Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Dieses Portal führt zu den Sternen
Eine schlüssige Deutung überrascht beim Aschermittwoch der Künstler. Augsburgs Dom stieg mit seinen Bronzetoren im Mittelalter zu einem geistigen Zentrum im Reich auf
Was ist schon alles in das mittelalterliche Bronzeportal des Augsburger Doms hineingeheimnist worden. Der Mann mit dem erhobenen Trinkgefäß wie der Trauben-Esser seien Sinnbilder für verbotenen Genuss; die Hühner fütternde Frau symbolisiere die Kirche, die wie Küken ihre Gläubigen um sich schart, und die Schlange habe immer etwas mit Sünde zu tun. Einen wirklich schlüssigen Ansatz für die Deutung dieses Hauptwerks ottonischer Bronzekunst gab es nicht.
Bis sich die Kunsthistorikerin Dorothea Diemer auf antike Vorlagen besann und das Bildprogramm des Augsburger Portals daraufhin prüfte. Dabei fügte sich ein Mosaiksteinchen zum anderen bis zu dem Ergebnis: Es ist ein Sternentor, das in seiner Kosmologie kaiserliches Selbstverständnis ausdrückt. Davon sprach Diemer beim diesjährigen Aschermittwoch der Künstler vor 250 Zuhörern im Dom.
Augsburg gehe mit diesem Portal wahrscheinlich in seiner Zeit voraus und präsentiere bereits um das Jahr 1000 den ottonischen Kaiser als den Garanten der göttlichen Schöpfungsordnung, die Himmel und Erde umschließt. Immerhin war der damalige Augsburger Bischof Brun der Bruder von Kaiser Heinrich II.
modern war das Bronzeportal allemal. Das Abendland begann gerade, solche Bronzeplatten nach Vorbildern am byzantinischen Kaiserhof aus Konstantinopel zu importieren. Dabei kam es zu Überlieferungslücken und groben Missverständnissen der Bildmotive.
Die Kunsthistorikerin wunderte sich wiederholt, welche Elemente der antiken Vorlagen auf den Augsburger Platten einfach wegfielen oder von den Gießern zu anderen Motiven verballhornt und inhaltlich neu gedeutet wurden. Erhalten blieben allerdings unübersehbar die ursprünglichen Muster – wenn nur einmal der kosmologische Interpretationsansatz erkannt wurde. Dorothea Diemer hat sich dazu tief in die Bilderwelt mittelalterlicher Buchillustrationen eingearbeitet.
So klar wie beim bogenschießenden Kentaur (Schütze) oder dem kraftstrotzenden Löwen geht es selten zu. Aus Herakles im Kampf gegen den Drachen der Hesperiden wurde ein Bär am Baum; der Vogel, der oben herbeiflattert, symbolisiert eigentlich das Sternbild Schwan. Aus dem Jäger Orion wurde ein gekrönter Schwertkämpfer und sein Gewandbausch zum Schild umgedeutet. Das Sternbild Zwillinge scheint im Einzel als König mit Lanze auf, dessen Blick zur Seite eigentlich auf den fehlenden Bruder gerichtet ist.
„Spannend, schlüssig und schlau“nannte Prof. Gerda Riedl, Leiterin der Hauptabteilung „Grundsatzfragen, Glauben und Lehre“im bischöflichen Ordinariat, die These vom Sternentor. Sie selbst unternahm eine Archäologie des Wissens, um die Zusammenhänge noch deutlicher zu klären. Augsburg war seinerzeit ein Herrschaftszentrum des ottonischen Reiches. Nicht von ungefähr läuten im Domturm die beiden uralten Silberglocken, auch die einmaligen Prophetenfenster stammen aus der Zeit. Und das Herz von Kaiser Heinrich III. ist hier bestattet. Augsburg gehörte ins europäische Netzwerk, das bis an den Rand der arabischen Welt und des byzantinischen Ostroms reichte. Die ottonische Renaissance feierte die
die Wunder der Welt, und stellte den römischen Kaiser ins Zentrum der unverbrüchlichen göttlichen Ordnung des Kosmos.
Der umfasste Himmel und Erde, weshalb zu den Sternbildern noch die Jahreszeiten hinzugefügt wurden. Auch diese sind Dorothea Diemer zufolge unverkennbar im Bildprogramm des Bronzeportals: Der Trauben-Esser als Monatsbild OkUnglaublich tober, der Mann mit der Lanze steht als Kriegsgott Mars für den März. Zum Mai passt der Mann mit den Schlangen, kommen doch mit wachsender Sonne die Tiere wieder aus ihren Winterverstecken heraus. Die Hühner fütternde Frau schließlich deutet – ziemlich verballhornt – auf den Januar, der opfernd an der Räucherschale steht, unter der ein Hahn den anbrechenden Morgen ausruft. Diemer nimmt an, dass die ausführenden Handwerker den Sinn dieser antiken Bilder nicht mehr verstanden haben und sich auf ihre mittelalterliche Fantasie verließen.
Ganz in der Gegenwart verblieb der ernannte Bischof von Augsburg, Prälat Bertram Meier, in seiner Predigt zum Künstleraschermittwoch. Ausdrücklich dankte er den Kreativen. Ihnen gehe es immer darum, der Wahrheit über den Menschen Gestalt zu verleihen. „Sie machen die Welt durchsichtig auf Gott hin“, sagte Meier. In ihren Kunstwerken finde die Sehnsucht nach dem Bleibenden, Ewigen, Unendlichen Ausdruck. Künstler seien Seismografen, „die die Beben registrieren, die sich in der Tiefe abspielen“. Auch die Kirche rücke in der österlichen Bußzeit den Menschen ins Zentrum, den verwundeten, gefährdeten, am Boden liegenden, Sünde und Tod ausgelieferten Menschen. Er sei das „Haus der Kunst Gottes“.
Europäisches Netzwerk bis Byzanz und zu den Arabern