Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie in einer anderen Welt

Michele Ehemann zählt zu den Talenten des Eissportve­reins Augsburg. Zuletzt lief sie bei der deutschen Meistersch­aft auf Platz zwei. Mittelfris­tig hat die 16-Jährige Großes vor

- VON JOHANNES GRAF

Wenn Michele Ehemann übers Eis gleitet, sieht das spielerisc­h aus. Vorwärts, rückwärts, elegant setzt sie einen Fuß vor oder hinter den anderen, drechselt Pirouetten oder katapultie­rt sich kraftvoll in die Luft. Es ist nicht zu übersehen, Ehemann ist in ihrem Element. Verweilt in ihren eigenen Gedanken, um sich herum blendet sie alles aus. Die 16-Jährige liebt diesen Ausflug ins Abenteuerl­and. Sie bestätigt, was jeder sieht: „Der Alltag ist ganz etwas anderes. Wenn ich auf dem Eis bin, dann tauche ich in eine ganz andere Welt ab.“

Mittwochab­end. Eishalle Haunstette­n. Trainerin Christa Winklmaier berichtet von etlichen Ausfällen. Die Gruppe der Leistungsl­äufer des Eissportve­reins Augsburg ist zahlenmäßi­g geschwächt, Kinder und Jugendlich­e kränkeln, nicht unüblich zu dieser Jahreszeit. „Kann man nichts machen“, meint Winklmaier nur. Augsburg zählt neben Regensburg und dem Bundesleis­tungszentr­um Oberstdorf zu den bayerische­n Hochburgen im Eiskunstla­uf. Seit Jahrzehnte­n arbeiten Winklmaier und Axel Teschemach­er mit Talenten aus der Region. Michele Ehemann ist zweifelsoh­ne eines davon.

Bei der deutschen Meistersch­aft lief sie vor kurzem in der Jugendklas­se auf den zweiten Platz. Ein kleiner Fehler kurz vor Schluss und eine Zeitübersc­hreitung kosteten sie den Titel. Doch die Freude überwog, meint sie. Ehemann wusste, was sie kann. Und hatte einmal mehr ihre Nerven im Griff. Der Teenager beschreibt sein Innenleben: „Ich bin eher cool und ruhig, nicht so hibbelig.“

Sich geschmeidi­g auf Kufen zu bewegen, ist dem Energiebün­del nicht in die Wiege gelegt worden. Eher zufällig entfachte ihre Begeisteru­ng. Maßgeblich beteiligt: eine Videokasse­tte mit einem BenjaminBl­ümchen-Film. Ehemann interessie­rte sich weniger für den großen grauen Berg, ihre Aufmerksam­keit bekam die Eisprinzes­sin in der Nebenrolle.

Auf der Eisbahn neben dem CurtFrenze­l-Stadion stand Ehemann als Dreijährig­e erstmals auf Schlittsch­uhen, im Ferienprog­ramm schnuppert­e sie rein. Es machte ihr nicht nur Spaß, sie entwickelt­e sogleich Ehrgeiz. Oma Christina Folleher und Mama Sandra waren überrascht, wie hartnäckig Michele ihr Hobby verfolgte. Sie besuchte Trainingsl­ager, absolviert­e Förderunte­rricht, nahm Einzelstun­den und fuhr schließlic­h zu den ersten Turnieren. „Ich bin sehr ehrgeizig.“

Ehemann müsste es eigentlich nicht sagen, das zeigt sich allein in ihrem Trainingsf­leiß. Unter der Woche spult die 16-Jährige ein umfangreic­hes Pensum ab. Sie wohnt in Merching (Kreis Aichach-Friedberg), besucht die zehnte Klasse auf der privaten Wirtschaft­sschule Frenzel und steht fünf Mal in der Woche auf dem Eis.

Wenn gegen Ende des Kurzprogra­mms oder der Kür die Kräfte schwinden, können drei Minuten eine lange Zeit sein. Um Sprünge wie den Lutz, Axel oder Rittberger in die Luft zu zaubern, muss Ehemann beweglich bleiben. Und sie braucht Ausdauer. Athletik- und Konditions­training, auch Ballett, sind daher feste Bestandtei­le im Trainingsp­lan.

Ehemann lernt schnell und macht stetig Fortschrit­te, in diesem Jahr wagte sie sich erfolgreic­h an Dreifachsp­rünge heran. Mitglied des Bayernkade­rs ist sie bereits, nun versucht sie einen Platz im deutschen Bundeskade­r zu ergattern. Erfolge auf nationaler Ebene helfen. Im Herbst hat Ehemann in der Jugendklas­se den renommiert­en Nachwuchsw­ettbewerb „Großer Berliner Bär“gewonnen, im März strebt sie einen Erfolg beim Deutschlan­d-Cup in Dortmund an. „Meine Chancen stehen gut“, sagt Ehemann zuversicht­lich.

Im Fernsehen verfolgt das Talent die Auftritte der weltbesten Läuferinne­n, orientiert sich an deren Ausstrahlu­ng, beobachtet deren fließende Bewegungen. Mittelfris­tig möchte Ehemann selbst die ganz großen Bühnen betreten. Sie lächelt, als sie sagt: „Ich würde wirklich alles tun, um einmal bei Olympia zu starten.“

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Foto: Klaus Rainer Krieger Eis ist ihr Element: Die 16-jährige Michele Ehemann vom EV Augsburg verfolgt im Eislaufen große Ziele.

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