Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Die Zähmung eines Monsters
Ein Star-Ensemble spielt „Unendlicher Spaß“von David Foster Wallace: Wie bringt man diesen über 1500 Seiten starken und auch noch labyrinthischen Roman auf die Bühne?
Es ist nicht nur das Promi-Theater des Brechtfestivals 2019. Wenn am Sonntag zum Abschluss Schauspielstars wie Devid Striesow und Jasna Fritzi Bauer, Sebastian Blomberg und Ursina Lardi im ausverkauften Martini-Park auf die Bühne treten, tun sie es auch nicht nur mit einer Inszenierung, die als eine der zehn besten des Jahres in Deutschland zum Berliner Theatertreffen eingeladen ist. Es ist zudem der Versuch, einen über 1500 Seiten starken, vielstimmigen und labyrinthischen, bis in einen Fußnotenapparat ausufernden und um vier Erzählzentren kreisenden Kultroman spielbar zu machen: David Foster Wallace’ „Unendlicher Spaß“. Es ist die Zähmung eines Monsters.
Wie soll das gehen, wo man doch in Augsburg derzeit sieht, wie ein Stück am Stoff eines ja deutlich dünneren und vergleichsweise klar strukturierten Buches wie William T. Vollmanns „Europe Central“erstickt? Der in Berlin lebende Luxemburger Thierry Mousset war einer von den Bändigern. Er, noch längst keine 30, fließend fünfsprachig, studierte in Paris, Monaco und per Ehrenstipendium in Cambridge, arbeitet sonst international als freier Regisseur und wurde für dieses Projekt von Thorsten Lensing als Dramaturg engagiert. Und zur Mitarbeit an der Textfassung.
Lensing, der zuvor ebenfalls auf großer Literatur basierende Großprojekte wie „Onkel Wanja“und „Karamasow“verwirklicht hat, verfügt über ein weitreichendes Netzwerk an Schauspielhäusern für Koproduktionen (diesmal Zürich, Stuttgart, Hamburg, Berlin … und eben auch Luxemburg) und über beste Drähte zu Schauspielprominenz wie zum bereits in mehreren Projekten beteiligten Kinodarsteller und scheidenden „Tatort“-Kommissar Devid Striesow.
Thierry Mousset war jetzt zum ersten Mal dabei, und er hatte dabei zum ersten Mal ein solches Buchmonster vor der Brust. Kannte zu diesem Zeitpunkt weder Buch noch Autor. Mindestens dreimal hat er „Unendlicher Spaß“durchgelesen, auch auf Englisch, dazu viele Passagen immer wieder, um sie dann immer weiter zu verdichten. Im Gespräch mit Thorsten Lensing und einem weiteren Text-Arbeiter Dirk Pilz, die bereits zwei Jahre damit befasst waren, bevor Mousset zwei Jahre vor der Premiere als Dramaturg dazustieß. Denn vier Stunden Spielzeit mögen dem Theaterbesucher lang erscheinen – aber sie fassen freilich nur kleine Ausschnitte dieses „Opus Magnum“des David Foster Wallace. Unendliche Analyse- und Sezierarbeit also mit dem Monster. Mousset sagt: „Diesen Raum, diese Zeit muss man sich nehmen, um sich an der Sache zu orientieren, um dieses Werk wirklich zu verstehen, es auf sich wirken zu lassen – alles andere wäre verantwortungslos.“
Sein dadurch gewonnener Blick auf die besondere Qualität des Romans: „Durch die verschiedenen Erzählperspektiven entsteht ein Netz, und in diesem Netzt verfängt sich dann die Wirklichkeit.“Anders fürs Theater: „Man darf für die Bühne auf keinen Fall versuchen, dieses Netz abzubilden. Sondern man muss die Figuren mit ihren Beziehungen in den Mittelpunkt setzen und dann die wichtigen und fürs Theater richtigen Szenen auswählen. Aber die notwendige Verfeinerung auf das Existenzielle und Essentielle ergibt sich während der Text-Arbeit und dann den Proben tatsächlich oft von selbst, wenn man sich die Zeit nimmt. Weil sich zeigt, was eben mit der Zeit standhält oder was eine Eintagsfliege ist und wegfällt.“
Der Vorteil, den die Macher beim „Unendlichen Spaß“im Vergleich zu „Europe Central“hatten: Wallace schreibt keine langen Entwicklungen, er schreibt, so Mousset, „um im Leser eine sehr tiefe Anteilnahme mit seinen Figuren auszulösen, eine Erschütterung“. Und genau für diese Intention eigne sich das Theater als Spiel des Menschen vor Menschen ja besonders. Und Wallace’ Figuren, die ja keiner nachvollziehbaren Psychologie folgen, sondern auch sich selbst überraschen, eigneten sich auch besonders für die Bühne: das Spiel. „Und ab dem Moment, wo man beginnt zu spielen, werden die Dinge klar. Dann ist es auch kein Nacherzählen mehr, sondern ein Spiel.“