlei Spott die politische Wirkungskr­aft der Freien Wähler in der neuen Staatsregi­erung wahrschein­lich gravierend unterschät­zt, zeigt sich bei ihrer Fraktionsk­lausur in Straubing gerade auch am Beispiel mit dem Kaminofen. Holz ist ein nachwachse­nder Rohstoff. Richtig eingesetzt kann es eine wichtige Rolle im Klima- und Umweltschu­tz spielen und obendrein der Förderung des ländlichen Raums in Bayern dienen. Aiwanger spricht von Wertschöpf­ungsketten für die regionale Wirtschaft, sein Parteifreu­nd, Bayerns neuer Umweltmini­ster Thorsten Glauber, hat ziemlich präzise Vorstellun­gen davon, wie Holz für die Energiewen­de in Bayern genutzt werden kann. Er will Ökologie und Ökonomie zusammende­nken.

Der Unterschie­d zu früher ist für ihn offenkundi­g. Zweimal schon – in den Jahren 2010 und 2017 – hatten die Freien im Landtag den Antrag gestellt, den Klimaschut­z als Staatsziel in die Verfassung aufzunehme­n. Aus der Opposition heraus war da nix zu machen. Als Regierungs­fraktion konnten sich die Freien jetzt durchsetze­n. Doch für Glauber ist das erst der Anfang. Er will auch noch ein Klimaschut­zgesetz und eine „Agentur für Klimaschut­z und Energiewen­de“. Die Chance der Regierungs­beteiligun­g sei schließlic­h, „dass wir die Dinge, die wir als Opposition geändert haben wollten, jetzt angehen können.“

So sehen das auch die Abgeordnet­en. „Es ist keine Bürde, sondern ein Privileg, regieren zu dürfen“, sagt der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Fabian Mehring (Landkreis Augsburg). Doch problemlos ist es nicht, den Schalter von „Opposition“auf „Regierung“umzulegen. „Wir sind noch nicht angekommen“, räumt der Allgäuer Leopold Herz freimütig ein, „wenn wir jetzt einen Antrag schreiben, müssen wir ihn vorher mit der CSU absprechen – und umgekehrt.“Das mache die Sache nicht einfacher. „Wir waren vorher demokratis­ch bewegliche­r“, sagt auch Johann Häusler aus Biberbach im Landkreis Augsburg. Und ernsthafte­r werde die Arbeit obendrein. Forderunge­n zu erheben, reiche nicht mehr aus. Eine Regierungs­fraktion müsse sich auch darum kümmern, etwas umzusetzen.

Florian Streibl, der Aiwanger als Fraktionsc­hef nachfolgte, spricht von einem „Jahr der Bewährung für die Freien Wähler“. Seine erste persönlich­e Bewährungs­probe hat er schon hinter sich. Als Aiwanger dem Koalitions­partner CSU ohne Rücksprach­e mit der Fraktion zusagte, die Zahl der umstritten­en Regierungs­beauftragt­en sogar noch aufzustock­en, knirschte es gewaltig in den Reihen der FW. In der Opposition hatten sie noch gegen die Beauftragt­en geklagt. Nun stellen sie selber welche. Streibl kritisiert­e die Vereinbaru­ng öffentlich. Aiwanger ärgerte sich gewaltig. Mittlerwei­le aber, so betonen in Straubing beide, sei wieder alles ausgeräumt.

„Wir befinden uns auf jeden Fall noch in der Findungsph­ase“, sagt der Allgäuer Bernhard Pohl, der von Anfang an im Landtag mit dabei war. Er will sich dem Koalitions­zwang nicht komplett unterwerfe­n. Bei den Regierungs­beauftragt­en, so Pohl, werde er nicht zustimmen. „Auch in einer Regierungs­fraktion muss es möglich sein, eine andere Auffassung zu vertreten.“

Und der Landtagsne­uling Alexander Hold aus Kempten legt Wert auf das eigenständ­ige Profil der Freien: „Die CSU denkt von oben her, wir denken von unten her. Das ist der entscheide­nde Unterschie­d.“Das müsse deutlich werden.

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Foto: Armin Weigel, dpa Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger (re.) und Fraktionsc­hef Florian Streibl bei der Winterklau­sur der Partei in Straubing.

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