Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Augsburger Ermittler stürzen Bordellkönig
Der bundesweit bekannte Bordellchef Jürgen Rudloff, 65, soll an diesem Mittwoch zu rund fünf Jahren Haft verurteilt werden. Der Prozess legte auch offen, wie die Prostituierten litten. Der erste Verdacht kam in Augsburg auf
Er hat bis zuletzt die Form gewahrt. Obwohl er jetzt seit über einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Jürgen Rudloff, ein aus Fernseh-Talkshows bekannter Bordellboss, trug auch als Angeklagter stets Anzug und Hemd. An vielen der rund 50 Prozesstage schien es so, als wolle er die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, weglächeln. So, wie er es getan hat, als er noch in Freiheit war. Rudloff, 65, war der Chef des Großbordells „Paradise“in LeinfeldenEchterdingen bei Stuttgart. Sein Bordell pries er als edlen VorzeigeKlub an. Menschenhandel, Zuhälterei, ausgebeutete Frauen? Damit wollte Rudloff nichts zu tun haben.
Vermutlich wird der 65-Jährige auch an diesem Mittwoch wieder in der Kleidung eines smarten Geschäftsmanns vor Gericht auftreten. Doch es dürfte ein schwarzer Tag werden für ihn. Er muss damit rechnen, dass er zu einer Haftstrafe von rund fünf Jahren verurteilt wird – unter anderem wegen der Beihilfe zum Menschenhandel in zahlreichen Fällen. Es ist ein Prozess, der bundesweit Beachtung findet. Neben Rudloff steht auch noch dessen ehemaliger Marketing-Chef Michael B. vor Gericht. Auch er erlangte gewisse Prominenz, weil er im Privatfernsehen als „Puff-Tester“auftrat und vor den Kameras Bordelle inspizierte. Was weniger bekannt ist: Es waren Ermittler der Augsburger Kriminalpolizei, die den tiefen Fall des Bordellkönigs eingeleitet haben. Ihre Ermittlungen begründeten den Verdacht, dass das Stuttgarter „Paradise“für Prostituierte wohl eher eine Hölle sein könnte.
Als im Frühjahr 2013 das Bordell „FKK Cleopatra“im Augsburger Stadtteil Lechhausen öffnete, gab es im Rotlichtmilieu schnell Gerüchte, die „Hells Angels“würden hinter dem neuen Etablissement stecken. Immer wieder kontrollierte die Kripo das Haus. Allerdings gibt es zunächst keine brauchbaren Hinweise. Das änderte sich, als der damalige Chef des Augsburger „FKK-Klubs“in Verdacht geriet, zu einer Bande von Hehlern zu gehören. Die Polizei überwachte deshalb Telefone – und bekam so auch mit, wie Frauen von einem Bordell ins andere verschoben wurden. In den Telefonaten tauschten sich die Beteiligten auch darüber aus, dass es nicht genug an attraktiven Frauen für das Augsburger Bordell gebe. Ein rumänischer Menschenhändler soll geholfen haben, das Problem zu lösen. Er verfrachtete mehrere junge Frauen nach Augsburg und auch nach Stuttgart. Der Menschenhändler soll zeitweise im Stuttgarter „Paradise“sogar ein eigenes Zimmer gehabt haben, in dem er übernachten konnte. Es gibt auch weitere Überschneidungen zwischen dem Milieu in Augsburg und Stuttgart. Der Name eines mutmaßlichen Hintermannes des Lechhauser „Cleopatra“ist auch in Stuttgart bekannt. Er war Geschäftsführer der „Paradise“-Betreibergesellschaft. Das Ver- fahren wurde schließlich von den Augsburger Behörden nach Stuttgart abgegeben.
Über Monate hinweg ermittelte die Polizei verdeckt. Am Abend des 30. November 2014 schlugen die Ermittler dann zu. Fast 1000 Beamte durchsuchten die „Paradise“-Bordelle in Leinfelden-Echterdingen, Saarbrücken, Graz und Frankfurt sowie Privatwohnungen von Beschäftigen und Investoren. Im Jahr 2017 folgten Anklagen gegen Rudloff und mehrere Geschäftspartner. Im November des selben Jahres kam der Bordellboss in Untersuchungshaft. Es dauerte rund 50 Prozesstage, bis Rudloff Anfang FeNachschub bruar ein Geständnis ablegte. Dass er selbst Prostituierte misshandelt oder ausgebeutet hat, wirft ihm auch die Anklage nicht vor. Sehr wohl aber, dass er solche Zustände in Kauf genommen habe. Das räumt Rudloff, der unter anderem von dem Augsburger Rechtsanwalt Stefan Mittelbach verteidigt wird, ein.
Rudloff sagt, er habe das Rotlichtgewerbe zum Positiven wenden wollen. Mit Frauen, die selbstständig in der edlen Umgebung eines Wellness-Tempels arbeiten. Doch er sei an der Realität gescheitert. Der Nachschub an Frauen wurde zum Problem. Und als Problemlöser boten sich jene Figuren an, die seit jeher im Milieu das Sagen haben. Menschenhändler und Zuhälter, in vielen Fällen aus den Reihen von Rockergruppen wie den „Hells Angels“oder „United Tribuns“. Rudloff, der selbst seit vielen Jahren gute Kontakte zu Rockern pflegt, sagt, er habe die Augen vor der Härte dieser Männer verschlossen.
Ob man das so glauben darf? Für die Ermittler, auch in Augsburg, ist das Geständnis trotz einiger Zweifel, die sie haben, ein wichtiger Erfolg. Der Bordellkönig bestätigt, was sie seit Jahren sehen, aber oft nicht belegen können. Dass es „saubere Bordelle“nicht gibt, weil der Nachschub an Frauen gewährleistet sein muss. Und dass der Nachschub nur funktioniert, wenn man auf bestehende Strukturen des Milieus baut. Im Prozess wurden die Aussagen von Frauen verlesen, die als Prostituierte im „Paradise“arbeiteten. Sie berichteten von Druck, Drohungen,
Sie mussten sich die Namen der Zuhälter eintätowieren
Schlägen – und davon, dass sie sich die Namen ihrer Zuhälter auf ihre Haut tätowieren lassen mussten.
Eine der Frauen sagte aus, sie sollte für ihren Zuhälter wöchentlich 10000 Euro verdienen, wobei sie für eine halbe Stunde Sex ohne Extras nur 50 Euro verlangen konnte. Zumindest im Augsburger FKKKlub „Cleopatra“können keine Frauen mehr zu Opfern werden. Das Bordell ist geschlossen. Allerdings geht man bei der Augsburger Polizei davon aus, dass es in anderen Häusern nicht viel besser ist. Die Beamten sind überzeugt, dass die allermeisten Frauen nicht auf eigene Rechnung arbeiten, sondern unter der Kontrolle von Zuhältern stehen.
Die zu erwartende Strafe von rund fünf Jahren für Jürgen Rudloff basiert auf einer Absprache zwischen dem Gericht, der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung. Ihm wird auch noch vorgeworfen, Investoren betrogen zu haben. Ohne den „Deal“und das Geständnis hätte die Strafe für ihn deutlich höher ausfallen können. Urteilen wird das Gericht an diesem Mittwoch auch über zwei weitere Angeklagte, den ehemaligen Marketing-Chef des „Paradise“und einen Steuerberater. Sie können mit milderen Strafen als ihr Chef rechnen.