Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Deutschland fühlt sich stärker, als es ist
Im vergangenen Jahr ist die Wirtschaft noch einmal an einer Rezession vorbeigeschrammt. In diesem Jahr drückt Unsicherheit auf die Stimmung
Auch wenn es in Deutschland wirtschaftlich seit Mitte 2018 spürbar bergab geht, ist das Land doch weit entfernt von wirklich schmerzhaften Zeiten. Um die konjunkturelle Gegenwart zu verstehen, hilft ein Blick zurück in das Jahr des Schreckens, nämlich 2009: Damals stand als Folge der weltweiten Finanzmarktkrise ein heftiges Minus von 5,6 Prozent zu Buche. Deutschland befand sich im Rezessions-Würgegriff.
Im Krisenjahr machte sich Galgenhumor breit. So wurde der Insolvenzverwalter des Spielzeugeisenbahn-Herstellers Märklin, Michael Pluta, mit dem Satz zitiert: „Wir hoffen, dass die Leute mehr Zeit haben, um in den Keller zu gehen und mit ihrer Eisenbahn zu spielen, wenn sie im Beruf nicht mehr so viel zu tun haben.“Doch es gab auch Männer wie Karl-Theodor zu Guttenberg, der zu der Zeit Bundeswirtschaftsminister war und knallig zu Recht vor zu viel Konjunktur-Pessimismus warnte: „Wer sich mit Kassandra ins Bett legt, der wird zumindest über den Mundgeruch am nächsten Tag erstaunt sein.“Kassandra verdanken wir der griechischen Mythologie. Sie sagt schlimme Dinge voraus, ohne dabei allzu ernst genommen zu werden.
So ergeht es derzeit leider vielen Konjunkturforschern mit ihren Kassandra-Rufen. Denn dass sich das Wachstum in diesem Jahr abschwächen wird, also wohl von zuletzt 1,4 auf magere 0,8 bis 1,1 Prozent zurückgeht, scheint Bürger kaum in ihrem Konsumverhalten zu beeinflussen. Das ist ein interessantes, menschlich nachvollziehbares und doch gefährliches Phänomen. Denn die meisten Verbraucher merken in ihrem Alltag nichts von Krise: Sie erfreuen sich aus ihrer Sicht sicherer Jobs. Der Mangel an Fachkräften bestärkt sie nur noch in ihrem Selbstbewusstsein.
Hinzu kommen satte Steuereinnahmen. Summiert sich der Überschuss von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialkassen nicht auf die Bestmarke von 58 Milliarden Euro? Wo soll sich da katzengleich eine Krise anschleichen? Und rühmen sich nicht Handwerker langer Wartelisten wie etwa Hautärzte?
Bürger kaufen also weiter munter ein, nehmen angesichts niedriger Micky-Maus-Zinsen freudig Kredite für Autos und Immobilien auf. Konsumenten wirken daher letztlich zuversichtlicher als Ökonomen wie Ifo-Chef Clemens Fuest, der glaubt, „dass es schon ein bisschen rumpelt“. Das positive Bauchgefühl der Verbraucher steht den durch Konjunkturumfragen unter Unternehmern erzielten rückläufigen Zahlen gegenüber. Emotion und Messergebnisse passen nicht zusammen. Das lässt sich leicht erklären: Bürger beurteilen die Lage nach ihren überwiegend noch positiven Erfahrungen in der Gegenwart. Die Wirtschaftsforscher blicken hingegen in die Zukunft, erfragen sie von Unternehmern doch, wie sie ihre Geschäftserwartungen einschätzen. Diese trüben sich jedoch zunehmend ein. Trotz der gefühlten Sicherheit der Verbraucher ist der Abschwung schon Realität. Kommt es zum harten Brexit und dreht Trump zollmäßig durch, könnte die Lage brenzlig werden. Noch liegt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Rezession bevorsteht, aber bei lediglich 24 Prozent, wie die Commerzbank errechnet hat. Dabei ging im deutschen Arbeitsplatz- und Konsumhochgefühl fast unter, dass wir im zweiten Halbjahr 2018 knapp an einer, wenn auch kurzen und milden Rezession vorbeigeschrammt sind.
Die Stimmung ist also besser als die nur passable Lage. Böse Überraschungen sind nicht auszuschließen. Dann kann sich das Leben auf Pump – mit fremdfinanziertem SUV und Haus – als Falle erweisen. In der Autoindustrie kriselt es bereits, ob bei Audi oder Zulieferern wie Osram und Kuka. Die fetten Jahre sind hier längst Vergangenheit.
In der Autoindustrie kriselt es schon längst