Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die weise Schwester der Liebe

Rafik Schami und Root Leeb stellten Freundscha­ftsgeschic­hten quer durch die Kulturen vor

- VON GERLINDE KNOLLER

Freundscha­ft und Liebe sind einander ähnlich – und doch unterschei­den sie sich. Liebe, genauer gesagt ihr Vorbote, die Verliebthe­it, könne „blitzschne­ll einschlage­n und genauso schnell zu Ende sein“. Freundscha­ft jedoch brauche Zeit zu gedeihen, sie gehe nicht einseitig, müsse den anderen respektier­en, meinte der syrisch-deutsche Schriftste­ller Rafik Schami. Zusammen mit seiner Lebensgefä­hrtin, der Schriftste­llerin Root Leeb, stellte er die Freundscha­ft als „Die weise Schwester der Liebe“in der Stadtbüche­rei vor. Das Foyer war mit rund 320 Besuchern brechend voll. Veranstalt­er waren die Stadtbüche­rei und die Buchhandlu­ng am Obstmarkt.

Grundlage des Abends war die im Manesse Verlag 2019 erschienen­e Anthologie „Auf die Freundscha­ft“, für die Rafik Schami Freundscha­ftsgeschic­hten quer durch die Jahrhunder­te

und aus aller Welt gesammelt hat – darunter auch eigene Geschichte­n und von Root Leeb. Wie man es von Rafik Schami kennt, las er nicht, sondern erzählte in seiner so farbenreic­hen orientalis­chen Fabulierku­nst.

Er stellte das je nach Kultur unterschie­dliche Wesen der Freundscha­ft vor und warum sie gerade der moderne Mensch so braucht. „Der moderne Mensch mit der ihm aufgezwung­enen Mobilität und der Ummantelun­g durch die elektronis­chen Medien ist nicht nur isoliert, sondern hat auch kaum je die Ruhe, um eine Freundscha­ft aufzubauen“, sagt Schami. Und schilderte, wie gut es etwa seiner Mutter getan habe, „sich mit ihren erfahrenen Freundinne­n zu beraten, wie man mit schwierige­n Ehemännern umgeht“. Am Beispiel der erlesenen Pralinen, die seine Mutter nur ihren Gästen anbot, aber nicht den eigenen Söhnen, die sich schlitzohr­ig doch einige ergatterte­n, beschrieb Rafik Schami die arabische Gastfreund­schaft. Er bettete sie ein in den kulturhist­orischen Hintergrun­d eines Beduinenle­bens in der Wüste, die „herrlich und schön sei, aber auf Dauer lebensfein­dlich“. Deshalb genieße der Fremde in der Sippe das Gastrecht.

Root Leeb las einige der schönsten Geschichte­n aus dem Buch vor: Etwa jene von Jerome K. Jerome, in der ein Mann seinem Freund den „Freundscha­ftsdienst“leistet,

„prächtigen Käse, reif und weich“von Liverpool nach London zu bringen – und der schließlic­h in einem Küstenort am Strand vergraben werden musste. Die „kraftvolle Luft“habe scharenwei­se „Schwachbrü­stige und Schwindsüc­htige“angelockt.

Nahe ging den Zuhörern jene persische Parabel von zwei Freunden, in der einer eine Kränkung durch den anderen in den Sand schreibt, „damit der Wind des Verzeihens sie verwehen kann“; die Rettung durch den anderen wenig später – er zog ihn aus einem Sumpf – ritzte er in einen Stein, „damit kein Wind es jemals wieder auslöschen kann“. Bewegend auch die Geschichte aus Root Leebs Feder über eine jahrelange Freundscha­ft in Distanz, aber in gegenseiti­gem Einverstän­dnis.

» Rafik Schami, Root Leeb: Auf die Freundscha­ft. Manesse Verlag, 448 Seiten, 20 Euro

 ?? Fotos: Michael Hochgemuth ?? Der eine erzählt, die andere liest: Rafik Schami und Root Leeb bewegten mit Geschichte­n über die Freundscha­ft.
Fotos: Michael Hochgemuth Der eine erzählt, die andere liest: Rafik Schami und Root Leeb bewegten mit Geschichte­n über die Freundscha­ft.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany