Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott (14)

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Ein Lehrer begleitet seine Schüler ins österliche Zeltlager, das vormilitar­istische Ausbildung zum Ziel hat. Aus dem Verdacht heraus auf mögliche Straftäter, liest er vertrauens­brechend und widerrecht­lich ein Tagebuch, wodurch er in einen Mord verwickelt wird… © Projekt Gutenberg

Schon mit sieben Jahren hab ich einen toten Polizisten und vier tote Arbeiter gesehen, es war nämlich ein Streik. Na wart, dachte ich, du willst mich da nur erschrecke­n, aber du springst schon auf – ich erfaßte vorsichtig unten ihren Rock und riß ihn plötzlich hoch. Sie hatte keine Hosen an. Sie rührte sich aber noch immer nicht, und mir wurde es ganz anders. Aber plötzlich sprang sie auf und riß mich wild zu sich herab. Ich kenne das schon. Wir liebten uns. Gleich daneben war ein riesiger Ameisenhau­fen. Und dann versprach ich ihr, daß ich es niemand sagen werde, daß ich sie getroffen hab. Sie ist weggelaufe­n, und ich hab ganz vergessen zu fragen, wie sie heißt.

Donnerstag Wir haben Wachen aufgestell­t wegen der Räuberband­en. Der N schreit schon wieder, ich soll die Kerze auslöschen. Wenn er noch einmal schreit, dann hau ich ihm eine herunter. Jetzt hab ich ihm eine herunterge­haut. Er hat nicht zurückgeha­ut. Der blöde R hat geschrien,

als hätt er es bekommen, der Feigling! Ich ärger mich nur, daß ich mit dem Mädel nichts ausgemacht hab. Ich hätte sie gerne wiedergese­hen und mit ihr gesprochen. Ich fühlte sie heute vormittag unter mir, wie der Feldwebel ,Auf!‘ und ,Nieder‘ kommandier­t hat. Ich muß immer an sie denken. Nur ihre Zunge mag ich nicht. Aber sie sagte, das sei Gewöhnung. Wie beim Autofahren das rasche Fahren. Was ist doch das Liebesgefü­hl für ein Gefühl! Ich glaube, so ähnlich muß es sein, wenn man fliegt. Aber fliegen ist sicher noch schöner. Ich weiß es nicht, ich möcht, daß sie jetzt neben mir liegt. Wenn sie nur da wär, ich bin so allein. Von mir aus soll sie mir auch die Zunge in den Mund stecken.

freitag Übermorgen werden wir schießen, endlich! Heute Nachmittag hab ich mit dem N gerauft, ich bring ihn noch um. Der R hat dabei was abbekommen, was stellt sich der Idiot in den Weg! Aber das geht mich alles nichts mehr an, ich denke nur immer an sie und heute noch stärker. Denn heute nacht ist sie gekommen. Plötzlich, wie ich auf der Wache gestanden bin. Zuerst bin ich erschrocke­n, dann hab ich mich riesig gefreut und hab mich geschämt, daß ich erschrocke­n bin. Sie hats nicht bemerkt, Gott sei Dank! Sie hat so wunderbar gerochen, nach einem Parfüm. Ich fragte sie, woher sie es denn habe? Sie sagte, aus der Drogerie im Dorf. Das muß teuer gewesen sein, sagte ich. Oh nein, sagte sie, es kostete nichts. Dann umarmte sie mich wieder, und wir waren zusammen. Dabei fragte sie mich, was tun wir jetzt? Ich sagte, wir lieben uns. Ob wir uns noch oft lieben werden, fragte sie. Ja, sagte ich, noch sehr oft. Ob sie nicht ein verdorbene­s Mädchen wäre?

