Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit dem Rad auf der Pirsch
Suche nach Verbrechern? Auf der Jagd nach Rowdys? Nein, dieses Mal wird es tatsächlich ziemlich tierisch
Der Hirsch ist vermutlich das Tier, das einem im Straßenverkehr am häufigsten begegnet. Er hat dann – das muss man zur Ehrenrettung des Hirsches sagen – in der Regel zwei Beine. „So ein Hirsch!“, lässt sich rufen, wenn das Auto fährt, obwohl der Radler am Zug wäre. Ein Hirsch ist aber auch, wer mit dem Rad bei Rot über die Ampel donnert. Weil auch Fußgänger nicht unfehlbar sind, könnte man sogar sagen: Sind wir nicht alle ein bisschen Hirsch? Mein Lieblings-Hirsch hatte allerdings tatsächlich vier Beine.
Zum Reiz des Radelns gehört nämlich, dass man sich so schön leise und unauffällig in der Natur bewegen kann. Viele Augsburger haben das zum Beispiel am vergangenen Wochenende an Lech und Wertach oder auch im Wald gemacht. Vor allem am frühen Morgen oder auch gegen Abend kann man dann tierisch was erleben. Neulich standen zum Beispiel ein paar Rehe im Wald. Wäre ich im Auto gesessen, hätten sie sich wahrscheinlich schnell aus dem Staub gemacht – im schlimmsten Fall mit einem Sprint über die Straße. So aber standen sie da und ich dort. Wir haben uns angeschaut. Was sie sich dachten – keine Ahnung (womöglich: So ein Hirsch!?). Ich habe mich gefreut, dass sie mir die Zeit gelassen haben, sogar noch ein Foto zu machen. Das klappt nicht immer. Der Fuchs, der in den Westlichen Wäldern über die Wiese trabte, und der Hase, der Haken schlug, waren zu schnell. Aber wer regelmäßig auf dem Rad unterwegs ist, hat viele Chancen, einen besonderen Blick auf die Natur zu bekommen. Mal abgesehen davon, dass man die Natur mit Wind, Wetter, Sonne und Hitze grundsätzlich hautnah erlebt. Und auch mein Lieblings-Hirsch ist mir verdammt nah gekommen.
Es war eines Abends an der Wertach. Heimweg nach einem Arbeitstag. 20 Minuten frische Luft schnappen auf dem Fahrrad. Entspannen. Natur genießen. Dann plötzlich das Gefühl: Da ist doch jemand. Es war ziemlich dunkel, doch irgendwas bewegte sich rechts neben dem Rad. Dunkelbraun und ziemlich groß. Unsere Wege kreuzten sich kurz, dann war er weg, der Biber. Keine Ahnung, was er sich dachte. Ich war erst einmal froh, dass wir uns friedlich und unfallfrei voneinander getrennt haben. An Fotografieren war nicht zu denken. Und an einen Unfall will ich auch im Nachhinein nicht denken. Aber es ging ja alles gut und tierische Begegnungen auf dem Rad (es war nie ein echter Hirsch dabei) sind in der Regel nie so dramatisch, sondern eher schön. Wenn ein Schwan in der Wertach startet – toll. Es lohnt sich. Und sollte die Tierwelt am Morgen noch etwas verschlafen sein, es gibt noch ein „Jagdmotiv“: den Sonnenaufgang. Still in der Natur rollen, kühle Luft um die Nase und den Blick in die aufgehende Sonne: Das ist eine Morgenrunde wert. Versprochen.
Marcus Bürzle, 42, kam durch Zufall zum Fahrrad und fährt inzwischen täglich.
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