Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Durch Neugier in Bewegung kommen
Der 30-jährige Felix Brunner findet sofort einen Draht zu den Jugendlichen der Wertinger Montessorischule. Der Rollstuhlfahrer weiß, was Frust bedeutet. Und er hat auch erlebt, wie man rauskommen kann. Ein sehr offenes Gespräch
Wertingen Ein Streit mit seiner Mutter bringt den Wendepunkt. Er merkt endlich, dass er was tun muss. Wieder Verantwortung für sein Leben übernehmen. Felix Brunner ist zu dem Zeitpunkt 21 Jahre jung, ein Vollpflegefall nach einem schweren Unfall beim Eisklettern. Knapp zehn Jahre später spricht er vor Jugendlichen im Forum der Wertinger Montessorischule, fährt wendig mit seinem Rolli hin und her und schafft vor allem eins: Er macht die jungen Menschen neugierig. Neugierig auf ihn, seine sexuellen Möglichkeiten als Rollstuhlfahrer, seine Abhängigkeiten und heutigen Ziele. Und neugierig auf sich selbst. Dazu fängt er mit ein paar ganz persönlichen Fragen an.
„Wer hat Ziele?“Viele Hände gehen nach oben. „Wer glaubt, dass er seine Ziele auch erreichen kann?“Mehrere Hände senken sich, erheben sich erneut, als er wissen will: „Wer ist schon mal an etwas gescheitert?“Bevor der 30-Jährige beginnt, seine persönliche dramatische Lebensgeschichte zu erzählen, macht er schon mal klar: „Es gibt immer wieder Dinge, die passieren einfach und gefallen uns nicht. Es kommt ganz stark auf euch an, wie ihr damit umgeht.“
Felix Brunner nennt sich Motivator, Impuls- und Chancengeber. Als solcher ist er in Firmen und Schulen unterwegs. Letztendlich ähnelt das, worum es ihm geht, dem anderer Coaches, Trainer und Philosophen. Was ihn auszeichnet, ist seine Direktheit, Offenheit und Natürlichkeit. Der 30-Jährige zeigt sich als Mensch mit all seinen Schwächen und Stärken. „Wer weiß seine absolute Super-Power?“Am Anfang des Vormittags gehen gerade mal zwei bis drei Hände hoch. Es habe, so FeBrunner, überhaupt nichts mit Arroganz zu tun, sich mutig mit seinen eigenen Stärken zu zeigen.
Diese Erkenntnis gewann der 30-jährige Allgäuer durch seinen persönlichen Lebensweg. Geboren und aufgewachsen in Füssen, war schon sein Opa in der Nachkriegszeit ein begeisterter Bergsteiger, ebenso seine Mutter. Die lernt seinen Vater in den Bergen kennen, und Felix ist sich sicher: „Auch ich bin dort entstanden.“So wurde Felix ein sehr aktiver Junge, der durchaus neidisch auf Freunde war, die Playstation spielen durften. Spät eingeschult, lief schulisch erst mal alles perfekt. Erste, zweite, dritte, vierte Klasse ein super-mega-guter Schüler, „so clever“natürlich aufs Gymnasium. Fünfte Klasse super, sechste gut, siebte okay, achte nicht mehr gut, neunte durchgefallen. Wenn Eltern und Lehrer ihn zum
Lernen animieren wollten, stieß das bei ihm auf taube Ohren. – Bis er einen kennenlernte, der bei der Bergrettung war. Er ging mit und lernte coole Burschen kennen, die verletzte Menschen versorgten und Menschen sicher ins Tal brachten. Mit Gleichaltrigen ging er fortan in die Kletterhalle, entdeckte den Spaß und seine eigene Leidenschaft fürs Klettern. „Weil ich es jetzt wollte und nicht, weil meine Eltern mich mitgeschleift haben.“Und er entdeckte, was er mal werden wollte: professioneller Bergretter auf dem Helikopter. Felix Brunner lernte Krankenpfleger und machte eine Ausbildung zum Luftretter. „Mit 17 Jahren war ich nur noch unterwegs, führte ein Leben auf der Überholspur.“Bis er irgendwann erneut in der Dunkelheit erwachte. Ein einziger Schritt, den er zu weit gegangen war, hatte alle seine Träume zerlix stört. Mit zwei Freunden unterwegs, rutschte er auf dem Rückweg beim Eisklettern aus und stürzte 30 Meter ein eisiges Bachbett hinunter. Während die Freunde in Schockstarre verfielen, organisierte er selbst seine Rettung. 13 Monate auf der Intensivstation, acht Monate im künstlichen Koma, 800 Bluttransfusionen, 60 Operationen. „Ich fühlte mich unsterblich, bis ein Unfall mich fast aus dem Leben riss.“Elf Jahre später sieht er sein Leben als ein Geschenk, ist glücklich und hat gelernt, mit Veränderungen zu leben. „Veränderung liegt auf einer Ebene mit Scheitern“, sagt er und ermutigt die Jugendlichen dazu, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen. „Wenn wir Dinge, die passiert sind, akzeptieren, kann etwas Neues entstehen.“Ach wäre doch, hätte ich, warum immer ich – dies alles helfe nicht weiter. „Wir müssen selbst ins Handeln kommen.“Das merkte Felix Brunner erneut, als er die Versuche seiner Mutter satthatte, die sich bemühte, ihn zu Kraftübungen im Bett zu animieren. Übers Handy organisierte er sich als 21-Jähriger selbst eine Reha, die zunächst aussichtslos war, da er ziemlich bewegungslos und schmerzmittelabhängig war. Einen Hightech-Rollstuhl lehnte er in der Reha ab, wollte lieber seine Kraft mit einem kleinen Rolli trainieren. Und er erkannte: „Trotz Rollstuhl und Niederlagen gibt es noch so viele Möglichkeiten.“Die zu entdecken ermutigt der 30-Jährige die Jugendlichen in Wertingen immer wieder. „Wenn Menschen sagen, ihr seid zu dick, zu dumm, hört nicht drauf, fragt euch stattdessen, was ihr könnt!“Felix Brunner animiert die Mädels und Jungs, an sich und ihren Wert zu glauben und dranzubleiben an dem, was sie erfüllt. „Trennt euch von Menschen, die sagen, das schaffst du nicht, und arbeitet mit denen zusammen, die an euch glauben!“
Mit einem Handbike überquerte Felix Brunner mittlerweile die Alpen, fährt Ski und lernte seine Ehefrau beim Tanzen kennen. Statt miesepetrig und ängstlich durchs Leben zu gehen, rät er allen, es mutig und neugierig zu tun. Viele der jungen Menschen beginnen sofort damit, fragen Felix ganz direkt. Und er erzählt von seinen Träumen im Koma, seinem Entzug von den Medikamenten, seinen sexuellen Möglichkeiten und heutigen Lebenszielen. Davon, dass er den Leuten zeigen will, wie verschieden und gleich wir sind. „Jeder ist anders, und alle können etwas besonders gut.“Ob Schwule, Muslime oder Syrer – der 30-Jährige ermuntert die Jugendlichen, alle anzusprechen und sich für sie zu interessieren.