Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Völlig verharzte Debatte
Die Sozialdemokraten bekommen für ihre Idee einer Grundrente schon wieder auf den Deckel. Sie lassen zu, dass der Streit andere Vorschläge der Partei völlig überdeckt
Berlin Für die SPD zählen mittlerweile schon die kleinen Erfolge. 19 Prozent Zustimmung für die Sozialdemokraten vermeldete das EmnidMeinungsforschungsinstitut am Wochenende. In guten Zeiten hätte sich die Partei für solch einen Wert geschämt. Doch gut läuft es für die SPD schon lange nicht mehr, und so wurde die Umfrage gefeiert. Vor allem, weil sie einen Vier-PunkteVorsprung auf die Grünen errechnete. Blöd nur, dass zeitgleich eine Forsa-Umfrage erschien, die 17 Prozent für die SPD und 21 Prozent für die Grünen prognostizierte.
Es scheint gerade das ewige Dilemma der SPD zu sein: Von irgendwoher tut sich ein Hoffnungsschimmer auf – und selbst der wird sofort wieder verdunkelt. So wie der Vorschlag von Arbeitsminister Hubertus Heil zur Schaffung einer Grundrente. Heil will Menschen, die viel gearbeitet haben, damit ein auskömmliches Leben im Alter ermöglichen. Sie sollen Geld vom Staat bekommen, ohne dass sich der Rentenbezieher vorher vor irgendwelchen Behörden komplett entblößen muss. Bedürftigkeitsprüfung nennt sich das, Heil will ohne sie auskommen, die Union will das nicht, und übers Wochenende machten auch die Arbeitgeber Heil einen dicken Strich durch seine „Respekt-Rente“. „Die Koalition sollte Abstand von einer Grundrente nehmen, wenn die Bedürftigkeit gar nicht geprüft werden soll“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer der Funke-Mediengruppe. Ohne Bedürftigkeitsprüfung sei keine Gerechtigkeit bei der Grundrente möglich.
Heil konterte nur halbherzig. Er habe Kramers Anmerkungen „zur Kenntnis genommen“, twitterte der SPD-Politiker. Heil forderte die Arbeitgeber noch auf, durch mehr Tarifbindung für bessere Löhne und damit für gute Renten zu sorgen. Doch ein scharfer Gegenangriff sieht anders aus, und auch das scheint der SPD in diesen Tagen anzuhaften: Der mangelnde Mut, einmal getroffene Entscheidungen zu verteidigen. Seit Tagen ducken sich die Sozialdemokraten vor der Kritik weg, ihre Pläne zum Umbau des Sozialstaats seien ein Verrat an der Agenda 2010. Wenn entsprechende Stimmen aus der Union oder Wirtschaftsverbänden kommen, ziehen SPD-Politiker den Kopf ein und ergeben sich.
Vergessen scheint, dass die Agenda 2010 bei ihrer Einführung heftig umstritten war. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder musste das scharfe Schwert der Rücktrittsdrohung ziehen, um seine Reformpläne durchzubekommen. Die heutige Parteivorsitzende Andrea Nahles votierte damals gegen die Schröder-Pläne, der amtierende Außenminister Heiko Maas enthielt sich. Die Gewerkschaften machten 2003 massiv gegen die Agenda 2010 mobil, der damalige DGB-Vorsitzende Michael Sommer warf Schröder Wortbruch vor. Und die Union, die heute so sehr für die Agenda 2010 ist und ständig ihre Errungenschaften lobt, blockierte 2003 lange Zeit wichtige Teile der Agenda im Bundesrat.
Die Debatte über die Grundrente verdeckt zudem den Blick auf das Reformpaket, das die SPD gerade vorgestellt hat und mit dem sie nichts weniger als einen „neuen Sozialstaat für eine neue Zeit“schaffen will. Kernforderungen wie die nach einer perspektivischen Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro werden allerdings kaum diskutiert. Auch die SPD-Idee Kindergrundsicherung geht im Streit über die Grundrente völlig unter. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist etwa jedes sechste Kind in Deutschland von Armut betroffenen. Gleichzeitig weisen die Statistiker nach, dass Gesundheit und Bildung der Kinder vom Wohlstand der Eltern abhängig sind. Die SPD will auf diesen Zustand mit einer Kindergrundsicherung antworten, die ganzheitlich ansetzen und sich deswegen aus dem Existenzminimum und dem Entwicklungsbedarf eines Kindes zusammensetzen soll.
Die SPD traut sich sogar, den ideologisch aufgeladenen Begriff der „Sozialpartnerschaft in Deutschland“ins Programm zu heben und auf eine „Revitalisierung“derselben zu drängen. Die Partei geht damit offensiv auf die Gewerkschaften zu, die in früheren Zeiten bekanntlich Wahlaussagen zugunsten der SPD machten, seit einigen Jahren darauf aber verzichten. Das mutet revolutionär an, wird von den Sozialdemokraten aber nicht so verkauft.
Ob und wann die SPD sich aus der völlig verharzten Debatte befreien kann, ist derzeit nicht absehbar. Am Montag berät die Parteispitze über ihr Europawahlprogramm, anschließend wollen Spitzenkandidatin Katarina Barley und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil vor die Presse treten.
Es könnte der Auftakt einer SPDReformoffensive sein, die der Partei am Ende womöglich mindestens wieder eine stabile „20 plus x“in ihren Umfragewerten beschert. Wenn die Partei den nötigen Mut aufbringt.
Die Kindergrundsicherung geht im Streit unter