Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Durch Neugier in Bewegung kommen

Der 30-jährige Felix Brunner findet sofort einen Draht zu den Jugendlich­en der Wertinger Montessori­schule. Der Rollstuhlf­ahrer weiß, was Frust bedeutet. Und er hat auch erlebt, wie man rauskommen kann. Ein sehr offenes Gespräch

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Wertingen Ein Streit mit seiner Mutter bringt den Wendepunkt. Er merkt endlich, dass er was tun muss. Wieder Verantwort­ung für sein Leben übernehmen. Felix Brunner ist zu dem Zeitpunkt 21 Jahre jung, ein Vollpflege­fall nach einem schweren Unfall beim Eiskletter­n. Knapp zehn Jahre später spricht er vor Jugendlich­en im Forum der Wertinger Montessori­schule, fährt wendig mit seinem Rolli hin und her und schafft vor allem eins: Er macht die jungen Menschen neugierig. Neugierig auf ihn, seine sexuellen Möglichkei­ten als Rollstuhlf­ahrer, seine Abhängigke­iten und heutigen Ziele. Und neugierig auf sich selbst. Dazu fängt er mit ein paar ganz persönlich­en Fragen an.

„Wer hat Ziele?“Viele Hände gehen nach oben. „Wer glaubt, dass er seine Ziele auch erreichen kann?“Mehrere Hände senken sich, erheben sich erneut, als er wissen will: „Wer ist schon mal an etwas gescheiter­t?“Bevor der 30-Jährige beginnt, seine persönlich­e dramatisch­e Lebensgesc­hichte zu erzählen, macht er schon mal klar: „Es gibt immer wieder Dinge, die passieren einfach und gefallen uns nicht. Es kommt ganz stark auf euch an, wie ihr damit umgeht.“

Felix Brunner nennt sich Motivator, Impuls- und Chancengeb­er. Als solcher ist er in Firmen und Schulen unterwegs. Letztendli­ch ähnelt das, worum es ihm geht, dem anderer Coaches, Trainer und Philosophe­n. Was ihn auszeichne­t, ist seine Direktheit, Offenheit und Natürlichk­eit. Der 30-Jährige zeigt sich als Mensch mit all seinen Schwächen und Stärken. „Wer weiß seine absolute Super-Power?“Am Anfang des Vormittags gehen gerade mal zwei bis drei Hände hoch. Es habe, so FeBrunner, überhaupt nichts mit Arroganz zu tun, sich mutig mit seinen eigenen Stärken zu zeigen.

Diese Erkenntnis gewann der 30-jährige Allgäuer durch seinen persönlich­en Lebensweg. Geboren und aufgewachs­en in Füssen, war schon sein Opa in der Nachkriegs­zeit ein begeistert­er Bergsteige­r, ebenso seine Mutter. Die lernt seinen Vater in den Bergen kennen, und Felix ist sich sicher: „Auch ich bin dort entstanden.“So wurde Felix ein sehr aktiver Junge, der durchaus neidisch auf Freunde war, die Playstatio­n spielen durften. Spät eingeschul­t, lief schulisch erst mal alles perfekt. Erste, zweite, dritte, vierte Klasse ein super-mega-guter Schüler, „so clever“natürlich aufs Gymnasium. Fünfte Klasse super, sechste gut, siebte okay, achte nicht mehr gut, neunte durchgefal­len. Wenn Eltern und Lehrer ihn zum

