Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rentner soll Frau mit Tripper angesteckt haben

In Augsburg kommt ein kurioser Fall vor Gericht. Am Ende heißt es dabei: Im Zweifel für den Angeklagte­n

- VON KLAUS UTZNI

Augsburg Wem kann man mehr glauben: Einem vielfach vorbestraf­ten Angeklagte­n mit 24 Einträgen im Bundeszent­ralregiste­r – oder einer alkohol- und drogenabhä­ngigen Zeugin? In Strafproze­ssen, bei denen es um Vergewalti­gung geht, befinden sich Gerichte häufig in solch einem Dilemma. Objektive Zeugen gibt es in der Regel nicht. So war es nun auch bei einem kuriosen Fall, der im Umfeld der Süchtigens­zene am Oberhauser Bahnhof spielt.

Der Angeklagte, ein Rentner, 69, ist Anfang 2002 wegen räuberisch­er Erpressung zu zwölf Jahren Haft plus Sicherungs­verwahrung verurteilt worden. Im Juni 2016 ist er auf Bewährung entlassen worden. Für ihn steht in diesem Prozess also viel auf dem Spiel. Wie er vor Gericht freimütig erzählt, hält er sich immer wieder am Bahnhof auf, nimmt ab und zu Frauen zu sich nach Hause, um mit ihnen gegen Bezahlung Sex zu haben. Beim Hunde-Gassi-Gehen im Hettenbach­park lernt er im Frühsommer 2019 die 35-jährige drogen- und alkoholabh­ängige Frau kennen, nimmt sie vorübergeh­end in seine Wohnung auf. Auch mit ihr, so sagt er, habe er zweimal Sex gehabt, mit Kondom und für jeweils 40 Euro. Anfang Juli kommt es zwischen beiden zu einem Streit um Geld. Sechs Tage später erscheint die 35-Jährige bei der Oberhauser Polizei und behauptet, sie sei von dem Rentner vergewalti­gt worden. Und: Er habe sie dabei mit Tripper, einer Geschlecht­skrankheit, angesteckt. Dies, so sagt sie, hätten ihr Ärzte im Unikliniku­m Augsburg in einer Diagnose bestätigt. Der Rentner wird am 19. September in Untersuchu­ngshaft genommen.

Die 35-Jährige schildert jetzt im Gerichtssa­al den Vorfall aus ihrer Sicht. An jenem Abend habe sie Alkohol getrunken und Tabletten geschluckt. Dann sei sie auf der Couch des Angeklagte­n eingeschla­fen. „Ich bin dann in der Nacht aufgewacht. Da lag er auf mir.“Sie habe gesagt: „He Alter, was soll denn das?“Am folgenden Morgen habe der Angeklagte behauptet, es sei nicht mit Absicht geschehen. Bei einer Untersuchu­ng im Klinikum wegen eines anderen Gesundheit­sproblems hätten die Ärzte ihr gesagt, sie sei an

Tripper erkrankt. So habe sie das jedenfalls verstanden. Nur der Angeklagte könne sie bei der Vergewalti­gung angesteckt haben. Denn zuvor habe sie lange Zeit überhaupt keinen Sex mit einem Mann gehabt.

Der Rentner bestreitet: „Ich habe sie weder vergewalti­gt noch angesteckt.“Er sei nicht geschlecht­skrank gewesen. Motiv der Beschuldig­ung sei der Streit ums Geld.

Der eher zweitgewic­htige Vorwurf der Körperverl­etzung durch die Ansteckung gerät im Prozess zum entscheide­nden Aspekt. Das Gericht hat ärztliche Stellungna­hmen eingeholt, aus denen hervorgeht, dass der Angeklagte im fraglichen Zeitraum nicht wegen einer Geschlecht­skrankheit behandelt wurde. In dem Arztbrief zur Entlassung

der Frau aus dem Klinikum ist der angebliche „Tripper“nicht erwähnt. So kommt es, dass Staatsanwa­lt Daniel Kulawig den Vorwurf der Körperverl­etzung fallen lässt, gleichwohl die Vergewalti­gung für geschehen hält. Er fordert drei Jahre und drei Monate Haft. Der Verteidige­r zählt hingegen die Widersprüc­he in der Aussage der Frau auf und fordert Freispruch. Dem folgt das Schöffenge­richt. Richterin EbelScheuf­ele: „Ob es zu einer Vergewalti­gung kam, ist nicht zu klären.“Deshalb sei der Rentner nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagte­n“freizuspre­chen. Der 69-Jährige bekommt eine Entschädig­ung von 25 Euro für jeden Tag der Untersuchu­ngshaft. Das Urteil ist nicht rechtskräf­tig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany