Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Ich wäre für die Grundsiche­rung“

Schauspiel­er Jan Josef Liefers über Gerechtigk­eit, Radltouren als junger Mann an der US-Westküste und warum er in der DDR fast aus der Schauspiel­schule geflogen wäre

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Herr Liefers, heute sind Sie in dem Thriller „Das Totengebet“als Berliner Rechtsanwa­lt Joachim Vernau zu sehen. Der hat ja in Boston studiert. Wären Sie auch gerne im Ausland zur Uni gegangen?

Liefers: Oh ja, damals sofort. Ich bin in der DDR groß geworden, in Dresden. Meine Schule war die 10. Polytechni­sche Oberschule. Wenn damals einer gekommen wäre und gefragt hätte: Sag mal Jan Josef, hast du Lust auf ein Auslandsja­hr in Amerika? Wie wäre es mit Boston? Ich hätte sofort zugesagt!

Welches Verhältnis haben Sie privat zu den USA?

Liefers: Als die Mauer damals fiel, war meine erste Amtshandlu­ng, mit meinem besten Freund und unseren zwei Fahrrädern nach Vancouver zu fliegen und von dort über Seattle bis nach Los Angeles zu radeln. Ich habe mir also die Vereinigte­n Staaten, zumindest die Westküste, sozusagen erstrampel­t.

Noch einmal zu Ihnen privat. Sie spielen im aktuellen Film ja einen Rechtsanwa­lt, aber Sie haben, so heißt es, auch privat einen großen Gerechtigk­eitssinn. Woher kommt der?

Liefers: Das stammt aus meiner Kindheit, auch aus der Art, wie meine Familie mit mir umgegangen ist.

Wie gerecht ist unsere heutige Gesellscha­ft in Deutschlan­d?

Liefers: Das ist eine interessan­te Frage für jemanden, der aus der DDR stammt, die vor allem fair und gerecht sein wollte. Aber diesem Anspruch nicht standgehal­ten hat.

Und der Westen?

Liefers: Der hält dem auch nicht stand. Ich finde unsere Gesellscha­ft zunehmend ungerecht und wenig fair. Mir ist klar, dass selbst bei vorhandene­r Chancengle­ichheit nicht jeder dasselbe daraus machen würde. Meine Vorstellun­g von Gerechtigk­eit lässt sich besser mit dem Begriff Fairness beschriebe­n. Fair fände ich, wenn es für die weniger Erfolgreic­hen nicht bergab geht, während es zugleich für die Erfolgreic­heren steil bergauf geht. Die Proportion­en dürfen sich nicht umkehren – in dem Sinne, dass es einigen immer besser geht, während es andere immer schlechter haben.

Wenn Sie Bundeskanz­ler wären und die Richtlinie­n der Politik vorgeben könnten: Was müsste sich ändern? Liefers: Dann wäre mein Projekt das bedingungs­lose Grundeinko­mmen.

Warum gerade das Grundeinko­mmen?

Liefers: Es wäre ein großer Akt der Befreiung für die Gesellscha­ft und den Einzelnen. Jeder Mensch hätte eine Basisabsic­herung, sagen wir 1500 Euro im Monat. Auf Basis dieser gleichen Möglichkei­ten kann nun jeder frei entscheide­n, wohin

bedingungs­lose Reise für ihn gehen soll. Leistungss­portler? Biobauer? Dienstleis­ter? Handwerker? Und wer keinen Job findet, ist deshalb kein aus dem Leistungst­räger-System herausgefa­llener Almosenemp­fänger, sondern er bleibt respektier­ter Teil der Gemeinscha­ft. Ich würde Menschen mit einem Grundeinko­mmen ausstatten und dafür Hartz IV und den anderen Kram weglassen.

Zu DDR-Zeiten hatten Sie es nicht immer leicht. Ich habe nachgelese­n, Sie wären einmal fast von der Schauspiel­schule geflogen, noch zu DDR-Zeiten. Was war da los?

Liefers: Ich war auf einer Veranstalt­ung, die mit der FDJ zu tun hatte. Dort musste man sitzen und sich unglaublic­h lange und hohle Reden anhören, Rechenscha­ftsbericht­e, furchtbar langweilig. Ich hatte dann einen Zettel ans Präsidium geschriebe­n. Darauf stand, wer ich bin, woher ich komme und dass ich die Veranstalt­ung furchtbar finde und jetzt lieber nach Hause gehen und ein gutes Buch lesen werde. Und wenn es dazu Fragen gäbe, wäre ich gerne bereit, die bei Gelegenhei­t zu beantworte­n.

Mutig, mutig.

Liefers: Eher frech. Im Präsidium saß ein ganz wichtiges ZK-Mitglied. Dieser Mann ist aus allen Wolken gefallen. Der hat dann den Rektor der Schauspiel­schule zu sich zitiert und ihm die Hölle heißgemach­t. Ich solle umgehend aus der Schauspiel­schule entfernt werden. Dann muss- te ich trotz beginnende­r Ferien zurück in die menschenle­ere Schauspiel­schule und wurde dort zusammenge­faltet. Der Höhepunkt dieser Szene war, dass mir der Rektor ein weißes Blatt Papier und einen Stift vor die Nase knallte. Mit den Worten, er hoffe, ich wisse, was ich jetzt zu tun habe. Dann hat er den Raum verlassen.

Und Sie?

Liefers: Ich dachte an alte Filme, in denen Offizieren nach Ehrverlust eine Waffe vorgelegt wurde, um sich zu damit erschießen. Aber Papier und Stift? Ich wusste nicht, was von mir erwartet wurde. Dann kam der Rektor wieder zurück, sah den weißen Zettel und sagte, das sei ja typisch und wie enttäusche­nd ich wieder sei. Selbstvers­tändlich habe er erwartet, dass ich um meine Exmatrikul­ation bitte.

Haben Sie dann um die Exmatrikul­ation gebeten?

Liefers: Nein, ich habe geantworte­t: Wenn Sie mich rausschmei­ßen wollen, dann müssen Sie das schon selber machen. Und dann gab es einen dieser DDR-Momente. Seine Stimmung kippte komplett ins Gegenteil. Und er sagte, meine Antwort habe ihm jetzt aber wiederum gefallen, und ich könne gehen. Damit meinte er: bleiben.

Was hätten Sie gemacht, wenn Sie geflogen wären. Tischler? Dazu hatten Sie ja eine entspreche­nde Lehre? Liefers: Dann wäre ich wahrschein­die lich nach Augsburg gekommen, hätte für die Puppenkist­e die Kulissen gebaut. Oder so etwas in der Art.

So aber kam alles anders und Sie kamen zum „Tatort“. Sie übernehmen aber neben dem „Tatort“gerne andere Rollen, damit Sie nicht auf Professor Boerne festgelegt sind, oder?

Liefers: Das kann ich so unterschre­iben. Vor allem, weil ich mir meinen Beruf immer sehr vielseitig vorgestell­t habe. Lieber jeden Tag zehn verschiede­ne Rollen – als zehn Jahre lang immer dieselbe.

Irgendwie sieht man in Ihnen als „Tatort“-Zuschauer anfangs immer den Boerne. Trotzdem gelingt es Ihnen, sich in den anderen Rollen davon zu emanzipier­en. Haben Sie eine spezielle Technik?

Liefers: Ach, ich mag nicht so viel über Technik oder Tricks reden. Als damals im Raum stand, eine Hauptrolle im „Tatort“zu übernehmen, habe ich mir den Boerne genauso ausgedacht: mit Bart, mit Anzug, der Brille, dieser affektiert­en Art zu sprechen und so weiter. Es sollte eine sehr charakteri­stische Figur werden, die man auf gar keinen Fall mit einer anderen verwechsel­n kann. Dass so viele Menschen den Tatort Münster sehen wollen, war nicht zu ahnen. Aber alles ist möglich. Und deshalb dachte ich, ich stelle den Boerne so glasklar hin, dass er bereits von außen betrachtet nicht zu verwechsel­n ist mit jemand anderem. Interview: Josef Karg

 ?? Foto: Harald Tittel, dpa ?? Schauspiel­er Jan Josef Liefers macht auch als Rockmusike­r eine gute Figur. Seit 2006 ist der 54-Jährige mit seiner Band Radio Doria regelmäßig auf Tournee.
Foto: Harald Tittel, dpa Schauspiel­er Jan Josef Liefers macht auch als Rockmusike­r eine gute Figur. Seit 2006 ist der 54-Jährige mit seiner Band Radio Doria regelmäßig auf Tournee.

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