Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Mutmaßlich­e Vergewalti­gung: Haft oder Freispruch?

Eine Frau sagt, sie sei am Ufer des Hettenbach­s von ihrem Ex-Freund vergewalti­gt worden. Es gibt zwar Augenzeuge­n, doch die können im Prozess vor dem Landgerich­t keine Klarheit bringen. Staatsanwa­ltschaft und Verteidige­r liegen in ihrer Sichtweise weit au

- VON HERMANN SCHMID

Mitte Juni wird es sehr früh hell. So war für die beiden Zeugen gegen 4.30 Uhr nicht schwer zu erkennen, was nur wenige Meter gegenüber am Ufer des Hettenbach geschah. „Die Frau hatte die Arme auf dem Geländer und in den Bach reingescha­ut“, gab ein 66-jähriger Anlieger gestern vor dem Landgerich­t Augsburg zu Protokoll. Hinter ihr sah er einen Mann, der sich laut dem Zeugen auf die Frau zu bewegte. Die Frau habe sich umgeblickt, sich sonst aber „teilnahmsl­os“verhalten. Für den Anwohner war klar: Ein Pärchen trifft sich hier zum Sex. Als der 66-Jährige über den Bach rief, sie sollten mit der „Schweinere­i“aufhören, verschwand erst die Frau, dann der Mann – mit herunterge­lassener Hose – hinter einen nahen Busch. Die Anwohner legten sich wieder zu Bett.

Die Anwohner fielen aus allen Wolken, als drei Wochen später die Polizei sie anhören wollte – als Zeugen für eine angezeigte Vergewalti­gung. „Wir haben mit uns gehadert“, so eine Zeugin vor Gericht. „Hatten wir den falschen Eindruck? Wir sahen keine Gefahr.“Auch das fremdsprac­hige „Geplapper“der Frau, das sie noch einige Minuten hörte, habe sie nicht als Ausdruck von Leid oder gar als Hilferufe bewertet. Seit der vergangene­n Woche versucht die 3. Strafkamme­r am Landgerich­t zu klären, was sich Mitte Juni 2019 tatsächlic­h im Hettenbach­park abgespielt hat und wie

rechtlich zu bewerten ist. Am ersten Verhandlun­gstag sagte der 48-jährige Angeklagte, es habe – nachdem er zwei Stunden zuvor die Frau mehrmals heftig ins Gesicht geschlagen hatte – in jenen Morgenstun­den in dem Park in Oberhausen einvernehm­lichen Sex gegeben. Die 44-jährige Frau sagte dagegen, das sei gegen ihren Willen geschehen, sie habe ihn allerdings gewähren lassen, weil sie Angst hatte.

Das Gericht hörte inzwischen mehrere Zeugen. Deren Aussagen waren nicht immer leicht nachvollzi­ehbar – und auch nicht immer widerspruc­hsfrei. So berichtete ein 50-Jähriger, der wie der Angeklagte und das mutmaßlich­e Opfer im türkischen Milieu Oberhausen­s zu Hause ist und beide seit Jahren kennt, die Frau habe ihm am Tag nach dem Vorfall ihre Verletzung­en gezeigt und gesagt, ihr Ex-Freund habe sie vergewalti­gt. Er glaubte ihr aber nicht, erzählt er, „das war für mich lächerlich“. Der jetzt Angeklagte habe sich an diese Stunden gar nicht erinnern können, so der Zeuge, er sei, wieder einmal, sehr betrunken gewesen. Tags darauf habe es in einem Oberhauser Lokal ein Treffen gegeben, bei dem sich Täter und Opfer ruhig unterhalte­n hätten.

Erst drei Wochen später, nach zwei Besuchen bei ihrer Ärztin, erstattete die Frau die Anzeige. Eine Freundin, die damals mit ihr zur Polizei gegangen ist, sah im Zeugenstan­d die 44-Jährige nicht als hilfloses Opfer. Sie hätte nach den Schläes gen ja leicht weggehen können, bemerkte sie, und sie habe sich auch nach dem Vorfall nach Kontakt mit ihrem Ex-Freund gesehnt. Das Gericht hörte auch die langjährig­e Lebensgefä­hrtin des Angeklagte­n. Sie habe erst wenige Tage vor dem angeklagte­n Vorfall erfahren, dass der Vater ihrer drei Kinder sie über Jahre hinweg immer wieder mit verschiede­nen Frauen betrogen hat, erzählte sie. Nach einer dreitägige­n Trennung wollten sie es nochmals miteinande­r versuchen. Es hielt nur drei Wochen. Nachdem die Anzeige eingegange­n und der 48-Jährige in Untersuchu­ngshaft gekommen war, habe sich dessen Freund, der vor ihr im Zeugenstan­d war, angeboten, die Sache aus der Welt zu schaffen. Wenn sie dem Opfer 10000 Euro gebe, dann werde die Frau die Anzeige zurückzieh­en. Keiner habe ihr aber gesagt, dass ihrem Ex-Partner nicht nur Schläge, sondern eine Vergewalti­gung vorgeworfe­n wurden.

Die Staatsanwa­ltschaft geht nach der Beweisaufn­ahme in dem Prozess davon aus, dass die Frau tatsächlic­h das Opfer einer Vergewalti­gung geworden ist. Sie fordert deshalb eine Haftstrafe von fünf Jahren. Die Verteidige­r Ralf Schönauer und Peter Zeitler dagegen sagen, der Angeklagte sei in diesem Punkt unschuldig, sie beantragte­n deshalb einen Freispruch vom Verdacht der Vergewalti­gung – und eine „angemessen­e Strafe“dafür, dass der 48-Jährige die Frau geohrfeigt hatte. Ein Urteil in dem Prozess soll in der kommenden Woche fallen.

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