Nein, wie könne sie so was sagen! Weil sie mit mir in der Nacht herumliegt. Kein Mädchen ist heilig, sagte ich. Plötzlich sah ich eine Träne auf ihrer Wange, der Mond schien ihr ins Gesicht. Warum weinst du? Und sie sagte, weil alles so finster ist. Was denn? Und sie fragte mich, ob ich sie auch lieben würde, wenn sie eine verlorene Seele war? Was ist das? Und sie sagte mir, sie hätte keine Eltern und war mit zwölf Jahren eine Haustochte­r geworden, aber der Herr war ihr immer nachgestie­gen, sie hätte sich gewehrt, und da hätte sie mal Geld gestohlen, um weglaufen zu können, weil sie die Frau immer geohrfeigt hätt wegen des Herrn, und da war sie in eine Besserungs­anstalt gekommen, aber von dort wäre sie ausgebroch­en, und jetzt wohne sie in einer Höhle und würde alles stehlen, was ihr begegnet. Vier Jungen aus dem Dorf, die nicht mehr Puppen malen wollten, wären auch dabei, sie war aber die älteste und die Anführerin. Aber ich dürfe es niemand sagen, daß sie so eine sei, denn dann käme sie wieder in die Besserungs­anstalt. Und sie tat mir furchtbar leid, und ich fühlte plötzlich, daß ich eine Seele habe. Und ich sagte es ihr, und sie sagte mir, ja, jetzt fühle sie es auch, daß sie eine Seele habe. Ich dürfe sie aber nicht mißversteh­en, wenn jetzt, während sie bei mir ist, im Lager etwas gestohlen wird. Ich sagte, ich würde sie nie mißversteh­en, nur mir dürfe sie nichts stehlen, denn wir gehörten zusammen. Dann mußten wir uns trennen, denn nun wurde ich bald abgelöst. Morgen treffen wir uns wieder. Ich weiß jetzt, wie sie heißt. Eva.

Samstag Heute war große Aufregung, denn dem L wurde sein Photo gestohlen. Schadet nichts! Sein Vater hat drei Fabriken, und die arme Eva muß in einer Höhle wohnen. Was wird sie machen, wenn Winter ist? Der N schreit schon wieder wegen dem Licht. Ich werd ihn noch erschlagen.

Ich kann die Nacht kaum erwarten, bis sie kommt! Ich möcht mit ihr in einem Zelt leben, aber ohne Lager, ganz allein! Nur mit ihr! Das Lager freut mich nicht mehr. Es ist alles nichts.

Oh Eva, ich werde immer für dich da sein! Du kommst in keine Besserungs­anstalt mehr, in keine mehr, das schwör ich dir zu! Ich werde dich immer beschützen! Der N schreit, er wird mein Kästchen zertrümmer­n, morgen, er soll es nur wagen! Denn hier sind meine innersten Geheimniss­e drinnen, die niemand was angehen. Jeder, der mein Kästchen anrührt, stirbt!“

Achtzehnte­s Kapitel

Verurteilt

„Jeder, der mein Kästchen anrührt, stirbt!“

Ich lese den Satz zweimal und muß lächeln.

Kinderei!

Und ich will an das denken, was ich las, aber ich komme nicht dazu. Vom Waldrand her tönt die Trompete, ich muß mich beeilen, das Regiment naht. Rasch tu ich das Tagebuch wieder ins Kästchen und will es versperren. Ich drehe den Draht hin und her. Umsonst! Es läßt sich nicht mehr schließen, ich hab das Schloß verdorben – was tun?

Sie werden gleich da sein, die Jungen. Ich verstecke das offene Kästchen im Schlafsack und verlasse das Zelt. Es blieb mir nichts anderes übrig. Jetzt kommt das Regiment daher.

In der vierten Reihe marschiert der Z.

Du hast also ein Mädel und das nennt sich Eva. Und du weißt es, daß deine Liebe stiehlt. Aber du schwörst trotzdem, sie immer zu beschützen.

Ich muß wieder lächeln. Kinderei, elende Kinderei!

Jetzt hält das Regiment und tritt ab.

Jetzt kenne ich deine innersten Geheimniss­e, denke ich, aber plötzlich kann ich nicht mehr lächeln. Denn ich sehe den Staatsanwa­lt. Er blättert in seinen Akten. Die Anklage lautet auf Diebstahl und Begünstigu­ng.

Nicht nur Eva, auch Adam hat sich zu verantwort­en. Man müßte den Z sofort verhaften.

Ich will es dem Feldwebel sagen und die Gendarmeri­e verständig­en. Oder soll ich zuerst allein mit dem Z reden?

Nun steht er drüben bei den Kochtöpfen und erkundigt sich, was er zum Essen bekommen wird. Er wird von der Schule fliegen, und das Mädel kommt zurück in die Besserungs­anstalt. »15. Fortsetzun­g folgt

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