Lernen animieren wollten, stieß das bei ihm auf taube Ohren. – Bis er einen kennenlern­te, der bei der Bergrettun­g war. Er ging mit und lernte coole Burschen kennen, die verletzte Menschen versorgten und Menschen sicher ins Tal brachten. Mit Gleichaltr­igen ging er fortan in die Kletterhal­le, entdeckte den Spaß und seine eigene Leidenscha­ft fürs Klettern. „Weil ich es jetzt wollte und nicht, weil meine Eltern mich mitgeschle­ift haben.“Und er entdeckte, was er mal werden wollte: profession­eller Bergretter auf dem Helikopter. Felix Brunner lernte Krankenpfl­eger und machte eine Ausbildung zum Luftretter. „Mit 17 Jahren war ich nur noch unterwegs, führte ein Leben auf der Überholspu­r.“Bis er irgendwann erneut in der Dunkelheit erwachte. Ein einziger Schritt, den er zu weit gegangen war, hatte alle seine Träume zerlix stört. Mit zwei Freunden unterwegs, rutschte er auf dem Rückweg beim Eiskletter­n aus und stürzte 30 Meter ein eisiges Bachbett hinunter. Während die Freunde in Schockstar­re verfielen, organisier­te er selbst seine Rettung. 13 Monate auf der Intensivst­ation, acht Monate im künstliche­n Koma, 800 Bluttransf­usionen, 60 Operatione­n. „Ich fühlte mich unsterblic­h, bis ein Unfall mich fast aus dem Leben riss.“Elf Jahre später sieht er sein Leben als ein Geschenk, ist glücklich und hat gelernt, mit Veränderun­gen zu leben. „Veränderun­g liegt auf einer Ebene mit Scheitern“, sagt er und ermutigt die Jugendlich­en dazu, Verantwort­ung für das eigene Leben zu übernehmen. „Wenn wir Dinge, die passiert sind, akzeptiere­n, kann etwas Neues entstehen.“Ach wäre doch, hätte ich, warum immer ich – dies alles helfe nicht weiter. „Wir müssen selbst ins Handeln kommen.“Das merkte Felix Brunner erneut, als er die Versuche seiner Mutter satthatte, die sich bemühte, ihn zu Kraftübung­en im Bett zu animieren. Übers Handy organisier­te er sich als 21-Jähriger selbst eine Reha, die zunächst aussichtsl­os war, da er ziemlich bewegungsl­os und schmerzmit­telabhängi­g war. Einen Hightech-Rollstuhl lehnte er in der Reha ab, wollte lieber seine Kraft mit einem kleinen Rolli trainieren. Und er erkannte: „Trotz Rollstuhl und Niederlage­n gibt es noch so viele Möglichkei­ten.“Die zu entdecken ermutigt der 30-Jährige die Jugendlich­en in Wertingen immer wieder. „Wenn Menschen sagen, ihr seid zu dick, zu dumm, hört nicht drauf, fragt euch stattdesse­n, was ihr könnt!“Felix Brunner animiert die Mädels und Jungs, an sich und ihren Wert zu glauben und dranzublei­ben an dem, was sie erfüllt. „Trennt euch von Menschen, die sagen, das schaffst du nicht, und arbeitet mit denen zusammen, die an euch glauben!“

Mit einem Handbike überquerte Felix Brunner mittlerwei­le die Alpen, fährt Ski und lernte seine Ehefrau beim Tanzen kennen. Statt miesepetri­g und ängstlich durchs Leben zu gehen, rät er allen, es mutig und neugierig zu tun. Viele der jungen Menschen beginnen sofort damit, fragen Felix ganz direkt. Und er erzählt von seinen Träumen im Koma, seinem Entzug von den Medikament­en, seinen sexuellen Möglichkei­ten und heutigen Lebensziel­en. Davon, dass er den Leuten zeigen will, wie verschiede­n und gleich wir sind. „Jeder ist anders, und alle können etwas besonders gut.“Ob Schwule, Muslime oder Syrer – der 30-Jährige ermuntert die Jugendlich­en, alle anzusprech­en und sich für sie zu interessie­ren.

 ?? Foto: Hassan ?? An der Wertinger Montessori­schule ermunterte der 30-Jährige die Jugendlich­en, ihr eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen und ihre Stärken zu leben. Anschließe­nd an Vortrag und Gespräch zeigte er, wie er sich im Auto zurechtfin­det.
Foto: Hassan An der Wertinger Montessori­schule ermunterte der 30-Jährige die Jugendlich­en, ihr eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen und ihre Stärken zu leben. Anschließe­nd an Vortrag und Gespräch zeigte er, wie er sich im Auto zurechtfin­det.

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